Auswanderung über den Hamburger Hafen

Auswanderung nach Nordamerika im 19./20. Jahrhundert

Inge Bahnsen

Inneres des Auswandererschiffes „Samuel Hop“

Mit den Begriffen Auswanderung oder Emigration bezeichnet man ein dauerhaftes Verlassen eines Heimatlandes. Emigranten oder Auswanderer verlassen ihre Heimat entweder freiwillig oder gezwungenermaßen aus wirtschaftlichen, religiösen, politischen, beruflichen oder persönlichen Gründen. Der Auswanderung aus einem Land folgt die Einwanderung oder Immigration in ein anderes Land.

Schon seit der Steinzeit waren immer wieder große Teile der Menschheit in Bewegung, auf längeren oder kürzeren Wanderungen, sei es, um bessere Lebensbedingungen zu finden oder um vor religiöser oder politischer Unterdrückung und Gewalt zu fliehen. Migrationsgründe sind außerordentlich vielschichtig. Zwischen 1820 und 1915 verließen über 60 Millionen Menschen die „Alte Welt“ Europa. Die meisten von ihnen gingen in die „Neue Welt“, etwa 80% in die Vereinigten Staaten von Amerika, andere nach Kanada und Südamerika oder nach Australien.  Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft, die neue Entwicklung in der Verkehrstechnik bei der Eisenbahn und Schifffahrt zu Beginn des 19.Jahrhunderts, ein rasanter Anstieg der Bevölkerungszahlen, denen der Arbeitsmarkt und die sozialen Bedingungen im Deutschen Reich nicht gerecht wurden, begünstigten den Wunsch vieler Menschen, ihre Heimat zu verlassen, um bessere Lebensbedingungen – besonders – in Amerika zu finden.

Zudem unterstützen die positiven Berichte über „das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ in Briefen der Auswanderer an ihre Familien in Deutschland den Auswanderungsgedanken. Auswandererbriefe führten zu Kettenwanderungen. In der ersten großen Auswanderungswelle „Old Immigration“ zwischen 1820 und 1880 verließen etwa 5,5 Millionen Deutsche ihre Heimat.

 

Auswanderer in den Auswandererhallen

Ab 1890 begann die zweite große Auswanderungswelle „New Immigration“, dabei war Deutschland vor allem ein Transitland für Auswanderer aus Ost- und Südosteuropa, der Anteil der deutschen Auswanderer lag etwa bei 11%.

Zunächst war Bremen / Bremerhaven der vorrangige deutsche Hafen für Auswanderer nach Amerika. Nachdem allerdings im Juli 1892 die sogenannten Auswandererbaracken in Hamburg eröffnet wurden, die im Hamburger Hafen direkt am Amerika Kai lagen, wurde Hamburg als Abreisehafen für Auswanderer bedeutsamer. Allein zwischen 1896 und 1913 emigrierten über 1,7 Millionen Menschen von Hamburg aus.

Während zuvor mehr oder weniger seriöse Logierhäuser, Gästehäuser, Hotels und Privatquartiere ihr Geschäft mit den Auswanderern machten, hatte Albert Ballin, der 1886 die Reederei HAPAG übernommen hatte, die geniale Idee einer Auswandererstadt auf der Veddel mit eigenen Bahnanschluss, 14 Gebäuden, darunter eine Speisehalle, Synagoge und Kirche, Lazarett und Geschäft auf  über 50.000 Quadratmeter mit Platz für bis zu 5.000 Menschen.

Für Millionen von  Auswanderern nach Amerika war Hamburg das Tor zur neuen Welt. Das Auswanderermuseum Ballinstadt auf der Veddel in Hamburg erzählt die Geschichte der Auswanderung nach Amerika. Doch viele der Auswanderer wurden in Hamburg von Pensionswirten oder unseriösen Geschäftsleuten ausgebeutet.

Albert Ballin

Albert Ballin, der 1886 die Reederei HAPAG übernommen hatte, hatte die geniale Idee einer Auswandererstadt auf der Veddel mit eigenen Bahnanschluss, 14 Gebäuden, darunter eine Speisehalle, Synagoge und Kirche, Lazarett und Geschäft auf  über 50.000 Quadratmeter mit Platz für bis zu 5.000 Menschen.  Albert Ballin wuchs in der Straße Stubbenhuk, einer ärmlichen Gegend am Hamburger Hafen inmitten von Hafenarbeitern, Seeleuten, Kleinhändlern und Kneipen auf. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er seine kleine Agentur, die Auswanderern Schiffspassagen nach Übersee vermittelte.  Seine Idee, in Kooperation mit einer Schifffahrtslinie billige Massentransporte nach New York anzubieten, im dazu eingebauten Zwischendeck von Frachtschiffen ist der Beginn einer beispiellosen Karriere im Deutschen Reich, der ihn an die Spitze der Hamburg-Amerikanischen-Packetfahrt-Actien-Gesellschaft, der Hapag, führte.

