Ursula Büttner
Die Inflation im ersten Jahrfünft der Weimarer Republik hat sich als Schrecken sondergleichen tief in das historische Gedächtnis eingegraben. Dabei haben Wirtschaftshistoriker herausgearbeitet, daß die Inflation der frühen zwanziger Jahre in Deutschland lange Zeit mehr positive als negative Auswirkungen hatte. Auch Zeitgenossen erkannten diese Vorteile. Der Hamburger Senator Carl Petersen, seit 1924 Erster Bürgermeister, sprach noch am 16. Oktober 1923 auf dem Landesparteitag seiner DDP von der „Notwendigkeit der Inflation für die Erhaltung der Wirtschaft nach dem Kriege“.
Die Folgen des Währungsverfalls waren für Hamburg von besonderer Tragweite. Die Inflation half den Exporteuren, Schutzzollmauern und antideutsche Ressentiments mit Dumpingpreisen zu überwinden. Die Reeder verloren zwar den größten Teil der 1921 vereinbarten Entschädigungen für die Ablieferung ihrer Schiffe an die Alliierten; aber sie erzielten im internationalen Verkehr so hohe Deviseneinnahmen, daß sie ihre Flotten rasch moderner wiederaufbauen konnten. Davon profitierte auch Hamburgs wichtigster Industriezweig, die Werftindustrie.
Die Not der Arbeiter und Angestellten
Die Geldentwertung hatte schon während des Krieges eingesetzt und sich in den ersten zwei Jahren der Republik so beschleunigt, daß die meisten „Normalverbraucher“ bereits um ihre kleinen Ersparnisse und ihr Sicherheitsgefühl gebracht wurden. Im Februar 1920 besaß die Mark, am Dollar gemessen, nur noch 4% ihres Vorkriegswerts. Besitzer von Geldvermögen und kleine Sparer hatten ihre Rücklagen schon fast vollständig verloren. Für die Mehrheit war entscheidender, daß die hohe Arbeitslosigkeit der Demobilmachungsphase schnell überwunden wurde. Die realen Einkünfte der Arbeitnehmer lagen im Schnitt durchweg unter den Vorkriegsbezügen.
Seit dem Beginn der Hyperinflation, dem Absinken der Mark auf ein Tausendstel ihres Werts und darunter, im Juli 1922 gab es zunehmend nur noch Verlierer. Seit August verlor die Mark beinahe täglich, schließlich fast stündlich an Wert. Die Banken konnten den Zahlungsverkehr technisch kaum noch bewältigen. Jeder versuchte, Bargeld zu erhalten und es so schnell wie möglich umzusetzen. Die Reichsbank kam mit dem Druck und Versand der angeforderten gewaltigen Mengen an Geldnoten nicht mehr nach. Ende September 1922 konnten in Hamburger Großbetrieben und Behörden erstmals nur geringe Bruchteile der fälligen Löhne und Gehälter ausbezahlt werden, auf der Vulkan-Werft beispielsweise nur 5%. Solche Zahlungsstockungen lieferten die Betroffenen und ihre Familien dem Hunger aus. Das am Morgen verdiente Geld reichte am Abend nicht mehr für die Grundnahrungsmittel, und trotzdem mußten immer mehr Firmen ihre Tore schließen und ihre Beschäftigten auf die Straße setzen. Die Politiker konnten auf die verheerende Entwicklung nur reagieren und versuchen, mit Notmaßnahmen die schlimmsten Folgen abzuwehren.
