Frauenbewegung in der Weimarer Republik

Kirsten Heinsohn (Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg)

Die neue Frau

Die politischen Bedingungen für die Frauenbewegung hatten sich mit dem Übergang zur ersten deutschen Republik grundlegend gewandelt: Die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen war zumindest grundsätzlich gegeben, und auch die Ehe sollte „auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter“ beruhen.

Auf dem Titelblatt der Januarausgabe 1919 ruft „Das Illustrierte Blatt“ auch Frauen dazu auf, ihr Wahlrecht wahrzunehmen

Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit war garantiert, und alle Frauen, die älter als 21 waren, hatten das Recht, aktiv und passiv an Wahlen teilzunehmen. Damit war ein Teil der politischen Forderungen der Frauenbewegung erfüllt, nun ging es darum, diese Rechte auch zu nutzen Doch nach wie vor war das Geschlechtermodell des 19. Jahrhunderts: „der Mann das Haupt, die Frau das Herz der Familie“ im Bewusstsein der Zeitgenossen tief verankert.

Die „neue Frau“ mit kurzen Haaren und einem eigenen Beruf als Angestellte war eine städtische Erscheinung; nur hier war es für junge Frauen möglich, relativ selbstständig ein eigenes Leben zu gestalten, und auch dies ist nur wenigen wirklich gelungen. Denn auch in der Stadt galt wie auf dem Land, dass Mädchen und Frauen vorrangig als Teil einer Familie angesehen wurden, also unter der Obhut des Vaters bzw. des Ehemannes lebten. Die große Mehrheit der Frauen strebte auch danach, verheiratet zu sein und eine eigene Familie zu gründen. Nach wie vor mangelte es an Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen, und spezifische “Frauenberufe” im Verkauf oder in der Produktion wurden schlecht bezahlt. Eine gewisse Selbstständigkeit war daher nur durch eine eigene Familie gegeben. Doch die Erwerbsarbeit stand auch für viele verheiratete Frauen an: Mitte der Zwanziger Jahre war ein Drittel der erwerbstätigen Frauen in Hamburg verheiratet, hatte also wohl eine Doppelbelastung von Hausarbeit und Arbeitspflichten zu erledigen.

Eine der wichtigsten Aktivitäten der Frauenvereine in Hamburg nach dem Übergang zur Republik war die Vorbereitung der Frauen, die erstmals wählen durften. Nun zeigte sich, dass die zentrale Organisation der Hamburger Frauen-Bewegung, der Stadtbund, auf die gemeinsamen Erfahrungen seit 1915 zurückgreifen konnte.

Per Flugblatt und mit großen Erfolg bei Hamburgs Frauen wirbt der „Wahlwerbeausschuss Hamburgischer Frauenvereine“ 1919 für die Wahlen zur Nationalversammlung

Schon am 14. November 1918 gründete der Stadtbund den überparteilichen „Wahlwerbeausschuss Hamburgischer Frauenvereine“, der öffentliche Versammlungen für Frauen organisierte, in denen die Parteien mit ihren Programmen vorgestellt wurden. Ende November fand die erste dieser Veranstaltungen im Zirkus Busch statt, die von fast 7000 Frauen besucht wurde. Diese Aktivitäten, die in ähnlicher Form überall im Reich von Frauenvereinen oder Parteifrauen organisiert wurden, waren überaus erfolgreich. Die Wahlbeteiligung von Frauen war beeindruckend und sicher auch auf die Werbearbeit der Vereine zurückzuführen: 82,3 % der wahlberechtigten Frauen gaben im Reich ihre Stimme zur Nationalversammlung ab, in Hamburg waren es fast 91 %.

Derartige Ergebnisse blieben allerdings die Ausnahme, denn schon bald nahm das Interesse an Wahlen wieder ab. Insgesamt verlagerte sich die Werbung zu den Wahlen seit 1919 in die Parteien. Diese gründeten eigene Frauengruppen, die vor allen Dingen weibliche Mitglieder und Wählerinnen gewinnen sollten. An zweiter Stelle ihres Aufgabenkataloges kam dann die Ausformulierung der parteispezifischen Frauenpolitik.