Die „Ballinstadt“ und das innovative Geschäftsmodell, Vergnügungsreisen für betuchte Bürger ins warme Mittelmeer anzubieten, wenn Auswandererschiffe im Winter nicht ausgelastet waren, vergrößerte seinen Ruhm und machte Albert Ballin zum Erfinder von Kreuzfahrten. An die 200 Schiffe der Hapag befuhren die Meere auf mehr als 70 weltumspannenden Routen und liefen die bedeutenden Häfen auf allen Kontinenten an. Albert Ballin ließ die größten und schnellsten Dampfer der Zeit bauen und machte die Hapag zur größten Reederei der Welt. Sein geschäftlicher Erfolg verhalf dem jüdischen Unternehmer zu Ruhm und gesellschaftlichem Ansehen, er wurde zum „Freund und Reeder Kaisers Wilhelm II“.

Der Erste Weltkrieg führte zum Niedergang des der Hapag. Der uneingeschränkten U-Boot-Krieg ab 1917 ließ den Handelsverkehr zusammenbrechen, Hapag Schiffe wurden von der Marine beansprucht, in ausländischen Häfen festgesetzt oder sie  lagen untätig im Hamburger Hafen.

Angesichts der Zerstörung seines Lebenswerks und des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland beendete Albert Ballin sein Leben am 9. November 1918, nachdem in Deutschland die Republik ausgerufen wurde.

Auswanderer gehen in Hamburg an Bord

Auswandererschiffe waren zunächst Segelschiffe, die vor allem dem Warentransport von Übersee nach Europa dienten, Rohstoffe wie Baumwolle, Tabak, Reis, Tran, die viel Platz benötigten. Für den Transport von Fertigwaren auf der Ost-West-Route blieb genügend Platz, um zwischen Oberdeck und Laderaum ein finanziell lukratives Zwischendeck von 1,80 m Höhe für Auswanderer einzubauen. Die Reisebedingungen dort waren jedoch meistens katastrophal. Die Enge, die stickige Luft, die kärgliche Ernährung und unhygienischen Verhältnisse an Bord führten zu Krankheiten und Epidemien, etwa 10% der Auswanderer starben während der sechs bis siebenwöchigen Fahrt.

In den 1870er und 1880er Jahren verbesserten sich die Reisebedingungen für die Auswanderer durch Verordnungen und Gesetze, die den Raumbedarf je Passagier, die Schlafplätze, Belüftung und  Beleuchtung, sanitäre Einrichtungen, Verpflegung, medizinische Betreuung, Rettungsausrüstung und die wasserdichte Unterteilung der Schiffe vorschrieben. Dampfschiffe verkürzten die Fahrt nach Amerika auf etwa zwei Wochen, bis zu 2500 Personen konnten auf ihnen bei verbesserten Lebensbedingungen befördert werden.

Ellis Island. Anlegestelle für Einwanderer

Nachdem viele Immigranten Jahrzehnte lang über Castle Clinton nach New York  eingereist waren, wurde Ellis Island, die Träneninsel (isle of tears) ab 1900 die Sammelstelle für Einwanderer.

Die Immigranten konnten dort auf unerwünschte Krankheiten wie Herzleiden, Infektionskrankheiten, Senilität, die Augenkrankheit Trachom oder  eine psychische Erkrankung überprüft und aussortiert werden. Nur gesunden, wirtschaftlich selbstständigen  Einwanderern öffnete man die Tür mit der Aufschrift „Push to New York“. Unerwünschten Personen verwehrte man den Einlass nach New York und schickte sie in die Heimat zurück. Die Beamten der Immigrationsbehörde verhinderten die Einreise tausender Auswanderer. Einige wiesen sie sogar nachträglich aus. Darunter waren Menschen, die mit der Begründung zurückgeschickt wurden, dass sie geisteskrank wären. Das amerikanische Einwanderungsgesetz sah vor, dass „Idioten, Schwachsinnige, Menschen mit geistigen Problemen und Menschen, die einen oder mehr Anfälle von geistiger Krankheit“ hatten, nicht in die USA eingelassen werden. Auch altersdemente Menschen wurden abgewiesen und mussten allein zurück. Die Immigationsbehörden nutzten den Vorwand aber auch, um ehemalige Kleinkriminelle, Prostituierte oder einfach Vereinzelte und Arme fernzuhalten. Die Reedereien mussten die Abgewiesenen wieder in die Heimat bringen, d.h. zunächst zurück nach Hamburg. Sie kamen dann häufig in die sogenannte „Irrenanstalt“ Friedrichsberg. Viele der Akten dieser Gescheiterten liegen heute im Archiv des Universitätsklinikums Hamburg. Sie zeigen, dass diese Menschen nicht „irre“ waren. Einge hatten einfach Angst oder schlimmes Heimweh.

