Johanna Meyer-Lenz
Die Entwicklung der urbanen Metropole Hamburg muss als übergreifende gemeinsame Entwicklung des Vierstädtegebietes Hamburg/Altona/Harburg/Wandsbek in der Kaiserzeit gesehen werden. Die Urbanisierung Hamburgs umfasst die Metropolregion des Vier-Städte-Gebietes, bevor dieses im Nationalsozialismus 1937/1938 mit dem Groß-Hamburg-Gesetz zu einer Einheit zusammengefügt wurde. So waren Harburg, das bis 1866 zum Königreich Hannover, ab 1866 zur Provinz Hannover zählte, das seit 1864 zu Preußen gehörende Wandsbek und das seit 1867 zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein zählende Altona in die Industrialisierung und Stadtentwicklung Hamburgs über die damals bestehenden Stadtgrenzen hinaus involviert.
Alle drei ‚Stadtgebiete’ waren im Kaiserreich trotz der ‚separierten’ Verwaltung in die Entwicklung eingewoben:
- Durch Industriegründungen im deutschen Zollverein (Ottensen, Harburg, Wandsbek)
- als Wohngebiet für die Hamburger Arbeiterschaft
- Als Rückzugsgebiet für die bürgerliche Wohnbevölkerung
- Als Vergnügungs- und Ausflugsgebiet
- Als Teil der Verkehrs- und Transportinfrastruktur
Die sich zuspitzenden Problemlagen der Industrialisierung — wie das Auseinanderdriften der sozialen Schichten — lässt sich an charakteristischen Merkmalen wie Unterteilung der Stadt in reiche, wohlhabende, bürgerliche und arme Viertel und unterschiedliche Wohnungssituation gut ablesen. Der Bekämpfung des Pauperismus, der Verelendung, der hohen Kindersterblichkeit und der hohen Krankheitsraten begegnete die Hamburger ‚Macht- und Regierungsmaschine’ im 19. Jahrhundert mit zögerlichen Maßnahmen. Hier entwickelte sich das Tätigkeitsfeld vieler privater Wohltätigkeitsvereine.
Primär ausgerichtet auf das Wohlergehen des Hafens und des Handels musste der Hamburger Senat und die Hamburger Bürgerschaft jedoch auf Dauer auch den notwendigen Anforderungen an eine moderne hygienische Stadt Rechnung tragen, um die Grundpfeiler seines Gedeihens zu erhalten. Bevölkerungsentwicklung und Hygienebewegung traten erst im 20. Jahrhundert in den Vordergrund. Die preußischen Städte Altona und Wandsbek reagierten schneller als die Hamburger Verwaltung. Sie schufen funktionelle Trinkwasseraufbereitungsanlagen.
Während der Bau des Lindley’schen Abwassersystems nach dem Brand 1842 als Errungenschaft der Moderne gepriesen wurde, orientierte sich die Stadt bei den Filteranlagen für das Trinkwasser eher an den niedrigen Kosten. Man verzichtete auf den für die Reinlichkeit des Trinkwassers wesentlichen Sandfilter, eine Folge war das Ausmaß der Choleraepidemie 1892.
Darüber hinaus hatte trotz des rasanten Wachstum der städtischen arbeitenden Bevölkerung seit dem Zollanschluss 1888 keine Planung funktioneller, gesunder und gut
zu lüftender, heller Wohnungen stattgefunden. Erst die Choleraepidemie von 1892 und der Streik der Hamburger Hafenarbeiter von 1896/97 machte auf die unhaltbaren Zustände im Gängeviertel aufmerksam. Danach erst wiesen Senat und Bürgerschaft neue Sanierungsgebiete aus. Diese dienten aber nicht in erster Linie der Schaffung von gesunden Arbeiterwohnungen, sondern auch der Citybildung. Dass mit den Gängevierteln Wohnzusammenhänge von politisch aktiven Linken verschwanden, war ein weiterer Effekt.
Der neue Hauptbahnhof sollte innerhalb der auszuweitenden Hamburger City mit dem
Rathaus und der Börse entlang der Mönckebergstraße, einer neuen großen Einkaufs- und Prachtstraße, verbunden werden. Der Senat ermöglichte, die alten Häuser abzureißen und zeitgemäße Gebäude sowie breite Straßen zu errichten. Nach der Zerstörung der Gängeviertel der südlichen Neustadt (1903–1914) begann man in der Altstadt mit dem Bau der Mönckebergstraße (1908–1914), und riss dort die Gängeviertel nieder:
„Die Stadt erwarb die notwendigen Grundstücke, führte unter Berücksichtigung der bereits 1890 begonnenen Planung der Hochbahn die nötigen Infrastrukturmaßnahmen zügig durch und versteigerte die freigewordenen Grundstücke an die Meistbietenden. Das weitere Geschehen überließ man dem Markt und hoffte dabei, dass sich die ehemaligen Bewohner entweder in den restlichen Gängevierteln oder aber in den gerade entstehenden neuen Arbeitersiedlungen in Barmbek oder auf der Veddel niederlassen würden. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dieses Vorhaben im südlich angrenzenden Stadtviertel fortgesetzt, in dem zwischen 1921 und 1930 das heute so bezeichnete Kontorhausviertel entstand.“[1]
Grafik 2: Einwohnerzahl Hamburgs von 1871 bis 1914 (Volkszählungsergebnis)
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Grundlegende Literatur:
Geerd Dahms, Gänge-Viertel, Specken-Häuser, Heuberg. Vom Umgang mit historischen Unterschichtsquartieren in Hamburg. In: Andocken (2912), 335-347.
Richard Evans, Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910. (1. Deutsche Ausgabe) Reinbek bei Hamburg 1990.
Englische Originalausgabe: 1987. 1. Auflage (deutsch) 1990.
Zitate:
[1] Dies und das vorige Zitat aus: https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%A4ngeviertel_(Hamburg), abgerufen am 12.3.2017.
Vgl. auch http://www.hamburg.de/contentblob/111730/a807a2dd5fe86b4b4652c8da43811787/data/grossbuch.pdf
Bildnachweise:
Abb. Titelfeld: U-Bahn-Bau am Steintorplatz um 1910 (Ausschnitt), nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:U-Bahnbau_Hamburg_Steintorplatz_1910.jpg).
Abb Thementext: Karte des Hamburgischen Gebietes 1895, aus: Wilhelm Melhop (Hrsg.): Karten zur Topographie von Hamburg 1880-1895, Digitalisat von Christian Terstegge („www.christian-terstegge.de“) / C.E.Gaetckes Glasfabriken in Ottensen, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:C.E.Gaetckes_Glasfabriken.jpg?uselang=de) / Lübeckerstraße in Wandsbek um 1905, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Postcard_of_Wandsbek_published_in_or_before_1905.jpg?uselang=de) / Kalte Hofe (Foto von Strumper & Co.), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_272-01=1893 (1) / Streikbrecher am Venloer Bahnhof, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_287-07=14 / Hamburger Hauptbahnhof 1906, nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:HH_-_Hauptbahnhof.jpg) / Kontorhausviertel in Bau, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_124-02=02_113.