Am 3. Mai rollten britische Panzer über die Elbbrücken nach Hamburg. Der Krieg war für die Stadt vorbei. Am 8. Mai endete der zweite Weltkrieg in Europa. Weite Teile Hamburgs lagen in Trümmern. Der Großteil der Menschen hungerte seit Monaten. Schulen waren geschlossen. Jungen ab 14 Jahren hatten bis zum letzten Tag als Teil des Volkssturms gegen die Briten gekämpft. Mehr als 100.000 Menschen waren in der Stadt durch den NS-Terror oder Kriegseinwirkungen gestorben. Wie überall in Deutschland war eine Mehrheit der Hamburger:innen den Nationalsozialisten gefolgt. Nur eine Minderheit hatte Widerstand geübt. Versteckt lebte 1945 noch eine kleine Anzahl Juden und Jüdinnen sowie Sinti:zze und Rom:nja in Hamburg. Sie und die Zwangsarbeiter:innen und KZ-Häftlinge hatten auf die Befreiung gewartet.
Ein Film mit Zeitzeugeninterviews findet sich weiter unten.
Hitlers Zerstörungsbefehle
Im Frühjahr 1945 war Hamburg nur noch ein Überrest, dessen übrig was die Stadt vor dem Nationalsozialismus war. Im Sommer 1943 hatten Bombardements Hamburg so zerstört, dass ungefähr eine Million Hamburger die Stadt verlassen mussten. Nur circa 280.000 dieser „Butenhamburger“ (Draußen-Hamburger) konnten vor dem Kriegsende zurückkehren, denn mehr als die Hälfte des Wohnraums war zerstört. Über 150.000 Schulkinder waren in teilweise weit entfernte Kinderlandverschickungslager gebracht worden. Viele Flüchtlinge aus den von der russischen Armee eroberten Gebieten im Osten kamen nach Hamburg, blieben dort oder zogen weiter. Ende April 1945 lebten somit ungefähr 650.000 Menschen in der Stadt – viele unter erbärmlichen Bedingungen in den Ruinen.
Am 19. April hatte Adolf Hitler befohlen, die Infrastruktur in Deutschland so weit zu zerstören, dass die Alliierten „verbrannte Erde“ vorfinden würden. Das hätte auch die Zerstörung des Hamburger Hafens und sämtlicher Industrieanlagen und Vorratslager bedeutet. Jede Straße, jede Fabrik, jedes nützliche öffentliche Gebäude – alles sollte bis zum letzten Mann verteidigt oder zerstört werden.
Dies bereitete die nationalsozialistische Führung Hamburgs unter Gauleiter Karl Kaufmann und Kriegskommandant Alwin Wolz im April vor. Sie rechneten mit Straßenkämpfen und weiteren Fliegerangriffen. Jungen ab dem fünfzehnten Lebensjahr und ältere Männer wurden zum „Volkssturm“ berufen, um schlecht ausgerüstet die Stadt zu verteidigen. Mädchen gleichen Alters sollten auf Brandwache gehen.
Anders die Wirtschaftsführer der Stadt: Sie hatten schon Anfang April über Freunde in Schweden Kontakt zum britischen Foreign Office (Außenministerium) aufgenommen, um die Engländer zu überreden, den Hafen und die Bevölkerung zu schonen.
Übermächtige britische Truppen in der Nordheide
Die englischen Truppen standen unterdessen in der Nordheide hinter den Harburger Bergen und lieferten sich Gefechte mit Jugendlichen und älteren Männern vom Volkssturm und mit SS-Einheiten.
Dennoch, die Briten waren in der Übermacht und würden die Stadt erobern.