Es ist also kein Wunder, dass fast alle prominenten Frauen der Bewegung zum einen einer Partei ihrer Wahl beitraten, um dort die „Frauenarbeit“ voranzubringen, und zum anderen als Kandidatinnen fungierten. Die Parteien andererseits suchten auch nach bekannten Persönlichkeiten, die glaubhaft machen konnten, diese Partei sei besonders offen für die Anliegen der Frauen.

Frieda Radel saß für die DDP in der Hamburgischen Bürgerschaft

Als Lehrerin hat sich Elisabeth Seifahrt in der DDP vor allem in der Bildungspolitik engagiert

In Hamburg nahmen insbesondere die Vertreterinnen der dritten Generation der Frauenbewegung das Angebot der liberalen Parteien auf: Emmy Beckmann, Frieda Radel und Elisabeth Seifahrt (1860–1933, Mitbegründerin des „Vereins Hamburger Volksschullehrerinnen“) wurden für die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP), Emma Ender für die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) neben 13 anderen Frauen in die erste Bürgerschaft nach Ende des Krieges gewählt.

Diese Frauen nahmen die Themen ihrer Bewegung mit in die Bürgerschaft: Sie setzten sich auf allen Gebieten der Wohlfahrtspflege, in Fragen der Reglementierung der Prostitution, im Schul- und Erziehungswesen und in kulturellen Angelegenheiten für die Interessen von Frauen ein. Bertha Wendt (DDP), sprach 1921 erstmals den Wunsch aus, dass auch im Senat Frauen vertreten sein sollten – doch löste diese Rede nur Heiterkeit aus.

Bertha Wendt (DDP) plädierte für weibliche Senatsmitglieder

Hier zeigte sich wieder, dass die Zulassung von Frauen zum Parlament an den zeitgenössischen Ideen über die Aufgabenverteilung der Geschlechter nichts geändert hatte: Soziale und kulturelle Arbeit war erwünscht, Positionen mit Machtbefugnissen standen dagegen weiterhin nur Männern offen.

Die SPD war die einzige Partei, die einen gleichbleibenden Anteil an weiblichen Abgeordneten in die Bürgerschaft entsandte: Während der gesamten Zeit der Republik blieb der Frauenanteil stets über 10 Prozent, das waren fünf bis maximal neun Abgeordnete, unter ihnen auch Grete Zabe.

Grete Zabe saß für die SPD in der Hamburgischen Bürgerschaft

Die SPD konnte auf ausgebildete und aktive Parteifrauen für die Parlamentsarbeit zurückgreifen; sie musste nicht um die Gunst der politisch erfahrenen Frauen aus den Vereinen buhlen.

Auf der Linken hatte sich außerdem mit der Kommunistischen Partei (KPD) 1919 eine neue Partei gegründet, die sich als revolutionäre Alternative zur Sozialdemokratie verstand. In Hamburg delegierte die Partei ab 1921 zwei Frauen in die Bürgerschaft (von insgesamt 17 Abgeordneten), in den beiden letzten freien Wahlen 1931 und 1932 waren es sogar sechs (von 35) bzw. fünf (von 26). Die KPD hatte damit den höchsten Frauenanteil einer Fraktion in der Weimarer Republik. Die Frauenpolitik der KPD war jedoch vorrangig an der Mobilisierung von Arbeiterinnen für das politisch-revolutionäre Programm der Partei interessiert. Wie auch in allen anderen Themenbereichen wurden die Direktiven der Frauenpolitik von der Spitze der Partei vorgegeben. Ein Versuch, weibliche Mitglieder zu gewinnen, bestand in dem 1927 ins Leben gerufenen Delegiertensystem mit regelmäßigen lokalen Konferenzen in den Stadtteilen. Dieses Konzept, das an der „Bewusstseinslage der Frauen“. und ihren schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen ansetzte, erwies sich in Hamburg ab 1928 als erfolgreich. Dennoch blieben für die KPD als revolutionärer Partei zwei zentrale Probleme bestehen: Es gab zum einen keine genuine Frauenpolitik, sondern eine Parteipolitik für Frauen. Die Frauenpolitik der KPD blieb bis zum Verbot der Partei eng an die Strukturen und die Bedürfnisse der Partei gebunden.

