Schule unterm Hakenkreuz

Reiner Lehberger

Rahmenbedingungen

Mit dem Rücktritt der SPD-Senatoren und der Ernennung eines neuen, zur Hälfte durch Nationalsozialisten besetzten Senats begann mit dem 8.3.1933 in Hamburg die NS-Herrschaft. Auch in der Schulbehörde gab es einen raschen personellen Wechsel.

Der politische Zugriff auf das Schulwesen, die Durchdringung von Schule und Unterricht mit der NS-Ideologie wurden von den neuen Machthabern von Beginn an vehement eingefordert, allen Gegnern des Nationalsozialismus wurden Unnachgiebigkeit und Bestrafung ange­droht.

Die Etablierung von nationalsozialistischen Jugendorganisationen wie der Hitler-Jugend prägte die Kindheit auf den Straßen – und auch in der Schule

Trotz aller Bekundungen des Primats von Körper-, Cha­rakter- und politischer Erziehung konnte auch der NS-Staat, der ja von Beginn an auf politische und wirtschaftliche Expansion abzielte, nicht auf die Qualifikationsfunktion von Schule verzichten. Es gab bei vielen führenden Nationalsozialisten, nicht zu­letzt bei Hitler selbst, eine erhebliche Abneigung gegenüber der Institu­tion Schule. Für die politische Erfassung der Jugendlichen galt, dass man dafür den Jugendorganisationen des Systems eine viel höhere Bedeu­tung zumaß. In krassem Gegensatz zu den wortreichen Ankündigungen in bezug auf die Veränderung des Schulwesens standen darüber hinaus auch die eingesetzten finanziellen Mittel. In den zwölf Jahren der NS-Herrschaft wurde mit Ausnahme einer Schule in Osdorf, benannt nach dem ehema­ligen NSLB-Reichsleiter Hans Schemm, keine weitere Schule gebaut, da­für aber zahlreiche Kasernen und Bauten für den so genannten Zivil­schutz.

Bis zur Gründung des Reichserziehungsministeriums am 1.5.1934 versuchte die neue NS-geführte Hamburger Schulbehörde durch so ge­nannte ad-hoc-Maßnahmen und Erlasse, eine „Durchdringung der ge­samten Schularbeit mit der nationalsozialistischen Weltanschauung“ zu erreichen. Dies geschah zum einen durch Verbote, z.B. von pazifistischer und marxistischer Literatur, die Säuberung von Schulbibliotheken, die Ab­setzung politisch „ungeeigneter“ Schulbücher. Zum anderen erging eine Unzahl neuer Verpflichtungen und inhaltlicher Vorgaben für die Schu­len. Diese reichten von der Einführung des Flaggenappells am Montag­morgen sowie neuer Schulfeiern wie zu Hitlers Geburtstag oder zum „Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung“ über die „Erweisung“ des Hitler-Grußes als offizielle Begrüßung in der Schule bis hin zur Er­ziehung zur Wehrfähigkeit im Turnunterricht und im Geschichtsunter­richt zur Einsetzung von Themen wie „Erster Weltkrieg“ und der „Ge­schichte der NS-Bewegung“. Schon in dieser ersten Phase kam es auch zur Einführung der Rassenkunde, die nicht nur als gesonderter Unter­richtsinhalt behandelt werden, sondern als unterrichtliches Prinzip alle Fächer durchdringen sollte. Instrumentalisiert wurde die Schule auch durch verschiedene Sam­meltätigkeiten für politische Organisationen bzw. wirtschaftliche Zwe­cke wie das Winterhilfswerk oder die Altmaterialsammlung, die der Entlastung des Staatshaushaltes dienen sollten.