Der Senat ließ seit Oktober 1922 amtliches Notgeld herstellen, aber auch das reichte nicht. Viele Firmen griffen zur Selbsthilfe und brachten, obwohl es verboten war, eigenen Geldersatz in Umlauf. Rund 70 verschiedene, überwiegend illegale Zahlungsmittel kursierten im August 1923 in Hamburg. Auch die Arbeitslosenzahlen, die seit Oktober 1922 wieder gewachsen waren, schnellten jetzt sprunghaft in die Höhe. Im Herbst machten viele Läden dicht, weil sie die leeren Lager nicht mehr auffüllen konnten
Die Not führt zu Krawallen
Der Senat hielt die Lage für so bedrohlich, daß er am 21. September eine „Notstandskommission“ mit der Aufgabe betraute, einen eisernen Vorrat für die Versorgung der Wohlfahrtsempfänger und in „eventuellen kurzfristigen Notperioden“ auch der gesamten Hamburger Bevölkerung zu beschaffen. Die bewilligten Billionen Mark reichten jedoch nur, um die Hilfsbedürftigen mit etwas Margarine, Brot und Kartoffeln zu beliefern. Die Notstandskommission kam zu dem Schluß, daß „die Unterstützungsempfänger […] einfach verhungern müßten, wenn ihre [vom Reich festgesetzten] Unterstützungssätze nicht bedeutend erhöht würden“. Aber nicht nur sie, auch die Masse der übrigen Bevölkerung litt schweren Mangel.
Von allen Seiten kamen Warnungen, daß die sozialen Konflikte durch das Versagen des Geldes ins Unerträgliche gesteigert und über kurz oder lang zu gewaltsamen Ausbrüchen führen würden. In Hamburg wurden sie zudem von den Werftleitungen provoziert. Kommunistische Protestversammlungen in den Betrieben nahmen die Werftleitungen zum Anlaß, um ihre seit Monaten besonders miserabel entlohnten Arbeiter vom 9. bis 12. August auszusperren. Als sie die Werkstore nach einer Intervention des Senats wieder öffnen wollten – zu Bedingungen, die nicht das geringste Verständnis für die Not der Belegschaft erkennen ließen –, antwortete die KPD mit der Proklamation des Generalstreiks. Es gelang ihr, die Verkehrsmittel für einige Stunden zu blockieren und die Werftarbeiter zur Arbeitsverweigerung zu bewegen.
Die Hafenarbeiter, die nach mehrtägigen Verzögerungen bei den Lohnzahlungen für radikale Parolen ebenfalls empfänglich waren, schlossen sich dem Ausstand an. Gerüchte über Putschpläne der Kommunisten waren in Umlauf. Es kam zu Tumulten, vereinzelten Plünderungen und Kämpfen mit der Polizei, bei denen ein Mann den Tod fand und viele verletzt wurden. Erst nachdem der Senat am 13. August den Ausnahmezustand verhängt und gleichzeitig mit neuem Notgeld die fälligen Lohnzahlungen ermöglicht hatte, gelang es allmählich, im Hafen und in den angrenzenden Wohnbezirken die Ruhe wiederherzustellen. Obwohl es nicht zum Generalstreik gekommen war, bewerteten die kommunistischen Führungen in Moskau und Hamburg die August-Streiks als Erfolg und ließen sich durch sie zur Vorbereitung des bewaffneten Aufstands ermutigen.
Im Oktober 1923 kam es wieder – wie im Juni 1919 – zu Hungerkrawallen und Plünderungen von Lebensmittelgeschäften.
Bevor die Kommunisten am 23. Oktober zur Aktion übergingen, machten die rechten Gegner der Republik von sich reden. Sie waren seit dem Mord am Außenminister Walther Rathenau 1922 durch Verbote in den Untergrund gedrängt, aber nicht ausgeschaltet worden. Im Zusammenhang mit dem „Ruhrkampf“ konnten sie seit Anfang 1923 wieder Boden gewinnen. Um gegen Frankreich gewappnet zu sein, ließ die Reichswehr in allen Wehrkreisen von ehemaligen Generalstabsoffizieren wieder illegale Verbände aufbauen, rüstete sie mit Waffen aus und schirmte sie gegen zivile Stellen, besonders die Polizei, ab. Ihre Beauftragten griffen dabei mit Vorliebe auf die militanten „nationalen“ Organisationen zurück. Im Umkreis dieser „Schwarzen Reichswehr“ entstand ein dichtes konspiratives Netz, in dem die Errichtung der „Rechtsdiktatur“ propagiert und bald auch konkret vorbereitet wurde.