Deutsche Immigranten, denen die Einreise gewährt wurde, begaben sich zunächst meistens nach Kleindeutschland (Little Germany) an der Lower East Side in Manhattan, bevor sie sich auf die Weiterreise in die Siedlungsgebiete machten. Deutschen Einwanderer hatten in der Regel Schulbildung und waren geschickte Handwerker, sie fanden Arbeit als Landwirte, Bäcker, im Baugewerbe und eröffneten Geschäfte, in denen sie erfolgreich deutsche Delikatessen anboten.

Oft folgten sie bereits früher eingereisten Bekannten oder Verwandten und siedelten sich in Gebieten im mittleren Westen Amerikas an (German Belt), die ihnen Arbeitsmöglichkeiten für eine eigene Existenz boten und ihren Heimatlandschaften ähnelten.

Die deutschen Einwanderer prägten das gesellschaftliche, geistige und kulturelle Leben der Vereinigten Staaten als eine der am besten organisierten und am höchsten angesehenen Einwanderergruppen des Landes. Sie engagierten sich in Gewerkschaften und pflegten in ihrer neuen Heimat Amerika deutsche Traditionen. Deutsche Zeitungen sorgten zudem für den Zusammenhalt der deutschen Immigranten.

Verbreitung von US-Amerikanern mit deutschen Vorfahren im Jahr 2000. Die Gebiete, in denen mehrheitlich Deutschstämmige leben sind hellblau.

Die kulturelle Eigenständigkeit endete mit dem Eintritt Amerikas in den Ersten und Zweiten Weltkrieg, es wurden Gesetze erlassen, die nur noch Englisch als öffentliche Sprache erlaubten. Der Druck verlangte eine Entscheidung, aus Deutschamerikanern wurden Amerikaner.

Aber über 40 Millionen US-Amerikaner haben deutsche Vorfahren. Bekannte Namen sind deutsch, wie der von Levi Strauss, der als Erfinder der Jeans gilt, oder von Heinrich Steinweg, der in New York City die späteren Klavierwerke Steinway & Sons gründete.

Einige Deutschamerikaner machten Geschichte: Carl Schurz floh aus politischen Gründen nach Amerika und kämpfte gegen die Sklaverei, er war von 1877 bis 1881 US-Innenminister. Seine Frau Margarethe Meyer-Schurz richtete 1856 in Watertown, Wisconsin den ersten Kindergarten des Landes ein – eine Institution, die ihren deutschen Namen in den USA bis heute behalten hat.

 

Weiterführende Literatur:

Blaschka-Eick, Simone: In die Neue Welt.Reinbek 2010.

Das Auswanderermuseum Ballinstadt. Hamburg 2007.

Emmerich, Alexander: Die Geschichte der Deutschen in Amerika. Köln 2010.

Groppe, Hans-Hermann, Wöst, Ursula: Über Hamburg in die Welt. Hamburg 2007

Schulz, Karin: Hoffnung Amerika. Bremerhaven 2008.

Wiborg, Susanne. Albert Ballin. Hamburg 2013.

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Museum Ballinstadt, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2015-06-07-BallinStadt-Hamburg.jpg).

Abb. Thementext: Samuel Hop, nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bundesarchiv_Bild_137-041316,_Auswandererschiff_%22Samuel_Hop%22.jpg); Auswanderer vor den Auswandererhallen, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Auswanderer_Hamburg_1907.jpg?uselang=de); Albert Ballin, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Albert_Ballin_2.jpg); Auswanderer gehen in Hamburg an Bord, nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:GermanEmigrantsBoardingAShipInHamburg.jpg); Ellis Island (Foto A. Coeffler), nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Ellis_Island_in_1905.jpg); Verbreitungs-Grafik USA, nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:US_ancestry2000_de.png).