Die Frauen der SPD stellten bei weitem die meisten Parlamentarierinnen während der gesamten Zeit der Republik. Aber auch sie waren zur Kooperation mit den sogenannten bürgerlichen Parteien gezwungen, wollten sie erfolgreich sein. Je stärker die Stimmenanteile der Liberalen im Laufe der Republik aber schwanden, desto weniger Frauen wurden für diese Parteien gewählt, und die rechten Parteien stellten nur sehr zögerlich, wenn überhaupt, Frauen auf. In der letzten frei gewählten Bürgerschaft 1932 waren daher nur noch die SPD und die Kommunistische Partei mit je fünf Frauen vertreten. Insgesamt zeigte sich in allen Parteien, dass der Frauenanteil in der Bürgerschaft in Hamburg zwar relativ hoch war (1919: 10,6 %, 1928: 9,4 %, 1932: noch 6,3 %), dass aber dieser quantitative Anteil bei weitem nicht ausreichte, um Frauenthemen erfolgreich in parlamentarische Initiativen umzusetzen.

Ein weiteres „Problem“ für die Frauenbewegung entstand dann noch aus einem krassen Missverhältnis zwischen den Möglichkeiten der (wenigen) Frauen in der Bürgerschaft einerseits und den Erwartungen, die an diese Frauen gerichtet wurden, andererseits. Viele Enttäuschungen über „die“ Politik resultierten aus diesem Missverhältnis.

Emma Ender koordinierte im Stadtbund die verschiedenen Aktivitäten der Frauenvereine in Hamburg

Der Stadtbund konnte dennoch unter der Leitung von Emma Ender seine rege Aktivität fortsetzen und zugleich erweitern. Er integrierte die Hausfrauenverbände in seine Arbeit. Insbesondere die hauswirtschaftliche Grundausbildung für alle Mädchen und Frauen bildete das zentrale Thema aller deutschen Hausfrauenverbände in der Weimarer Republik. Diese Vereine, zu denen zunächst auch die Landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine zählten, gehörten nach 1918 zu den mitgliederstärksten Frauenorganisationen in der Republik.

Eine andere Besonderheit des Stadtbundes war seine religiöse Neutralität. Mit der Wahl von Sidonie Werner (1860–1932), der Gründerin des Israelitisch-humanitären Frauenvereins, zur zweiten Vorsitzenden demonstrierte er deutlich, dass der Bund keine antisemitische Politik betreiben wollte.

Die Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege blieb ein Schwerpunkt der Frauenbewegung. Der Stadtbund gründete zum Beispiel die Hamburgische Frauenhilfe 1923, um in der Inflationszeit bedürftigen Erwachsenen und Kindern beistehen zu können.

Getrud Bäumer leitete die 1917 eröffnete Soziale Frauenschule

In dieser der Not geschuldeten Organisation arbeiteten auch die Sozialdemokratinnen mit, die ihre eigenen Erfahrungen aus der Hamburger Arbeiterwohlfahrt (AWO) einbrachten. Auf dem Gebiet der Ausbildung für soziale Berufe setzte die Hamburger Bewegung wie schon 1848 ein besonderes Zeichen, als 1917 die Soziale Frauenschule unter der Leitung von Gertrud Bäumer und Dr. Marie Baum (1874–1964) eröffnet wurde.

Neben dieser „traditionellen“ Tätigkeit aber wurden Aufgaben der staatsbürgerlichen Bildung von Frauen wichtiger. Es gab vor allem drei Bereiche, die die Frauenbewegung in Hamburg nach 1918 thematisierte: erstens die Bekämpfung der staatlichen Reglementierung der Prostitution bzw. im weitesten Sinne die „Sittlichkeitsfrage“, zu der auch die Frage der Sexualberatung und die Auseinandersetzung mit der Abtreibungsfrage gehörte.

Schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert setzten sich unterschiedliche Vereine, auch Frauenvereine, für eine Reform der Kontrolle von Prostituierten ein. In Hamburg galt seit 1876 eine Verordnung, die die Überwachung der registrierten Prostituierten, die in sogenannten „Beherbergerhäusern“ wohnen und arbeiten mussten, der Sittenpolizei überließ. Insbesondere der staatlich angeordnete Zwang für die betroffenen Frauen, in bestimmten Häusern zu wohnen und sich regelmäßig ärztlich untersuchen zu lassen, sowie das Problem, dass bei der Suche nach freien, also nicht registrierten Prostituierten mitunter auch unschuldige Frauen verhaftet und untersucht wurden, erregte das Missfallen etlicher politisch aktiver Frauen.