Begleitet wurden diese schulischen Maßnahmen von einer beispiello­sen Versetzungs- und Entlassungspolitik innerhalb der Lehrerschaft. So wurden auf Basis des Gesetzes mit dem widersinnigen Titel „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 im Zeit­raum bis 1936 637 Lehrerinnen und Lehrer in Hamburg entlassen. Das Resultat war die Eliminierung aller jüdischen Lehrerinnen und Lehrer im staatlichen Schuldienst sowie großer Teile des demokratisch und so­zialistisch eingestellten Flügels der Hamburger Lehrerschaft. Bis zum Sommer 1935 wurden an den allgemeinbildenden Schulen Hamburgs 55 % der 1932/33 noch amtie­renden Schulleiter durch neuernannte ausgetauscht.

Neben dem Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ kam insbesondere dem neuen Schulverwaltungsgesetz vom 23.6.1933 eine zentrale Funktion zu. Es beseitigte die demokratischen Errungen­schaften der Weimarer Republik wie Selbstverwaltung und Elternmit­sprache. Die nun von der Schulbehörde eingesetzten Schulleiter hatten gegenüber dem Kollegium uneingeschränkte Verfügungsgewalt und wurden damit zu sogenannten „Führern“ ihrer Schulen.

In der zweiten Phase ist die nationalsozialistische Schulpolitik mit den Stichworten Zentralisierung, Vereinheitlichung und Stabilisierung zu kennzeichnen. Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937, d.h. mit der Eingemeindung von Altona, Harburg, Wilhelmsburg, Wandsbek und einigen preußischen Randgemeinden, gab es dazu eine erhebliche quan­titative Ausweitung des Schulwesens. Im Volksschulwesen erhöhte sich die Zahl um 75 Volks-, neun Mittel-, sieben Hilfs- und 32 Landschulen. Bei den höheren Schulen kamen zehn Jungen- und sechs Mädchenschu­len neu hinzu.

Bereits mit der Gründung des Reichserziehungsministeriums am 1.5.1934 war die schulpolitische Entscheidungsge­walt im Schulwesen zentralisiert worden. Dies trifft vor allem für die Regelung des Verhält­nisses von Schule und HJ zu, für die Lehrerausbildung, und für die Verein­heitlichung der Lehrpläne. Der Anspruch der Hitler-Jugend auf eine Mitgestaltung des Schulle­bens und die Aufforderung an die Schule, die Erfassung der Jugend in der HJ zu fördern, bewirkten von Beginn an Reibungspunkte zwischen Schule und Jugendorganisation. Um eine schnellere Erfassung der Schülerinnen und Schüler in der HJ zu erreichen, wurde daher am 7.6.1934 der Staatsjugendtag eingeführt. HJ-Angehörige hatten danach am Samstag für den HJ-Dienst schulfrei, die Noch-nicht-Mitglieder hat­ten u.a. nationalpolitischen Unterricht in der Schule. Am 4.12.1936 wurde per Reichsbefehl der Staatsjugendtag wieder aufgehoben, in Hamburg war bereits im Dezember 1935 die sechstägige Schulwoche wieder eingeführt worden. Die HJ-Erfassung war aber mit Hilfe dieses Gesetzes und des Reichsjugendtages erfolg­reich. 1937/38 waren 91 Prozent aller Jungen und Mädchen in der HJ organi­siert, noch 1935 hatte es an den einzelnen Schulen erhebliche Unter­schiede gegeben. Erfassungsgrade von 90 Prozent – insbeson­dere in den ländlichen Randgebieten der Stadt – standen einem Organi­sationsgrad von 25 Prozent oder weniger bei Volksschulen mit hohem Arbei­teranteil sowie in allen katholischen Gemeindeschulen der Stadt gegen­über.

Die erste eingreifende Maßnahme für das höhere Schulwesen begann mit dem „Gesetz gegen Überfüllung deutscher Schulen und Hochschu­len“, das am 25.4.1933 reichsweit erlassen wurde. Es beschränkte den Hochschulzugang bis 1934 auf 15.000 Abiturienten, davon in Hamburg 398, und nahm als Auslesekriterium neben der geistigen Reife die kör­perliche und charakterliche Eignung und die nationale Zuverlässigkeit als Kriterium mit auf. Bereits 1935 wurde we­gen starken Rückgangs der Studienbewerber diese Maßnahme jedoch wieder aufgehoben.