Dies war auch der NS-Führung bewusst: Um die Spuren ihrer Verbrechen zu vertuschen, entschieden Gauleiter Kaufmann und die SS-Führung, das KZ Neuengamme zu räumen. Die Eroberer sollten keine Zeugen des Grauens vorfinden. Etwa 15.000 Häftlinge verloren bei dieser Räumung noch ihr Leben. (Hier mehr → ) Viele wurden auf Todesmärschen ermordet oder zum Verhungern in andere Lager gebracht. Mehr als 9000 von ihnen pferchte die SS unter unmenschlichen Bedingungen auf ausgedienten Schiffe in der Ostsee ein. Tragischerweise hielten britische Kampfflugzeuge diese Schiffe für Truppentransporter und bombardierten sie am 3. Mai, genau an dem Tag, als Hamburg befreit wurde. 6600 Häftlinge starben.
Verhandlungen wegen eines Lazaretts
Doch wie entkam Hamburg der Zerstörung durch Straßenkämpfe? In den Harburger Phönixwerken befand sich ein Lazarett, das von den britischen Bombardements bedroht wurde. Mit diesem Argument unternahmen der Divisionsarzt des Hamburger Volkssturms, Prof. Dr. Hermann Burchard, und der Leiter der Phoenixwerke, Albert Schäfer, einen Versuch, die Briten um Verschonung der Phönixwerke zu bitten. Die beiden Männer waren Teile des Naziregimes: Dr. Burchard hatte als Arzt die Ermordung von Behinderten befürwortet, Schäfer hatte in den Phönixwerken Zwangsarbeiter eingesetzt und Gummi für Kriegsmittel produziert. Was auch immer ihre Gründe waren, auf die Briten zuzugehen, sie wussten nicht, dass dies zur Kapitulation Hamburgs führen würde. Aber sie wussten beide, dass sie ihre Mission rechtlich absichern mussten.
Sie holten sich Rat bei einem der wichtigsten Juraprofessoren in der Stadt, Rudolf von Laun. In dessen Haus trafen sie auf seinen Sohn Otto. Er war seit kurzem Mitarbeiter des Kampfkommandanten von Hamburg, Alwin Wolz. Otto von Laun gelang es, von ihm eine Erlaubnis für Verhandlungen zu erhalten.
Am 29. April machten sich der junge Otto von Laun, Dr. Burchard und Albert Schäfer auf den Weg zur britischen Front. Sie trafen auf eine SS – Truppe, die sie erst einmal aufhielt. Ein mitgeführtes Schreiben vom Kampfkommandanten half ihnen weiter. Nun gingen sie zu Fuß. Obwohl Otto von Laun eine weiße Fahne trug, gerieten sie unter Beschuss der Briten. Dann wurden sie von ihnen gefangen genommen. Sie wurden zu einem Gasthof namens Hoheluft in Buchholz gebracht, wo Captain Thomas Martin Lindsay sie befragte. Er sprach Deutsch. Er berichtete ihnen von dem Grauen, das die britischen Soldaten bei der Befreiung des Konzentrationslagers in Bergen-Belsen gesehen hatten – Verhandlungen mit Naziverbrechern würde es danach nicht geben. Er informierte dennoch seinen Vorgesetzten, Generalmajor Lewis O. Lyne, den Kommandeur der 7. Panzerdivision, der „Wüstenratten“. Dieser forderte Wolz zur Kapitulation auf und sicherte zu, dass das Lazarett in den Phönixwerken nicht mehr beschossen werde. Lindsay behielt Burchard und von Laun in Haft, weil sie Armeeangehörige waren. Schäfer machte sich auf den gefährlichen Rückweg. Die Kapitulationsaufforderung der Engländer versteckte er in seinem Schuh, falls die SS-Truppen ihn durchsuchen würde.
Das Ringen um die Kapitulation
Das, was in Hamburg in Folge geschah, bezeichnet der Historiker Ortwin Pelc als „vorsichtiges Taktieren“. Kampfkommandant Wolz überzeugte den Gauleiter Karl Kaufmann, Hamburgs obersten Nationalsozialisten, an der Rettung der Stadt mitzuarbeiten. Es war schwierig, der Reichsregierung zu erklären, warum sie Hamburg nicht verteidigen oder zerstören wollten. Erst die Nachricht von Hitlers Selbstmord vereinfachte die Situation. Sein Vernichtungsbefehl hatte nun weniger Wirkung.