Die Reglementierung der Prostitution wurde 1922 abgeschafft, nicht zuletzt durch eine erfolgreiche Arbeit der weiblichen Mitglieder der Bürgerschaft. Alle Bordelle („Beherbergerhäuser“) mussten geschlossen werden – aber die individuelle Kontrolle der Prostituierten blieb weiterhin erhalten, wenn auch seit 1927 nicht mehr durch die Polizei, sondern durch das Gesundheitsamt.

Die Diskussion über „Sittlichkeit“ und sexuelle Aufklärung polarisierte jedoch weiter die Bewegung. Während einige Radikale und viele SPD und KPD-Frauen sich für eine Abschaffung des § 218 einsetzten, lehnten große Teile des bürgerlichen Spektrums diese Forderung ab. Auch blieben die Sexualberatungsstellen allein ein Projekt weniger engagierter, linker Frauen und Männer.

Der Internationale Frauentag gab vor allem in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre vielen Forderungen der Frauen ein Forum

Der zweite Bereich war die aktive Arbeit für Frieden, die die Hamburger Ortsgruppe der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit leitete. Die IFFF warb für weltweite Abrüstung, wollte den Friedensgedanken und die Gewaltlosigkeit als zentrale Prinzipien der Erziehung verankern und engagierte sich für internationale Kooperation.

Drittens beschäftigten sich die Frauenvereine ab 1930 dezidiert mit Rückschlägen gegen die Gleichberechtigung der Frauen. Ein besonderes Thema war dabei die Diskussion über das Doppelverdienertum. Damit waren berufstätige Ehefrauen gemeint, die in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen erwerbsfähigen Männern die Arbeit „wegnehmen“ würden. Diese Auffassung entfaltete in der beginnenden Wirtschaftskrise ab 1929 eine Dynamik. Je höher die Arbeitslosenzahlen stiegen, desto lauter wurde die Forderung, verheiratete Frauen zu entlassen.

Eine weitere Gefahr für die Rechte der Frauen sah die Frauenbewegung in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bzw. ihren Wahlerfolgen heraufziehen. Die NSDAP erkannte die Gleichberechtigung der Frau nicht an und ließ sich politisch auf keiner Ebene von einer Frau repräsentieren. Ihre Ziele waren eindeutig der Sturz der Republik sowie eine nach rassistischen Definitionen aufgebaute Gesellschaft, in der „Deutsche“ gefördert und „Andere“ ausgegrenzt werden sollten. Die Aufgabe der Frauen sahen die Nationalsozialisten ganz traditionell in der Familie, als Hausfrau und Mutter. Aus diesem Grund äußerte sich die Partei nur abfällig über Frauen, die politisch tätig waren. Ab 1932 begann die Partei allerdings gezielt auch Frauen anzusprechen, um die Anzahl der Wählerinnen zu erhöhen.

Beide linke Parteien strebten danach, ihre jeweiligen Frauengruppen nun auch verstärkt in den allgemeinen antifaschistischen Abwehrkampf einzubinden, 1931 etwa in die Tätigkeit für die „Eiserne Front“, eine gewerkschaftliche, SPD-nahe Abwehrorganisation.

 

Mit der „Frauenfront 1932“ versuchten in Stadtbund und SPD engagierte Frauen, sich gegen die politisch erstarkende NSDAP zu behaupten

Die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit forderte demgegenüber einen gemeinsamen Kampf der Frauen gegen die NSDAP, unabhängig von Partei und Konfession.  Neben den Frauen der SPD und KPD sowie dem IFFF war es vor allem der Stadtbund, der die Bedrohung der Demokratie und der Frauenrechte durch diese Partei sehr ernst nahm. Stadtbund und Sozialdemokratinnen bildeten deshalb die „Frauenfront 1932“, die die gemeinsame Agitation gegen die NSDAP leitete. Ihre demokratischen Aktionen konnten allerdings den Aufstieg der NSDAP nicht mehr stoppen, denn die konservativ gesinnte Führungsgruppe um den Reichspräsidenten war zum Jahresende 1932 gewillt, die NSDAP als Regierungspartei zu akzeptieren.

Ende Januar 1933 hatten die Nationalsozialisten dann einen wichtigen Punkt auf ihrem Weg an die Macht erreicht: Adolf Hitler wurde Reichskanzler.