Auch für die Schülerauslese zum Übertritt auf die höheren Schulen wurden die oben benannten Kriterien neu eingeführt, darüber hinaus sollten HJ-Aktivitäten wohlwollend berücksichtigt werden.

Für die jüdischen Schülerinnen und Schüler bedeutete das Gesetz eine Begrenzung ihres Anteils auf 1,5 % der Aufzunehmenden, jede Schule sollte darüber hinaus insgesamt nicht mehr als 5 % „Nicht-Arier“ in ihrer Schülerschaft haben. Dieser Gesamtanteil von 5 % wurde an Hambur­ger Schulen wohl insbesondere über die Zugangsbeschränkung in der Sexta angestrebt, denn 1935/36 hatten die von jüdischen Schülern be­vorzugten Anstalten, das Johanneum, die Heinrich-Hertz-Schule und die Lichtwarkschule, immerhin noch 8,0 %, 11,5% bzw. 6,8 % jüdische Schüler. Dieser Anteil sank in den folgenden Jahren durch Auswande­rung und „freiwillige“ Abschulung rasch. Nach der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 mussten endgültig alle jüdischen Schülerin­nen und Schüler die staatlichen höheren Lehranstal­ten verlassen.

Strukturell veränderte sich das höhere Schulwesen insbesondere durch die Verkürzung der Schulzeit von 9 auf 8 Jahre zum Schuljahr 1936/37 und die Beseitigung der Typenvielfalt durch die Neuordnung und Reform von 1938. Beide Maßnahmen hatten deutlich wirtschaftspo­litische Gründe: Die Verkürzung der Schulzeit sollte insbesondere der wachsenden Nachfrage nach Offizieren dienen.

Mädchen tragen im Unterricht Uniform

Die Haupt­schulformen im höheren Schulwesen wurden die Deutschen Oberschu­len für Jungen und Mädchen, das Gymnasium sollte nur noch eine Son­derform sein. Johanneum, Christianeum und Wilhelm-Gymnasi­um durften als altsprachliche Gymnasien bestehen bleiben. Die Licht­warkschule war bereits 1937 aus politischen Gründen aufgelöst worden. Die nur an weni­gen höhe­ren Schulen durchge­führte Koedukation wurde ebenfalls been­det. Allerdings verblieben in den Randgebieten durchaus noch einige Mädchen an den Jungenschulen.

Bei den Mädchenschulen verursachte die Einführung des hauswirt­schaftlichen Zweiges organisatorische und finanzielle Probleme. Noch 1939 war dieser Zug keineswegs an allen Mädchenschulen eingeführt, das Verhältnis der Schülerinnen im sprachlichen zum hauswirtschaftli­chen Zweig war 2:1.

Für das Volksschulwesen brachte die NS-Zeit keine wesentlichen strukturellen Veränderungen. Auch blieben die Hilfsschulen, die zunächst wegen der kostenträch­tigen Beschulung von „Minderwertigen“ in die Kritik der NS-Ideologen geraten waren, bestehen. Sie standen vor allem seit der Expansion der Rüstungsindustrie und Kriegsvorbereitung unter den Zielen der „Brauchbarmachung“ auch dieser Schülerschaft für die wirtschaftlichen und politischen Ziele des NS-Staates. Ein dunkles Kapitel des Hilfs­schulwesens in der NS-Zeit ist die Einbeziehung dieser Schulen in die Selektionsmaßnahmen zur Sterilisation an­geblich minderwertiger Jugendlicher. Die „rechtliche“ Basis dafür war das „Gesetz für die Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14.7.1933.

Die Veränderungen der dritten Phase stehen im Zeichen kriegsbe­dingter Anpassung wie der Durchführung der Kinderlandverschickung, der Einführung des Luftwaffenhelferdienstes und der weiteren Verkür­zung der Schulzeit der höheren Schulen auf sieben Jahre.