Am 1. Mai schickte Captain Lindsay die beiden Boten, Otto von Laun und Dr. Burchard, nach Hamburg zurück. Sie überbrachten die Nachricht, dass die Briten der Stadtregierung 24 Stunden Zeit gaben, um die Kapitulation zu erklären.
Kaufmann informierte die Reichsregierung. Diese wollte Kampfkommandant Wolz ablösen lassen, aber er schickte seinen Nachfolger unter einem Vorwand fort. Die Reichsregierung gab inzwischen nach, weil die Engländer Truppen inzwischen auf zur Deutschen Bucht vorrückten. Sie wollte die Truppen aus Hamburg nutzen um das zu verhindern. Wolz machte sich auf zu den Engländern. Er traf hier auf die Befehlshaber im Norden, Brigardegeneral John Michael Spurling und Generalmajor Lewis O. Lyne. Diesem erklärte er, dass er Hamburg verteidigungslos übergeben dürfe. Inzwischen bereitete der Gauleiter Karl Kaufmann Presseerklärungen vor. Zudem fing er an, sich als Retter Hamburgs darzustellen.
Hamburg wird offene Stadt
Schon am 2. Mai wurde in Hamburg verbreitet, dass die Stadt kampflos übergeben wird. Die Bevölkerung schwankte zwischen Aufregung , Freude, Verzweiflung und Angst. Am nächsten Tag, dem 3. Mai, wurde eine Ausgangssperre verhängt. Die Menschen sollen ab 13 Uhr zuhause bleiben. Nur Polizei und Feuerwehr durften noch auf den Straßen sein. Um 16 Uhr zogen die Briten in die Stadt ein. Zwei Panzer fuhren an der Spitze. Gegen 18 fuhren sie auf den Rathausplatz und stiegen aus. Die Naziführer warteten schon vor dem Rathaus. Doch die Briten, Offiziere und Soldaten der achteten nicht auf sie. In aller Ruhe fütterten sie erst mal die Tauben.
Sie warteten auf Brigardegeneral John Michael Spurling, den Kommandeur der 131. Infanteriebrigarde, die Hamburg übernehmen sollte. Er traf um 18.25 Uhr ein. Kampfkommandant Alwin Wolz übergab ihm die Kontrolle über Hamburg.
Im Bürgermeistersaal erklärte hinterher auch Gauleiter Karl Kaufmann die Übergabe der Stadt. Dab
ei strickte er weiter an seiner Legende, dass er die Hamburger Bürger habe retten wollen. Tatsächlich hatte er in seinem Hauptquartier schon massenhaft wertvolle Waren gebunkert, um sich den Neuanfang zu erleichtern.
Die Briten erreichen das KZ-Neuengamme
Am vierten Mai erreichen die Briten das KZ-Neuengamme. Es war leer. Keine Spur hatten die SS-Schergen von Folter und Mord, Elend und Tod zurück gelassen. Die Briten entschieden, das Lager als Gefängnis für die nationalsozialistischen Machthaber und Verbrecher der Region zu nutzen. Noch erinnerte man dort nicht an die Opfer der menschenverachtenden Diktatur. Und für die Überlebenden endete ihr Leidensweg erst mit der Befreiung aus den Todeslagern und mit dem Kriegsende in Europa am 8. Mai 1945.
Der Film „Tag der Befreiung“
In dem Film von Christian Grasse kommen Jugendliche von damals als Zeitzeug:innen zur Sprache: Was waren der 3. und der 8. Mai für sie? War das für sie eine Befreiung? Oder hatten sie Angst? Was erhofften sie sich?
Und was besagt das für Jugendliche von heute? Schüler:innen aus Hamburg sprechen darüber, was das Ende des zweiten Weltkriegs und die Befreiung vom Naziterror für sie heute bedeuten.
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