Frauen wählen mit Begeisterung

Eine der wichtigsten Aktivitäten der Frauenvereine in Hamburg nach dem Übergang zur Republik war die Vorbereitung der Frauen, die erstmals wählen durften. Nun zeigte sich, dass die zentrale Organisation der Hamburger Frauen-Bewegung, der Stadtbund, auf die gemeinsamen Erfahrungen seit 1915 zurückgreifen konnte.

Per Flugblatt und mit großen Erfolg bei Hamburgs Frauen wirbt der „Wahlwerbeausschuss Hamburgischer Frauenvereine“ 1919 für die Wahlen zur Nationalversammlung

Schon am 14. November 1918 gründete der Stadtbund den überparteilichen „Wahlwerbeausschuss Hamburgischer Frauenvereine“, der öffentliche Versammlungen für Frauen organisierte, in denen die Parteien mit ihren Programmen vorgestellt wurden. Ende November fand die erste dieser Veranstaltungen im Zirkus Busch statt, die von fast 7000 Frauen besucht wurde. Diese Aktivitäten, die in ähnlicher Form überall im Reich von Frauenvereinen oder Parteifrauen organisiert wurden, waren überaus erfolgreich. Die Wahlbeteiligung von Frauen war beeindruckend und sicher auch auf die Werbearbeit der Vereine zurückzuführen: 82,3 % der wahlberechtigten Frauen gaben im Reich ihre Stimme zur Nationalversammlung ab, in Hamburg waren es fast 91 %.

Derartige Ergebnisse blieben allerdings die Ausnahme, denn schon bald nahm das Interesse an Wahlen wieder ab. Insgesamt verlagerte sich die Werbung zu den Wahlen seit 1919 in die Parteien. Diese gründeten eigene Frauengruppen, die vor allen Dingen weibliche Mitglieder und Wählerinnen gewinnen sollten. An zweiter Stelle ihres Aufgabenkataloges kam dann die Ausformulierung der parteispezifischen Frauenpolitik.

Frauen in den Parteien

Es ist also kein Wunder, dass fast alle prominenten Frauen der Bewegung zum einen einer Partei ihrer Wahl beitraten, um dort die „Frauenarbeit“ voranzubringen, und zum anderen als Kandidatinnen fungierten. Die Parteien andererseits suchten auch nach bekannten Persönlichkeiten, die glaubhaft machen konnten, diese Partei sei besonders offen für die Anliegen der Frauen.

Frieda Radel saß für die DDP in der Hamburgischen Bürgerschaft

Als Lehrerin hat sich Elisabeth Seifahrt in der DDP vor allem in der Bildungspolitik engagiert

In Hamburg nahmen insbesondere die Vertreterinnen der dritten Generation der Frauenbewegung das Angebot der liberalen Parteien auf: Emmy Beckmann, Frieda Radel und Elisabeth Seifahrt (1860–1933, Mitbegründerin des „Vereins Hamburger Volksschullehrerinnen“) wurden für die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP), Emma Ender für die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) neben 13 anderen Frauen in die erste Bürgerschaft nach Ende des Krieges gewählt.

Diese Frauen nahmen die Themen ihrer Bewegung mit in die Bürgerschaft: Sie setzten sich auf allen Gebieten der Wohlfahrtspflege, in Fragen der Reglementierung der Prostitution, im Schul- und Erziehungswesen und in kulturellen Angelegenheiten für die Interessen von Frauen ein. Bertha Wendt (DDP), sprach 1921 erstmals den Wunsch aus, dass auch im Senat Frauen vertreten sein sollten – doch löste diese Rede nur Heiterkeit aus.

Bertha Wendt (DDP) plädierte für weibliche Senatsmitglieder

Hier zeigte sich wieder, dass die Zulassung von Frauen zum Parlament an den zeitgenössischen Ideen über die Aufgabenverteilung der Geschlechter nichts geändert hatte: Soziale und kulturelle Arbeit war erwünscht, Positionen mit Machtbefugnissen standen dagegen weiterhin nur Männern offen.

Die Linke und die Frauen

Die SPD war die einzige Partei, die einen gleichbleibenden Anteil an weiblichen Abgeordneten in die Bürgerschaft entsandte: Während der gesamten Zeit der Republik blieb der Frauenanteil stets über 10 Prozent, das waren fünf bis maximal neun Abgeordnete, unter ihnen auch Grete Zabe.