Ab Oktober 1940 wurden Hamburger Schülerinnen und Schüler, wie im ganzen Reich, zusammen mit ihren Lehrern in sogenannte bombensi­chere Gebiete verschickt. Diese Kinderlandverschickung (KLV) umfasste in den Jahren 1940-1945 ca. 150.000 Hamburger Kinder. Die Form der Lager war unterschiedlich. Zum einen gab es „offene Lager“, in denen die Kinder in Privatquartieren untergebracht waren, zum anderen die – zahlenmäßig bedeutenderen – „geschlossenen Lager“, in denen die Kin­der den örtlichen Gegebenheiten gemäß zusammen mit den Lehrkräften in einer Unterkunft lebten und unterrichtet wurden. Mit der KLV beabsichtigten die Nationalsozialisten natürlich auch eine Verbesserung der politischen Erziehung der Kinder. Fern von Elternhaus und Kirche erhoffte man sich eine effektivere nationalpoliti­sche Ausrichtung der Schülerschaft. Am Ende des Krieges ging die Ak­zeptanz der KLV bei den Hamburger El­tern stark zurück. Nur noch 10 % der in Betracht kommenden Kinder wurden aus Hamburg in die KLV evakuiert. Die Kriegsauswirkungen beeinträchtigten natürlich insbesondere im Stadtgebiet Schule und Unterricht erheblich.

Jungen als Flakhelfer in den letzten Kriegsjahren

Es herrschte Papiermangel, Unterricht fiel wegen Bomben- oder Nachtalarm aus. Nach den großen Luftangriffen vom Juli 1943 blieben im Kerngebiet der Stadt alle Schulen bis zum Kriegsende geschlossen.

In den letzten Kriegsjahren (1943-45) wurden Schüler der Jahrgänge 1926/27 und schließlich auch des Jahrgangs 1928 als Luftwaffenhelfer aktiv in das Krieggeschehen einbezogen. Eingesetzt wurden sie in der Luftabwehr innerhalb und außerhalb Hamburgs.Die genaue Zahl der durch den Krieg umgekommenen Schüler und Lehrer in Hamburg ist unbekannt. Insgesamt verloren weit über 100.000 Hamburger durch den Krieg ihr Leben.

Die Zahl der aus politischen oder rassischen Gründen ermordeten Hamburger Lehrerin­nen und Leh­rer ist hingegen inzwischen belegt. 88 Lehrerinnen und Leh­rer aus der Hamburger Lehrerschaft sind aus diesen Gründen Opfer der NS-Herr­schaft geworden.

 

 

Auszug aus: Lehberger, Reiner; deLorent, Hans-Peter: Schulen in Hamburg – Ein Führer durch Aufbau und Geschichte des Hamburger Schulwesens, Hamburg 2012.

 

Grundlegende Literatur:

Böge, Volker; Deide-Lüchow, Jutta: Bunkerleben und Kinderlandver­schickung. Die Eimsbütteler Jugend im Krieg. Hamburg 1992.

Joost, Heike: Die Grundlagen der nationalsozialistischen Schulpolitik in bezug auf die Sonderschulen. In: Lehberger; de Lorent 1986, S. 214-218.

Lehberger, Reiner; de Lorent, Hans-Peter (Hg.): „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schul­alltag in Hamburg unterm Hakenkreuz. Hamburg 1986.

Müller, Wolfram: Nationalsozialistische Schulpolitik und höhere Schule in Hamburg 1932-1939. Hamburg 1986. [Staatsexamensarbeit Uni­versität Hamburg].

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Mädchen im Unterricht (Ausschnitt), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-06=1939.13.

Abb. Thementext: HJ-Zug und Kleinkinderpaar, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-06=1940.08 / Mädchen im Unterricht, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-06=1939.13 / Jugendliche Flakhelfer, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-11=356.