Grete Zabe saß für die SPD in der Hamburgischen Bürgerschaft

Die SPD konnte auf ausgebildete und aktive Parteifrauen für die Parlamentsarbeit zurückgreifen; sie musste nicht um die Gunst der politisch erfahrenen Frauen aus den Vereinen buhlen.

Auf der Linken hatte sich außerdem mit der Kommunistischen Partei (KPD) 1919 eine neue Partei gegründet, die sich als revolutionäre Alternative zur Sozialdemokratie verstand. In Hamburg delegierte die Partei ab 1921 zwei Frauen in die Bürgerschaft (von insgesamt 17 Abgeordneten), in den beiden letzten freien Wahlen 1931 und 1932 waren es sogar sechs (von 35) bzw. fünf (von 26). Die KPD hatte damit den höchsten Frauenanteil einer Fraktion in der Weimarer Republik. Die Frauenpolitik der KPD war jedoch vorrangig an der Mobilisierung von Arbeiterinnen für das politisch-revolutionäre Programm der Partei interessiert. Wie auch in allen anderen Themenbereichen wurden die Direktiven der Frauenpolitik von der Spitze der Partei vorgegeben. Ein Versuch, weibliche Mitglieder zu gewinnen, bestand in dem 1927 ins Leben gerufenen Delegiertensystem mit regelmäßigen lokalen Konferenzen in den Stadtteilen. Dieses Konzept, das an der „Bewusstseinslage der Frauen“. und ihren schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen ansetzte, erwies sich in Hamburg ab 1928 als erfolgreich. Dennoch blieben für die KPD als revolutionärer Partei zwei zentrale Probleme bestehen: Es gab zum einen keine genuine Frauenpolitik, sondern eine Parteipolitik für Frauen. Die Frauenpolitik der KPD blieb bis zum Verbot der Partei eng an die Strukturen und die Bedürfnisse der Partei gebunden.

Die Frauen der SPD stellten bei weitem die meisten Parlamentarierinnen während der gesamten Zeit der Republik. Aber auch sie waren zur Kooperation mit den sogenannten bürgerlichen Parteien gezwungen, wollten sie erfolgreich sein. Je stärker die Stimmenanteile der Liberalen im Laufe der Republik aber schwanden, desto weniger Frauen wurden für diese Parteien gewählt, und die rechten Parteien stellten nur sehr zögerlich, wenn überhaupt, Frauen auf. In der letzten frei gewählten Bürgerschaft 1932 waren daher nur noch die SPD und die Kommunistische Partei mit je fünf Frauen vertreten. Insgesamt zeigte sich in allen Parteien, dass der Frauenanteil in der Bürgerschaft in Hamburg zwar relativ hoch war (1919: 10,6 %, 1928: 9,4 %, 1932: noch 6,3 %), dass aber dieser quantitative Anteil bei weitem nicht ausreichte, um Frauenthemen erfolgreich in parlamentarische Initiativen umzusetzen.

Ein weiteres „Problem“ für die Frauenbewegung entstand dann noch aus einem krassen Missverhältnis zwischen den Möglichkeiten der (wenigen) Frauen in der Bürgerschaft einerseits und den Erwartungen, die an diese Frauen gerichtet wurden, andererseits. Viele Enttäuschungen über „die“ Politik resultierten aus diesem Missverhältnis.

Frauenvereine fordern mehr

Emma Ender koordinierte im Stadtbund die verschiedenen Aktivitäten der Frauenvereine in Hamburg

Der Stadtbund konnte dennoch unter der Leitung von Emma Ender seine rege Aktivität fortsetzen und zugleich erweitern. Er integrierte die Hausfrauenverbände in seine Arbeit. Insbesondere die hauswirtschaftliche Grundausbildung für alle Mädchen und Frauen bildete das zentrale Thema aller deutschen Hausfrauenverbände in der Weimarer Republik. Diese Vereine, zu denen zunächst auch die Landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine zählten, gehörten nach 1918 zu den mitgliederstärksten Frauenorganisationen in der Republik.

Eine andere Besonderheit des Stadtbundes war seine religiöse Neutralität. Mit der Wahl von Sidonie Werner (1860–1932), der Gründerin des Israelitisch-humanitären Frauenvereins, zur zweiten Vorsitzenden demonstrierte er deutlich, dass der Bund keine antisemitische Politik betreiben wollte.

Die Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege blieb ein Schwerpunkt der Frauenbewegung. Der Stadtbund gründete zum Beispiel die Hamburgische Frauenhilfe 1923, um in der Inflationszeit bedürftigen Erwachsenen und Kindern beistehen zu können.

Getrud Bäumer leitete die 1917 eröffnete Soziale Frauenschule

In dieser der Not geschuldeten Organisation arbeiteten auch die Sozialdemokratinnen mit, die ihre eigenen Erfahrungen aus der Hamburger Arbeiterwohlfahrt (AWO) einbrachten. Auf dem Gebiet der Ausbildung für soziale Berufe setzte die Hamburger Bewegung wie schon 1848 ein besonderes Zeichen, als 1917 die Soziale Frauenschule unter der Leitung von Gertrud Bäumer und Dr. Marie Baum (1874–1964) eröffnet wurde.

Bildung und Sittlichkeitsfragen

Neben dieser „traditionellen“ Tätigkeit aber wurden Aufgaben der staatsbürgerlichen Bildung von Frauen wichtiger. Es gab vor allem drei Bereiche, die die Frauenbewegung in Hamburg nach 1918 thematisierte: erstens die Bekämpfung der staatlichen Reglementierung der Prostitution bzw. im weitesten Sinne die „Sittlichkeitsfrage“, zu der auch die Frage der Sexualberatung und die Auseinandersetzung mit der Abtreibungsfrage gehörte.

Schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert setzten sich unterschiedliche Vereine, auch Frauenvereine, für eine Reform der Kontrolle von Prostituierten ein. In Hamburg galt seit 1876 eine Verordnung, die die Überwachung der registrierten Prostituierten, die in sogenannten „Beherbergerhäusern“ wohnen und arbeiten mussten, der Sittenpolizei überließ. Insbesondere der staatlich angeordnete Zwang für die betroffenen Frauen, in bestimmten Häusern zu wohnen und sich regelmäßig ärztlich untersuchen zu lassen, sowie das Problem, dass bei der Suche nach freien, also nicht registrierten Prostituierten mitunter auch unschuldige Frauen verhaftet und untersucht wurden, erregte das Missfallen etlicher politisch aktiver Frauen.

Die Reglementierung der Prostitution wurde 1922 abgeschafft, nicht zuletzt durch eine erfolgreiche Arbeit der weiblichen Mitglieder der Bürgerschaft. Alle Bordelle („Beherbergerhäuser“) mussten geschlossen werden – aber die individuelle Kontrolle der Prostituierten blieb weiterhin erhalten, wenn auch seit 1927 nicht mehr durch die Polizei, sondern durch das Gesundheitsamt.

Die Diskussion über „Sittlichkeit“ und sexuelle Aufklärung polarisierte jedoch weiter die Bewegung. Während einige Radikale und viele SPD und KPD-Frauen sich für eine Abschaffung des § 218 einsetzten, lehnten große Teile des bürgerlichen Spektrums diese Forderung ab. Auch blieben die Sexualberatungsstellen allein ein Projekt weniger engagierter, linker Frauen und Männer.

Frauen für den Frieden

Der Internationale Frauentag gab vor allem in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre vielen Forderungen der Frauen ein Forum

Der zweite Bereich war die aktive Arbeit für Frieden, die die Hamburger Ortsgruppe der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit leitete. Die IFFF warb für weltweite Abrüstung, wollte den Friedensgedanken und die Gewaltlosigkeit als zentrale Prinzipien der Erziehung verankern und engagierte sich für internationale Kooperation.

Drittens beschäftigten sich die Frauenvereine ab 1930 dezidiert mit Rückschlägen gegen die Gleichberechtigung der Frauen. Ein besonderes Thema war dabei die Diskussion über das Doppelverdienertum. Damit waren berufstätige Ehefrauen gemeint, die in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen erwerbsfähigen Männern die Arbeit „wegnehmen“ würden. Diese Auffassung entfaltete in der beginnenden Wirtschaftskrise ab 1929 eine Dynamik. Je höher die Arbeitslosenzahlen stiegen, desto lauter wurde die Forderung, verheiratete Frauen zu entlassen.

Mit Handzetteln wie diesem warb die SPD im Juli 1932 für die Teilnahme an einer Infomationsveranstaltung zum Frauenbild der NSDAP

Die antifeministische Politik der NSDAP wurde von allen Gruppen der Frauenbewegung scharf kritisiert. Die Vertreterinnen der SPD und KPD gingen als erste dazu über, Frauen über die Ziele und Methoden der Nationalsozialisten aufzuklären.

Frauen wehren sich gegen die NSDAP

Eine weitere Gefahr für die Rechte der Frauen sah die Frauenbewegung in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bzw. ihren Wahlerfolgen heraufziehen. Die NSDAP erkannte die Gleichberechtigung der Frau nicht an und ließ sich politisch auf keiner Ebene von einer Frau repräsentieren. Ihre Ziele waren eindeutig der Sturz der Republik sowie eine nach rassistischen Definitionen aufgebaute Gesellschaft, in der „Deutsche“ gefördert und „Andere“ ausgegrenzt werden sollten. Die Aufgabe der Frauen sahen die Nationalsozialisten ganz traditionell in der Familie, als Hausfrau und Mutter. Aus diesem Grund äußerte sich die Partei nur abfällig über Frauen, die politisch tätig waren. Ab 1932 begann die Partei allerdings gezielt auch Frauen anzusprechen, um die Anzahl der Wählerinnen zu erhöhen.

Beide linke Parteien strebten danach, ihre jeweiligen Frauengruppen nun auch verstärkt in den allgemeinen antifaschistischen Abwehrkampf einzubinden, 1931 etwa in die Tätigkeit für die „Eiserne Front“, eine gewerkschaftliche, SPD-nahe Abwehrorganisation.

Mit der „Frauenfront 1932“ versuchten in Stadtbund und SPD engagierte Frauen, sich gegen die politisch erstarkende NSDAP zu behaupten

Die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit forderte demgegenüber einen gemeinsamen Kampf der Frauen gegen die NSDAP, unabhängig von Partei und Konfession.  Neben den Frauen der SPD und KPD sowie dem IFFF war es vor allem der Stadtbund, der die Bedrohung der Demokratie und der Frauenrechte durch diese Partei sehr ernst nahm. Stadtbund und Sozialdemokratinnen bildeten deshalb die „Frauenfront 1932“, die die gemeinsame Agitation gegen die NSDAP leitete. Ihre demokratischen Aktionen konnten allerdings den Aufstieg der NSDAP nicht mehr stoppen, denn die konservativ gesinnte Führungsgruppe um den Reichspräsidenten war zum Jahresende 1932 gewillt, die NSDAP als Regierungspartei zu akzeptieren.

Ende Januar 1933 hatten die Nationalsozialisten dann einen wichtigen Punkt auf ihrem Weg an die Macht erreicht: Adolf Hitler wurde Reichskanzler.

 

Weiterführende Literatur:
Dieser Text entstammt dem Überblickswerk: Bake, Rita; Heinsohn, Kirsten: „Man meint aber unter Menschenrechten nichts anderes als Männerrechte“,  Zur Geschichte der Hamburger Frauenbewegung und Frauenpolitik vom 19. Jahrhundert bis zur Neuen Hamburger Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre, Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg, 2012.

 

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Studentinnen am Haupteingang der Universität Hamburg (Ausschnitt), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_141-21=06_583.

Abb. Thementext: Titelblatt „Das Illustrierte Blatt“, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wahlrecht_-_Das_Illustrierte_Blatt_-_Januar_1919.jpg) / Flugblatt des Wahlwerbeausschusses Hamburgische Frauenvereine, Staatsarchiv Hamburg, StAHH / Frieda Radel, nach Datenbank Hamburger Frauenbiografien (http://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3308&qN=radel) / Elisabeth Seifahrt, nach Datenbank Hamburger Frauenbiografien (http://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3170) / Bertha Wendt, nach Datenbank Hamburger Frauenbiografien (http://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3101&qN=wendt) / Grete Zabe, nach Datenbank Hamburger Frauenbiografien (http://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3103&qN=zabe) / Emma Ender, nach Datenbank Hamburger Frauenbiografien (http://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3162&qN=ender) / Getrud Bäumer, nach Datenbank Hamburger Frauenbiografien (http://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3451) / Plakat zum Internationalen Frauentag 1930, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-05=1930.26 / SPD-Handzettel, Staatsarchiv Hamburg, StAHH / Frauenfront-Flugblatt, Staatsarchiv Hamburg, StAHH.