Ein solches Komplott wurde im Mai 1923 in Hamburg entdeckt, als die Polizei eine Versammlung des verbotenen Freikorps Roßbach auflöste, einer radikal völkischen Vereinigung, die in enger Beziehung zu Hitler stand. Der Kreis der Beteiligten reichte von den verbotenen Militärbünden, darunter der rechte Flügel der ehemaligen Einwohnerwehren und die terroristische Organisation Consul, über die „Schwarze Reichswehr“ und die legalen Vaterländischen Verbände bis zu Reichswehroffizieren und Wirtschaftsvertretern. Die Verschwörer hatten genaue Pläne für die Besetzung Hamburgs, die Verhaftung sozialdemokratischer Politiker und Beamten und die Ausschaltung „unzuverlässiger“, d. h. verfassungstreuer Polizeioffiziere erarbeitet. Das Ziel der Operation wurde definiert: „Vorbereitungen zu treffen […] für den Krieg nach außen unter Zerschlagung der vaterlandsfeindlichen Widerstände im eigenen Lande“.
Der Sturz der Reichsregierung sollte der erste Schritt sein. Trotzdem führte eine energische Beschwerde des Senats lediglich dazu, daß der in die Umsturzpläne verwickelte Verbindungsoffizier der Reichswehr abberufen wurde; ansonsten verhinderte die militärische Führung die Aufklärung der Vorgänge und die Bestrafung der Schuldigen. So konnten die Rechtsradikalen beim Hitler-Putsch Anstalten machen, auch in Hamburg die Macht zu übernehmen. Als es am 8. November in München losging, hatten sie bereits einen Zivilkommissar ausersehen: den 2. Vorsitzenden der Vereinigten Vaterländischen Verbände und deutschnationalen Bürgerschaftsabgeordneten, Joseph Hoffman. Er ließ in den „Hamburger Nachrichten“ den Aufruf der bayerischen Verbände zum Marsch auf Berlin und zur Beseitigung der politischen Institutionen der Republik abdrucken, ohne zu wissen, daß die Verfasser sich in letzter Minute von dem Unternehmen zurückgezogen hatten. Hoffmann und seine Freunde wie auch die „Hamburger Nachrichten“ hatten sich damit der Beihilfe zum Hochverrat schuldig gemacht. Der Wehrkreiskommandeur hob das Verbot der Zeitung aber schnell wieder auf, und der zuständige Untersuchungsrichter Curt Korn ließ die Verhafteten alsbald frei. Er war selbst Mitglied der DNVP, ging 1924 zu den Völkischen und 1927 nach der Rückkehr in den Rechtsanwaltsberuf zur NSDAP über. Die bekannte Einseitigkeit der Justiz und der Militärführung trat 1923 in Hamburg eklatant zutage.
Die Hamburger KPD-Spitze verfolgte beharrlich trotz aller Rückschläge einen putschistischen Linkskurs. In Hamburg begann die KPD am 23. Oktober den bewaffneten Kampf.
Die Gründe für diesen Alleingang lassen sich nicht sicher klären. Am wahrscheinlichsten scheint mir zu sein, daß die Hamburger Linken ihre zögernde Parteiführung vor vollendete Tatsachen stellen wollten und hofften, das Proletariat im ganzen Reich durch ihre Aktion zum Kampf mobilisieren zu können. Die Situation in Hamburg schien für ihr Vorhaben einmalig günstig zu sein. Auf den Werften und im Hafen wurde wieder gestreikt. Die im Raum Hamburg stationierten Reichswehrtruppen waren nach Sachsen verlegt worden. Durch einen Überraschungsschlag gelang es kommunistischen Kampfgruppen in der Frühe des 23. Oktobers 17 Polizeiwachen zu erstürmen, die Waffen zu erbeuten und die umliegenden Gebiete für einige Stunden gegen die mit großer Übermacht anrückende Polizei zu halten. Nur in Barmbek und im preußischen Schiffbek konnten sie zwei Tage lang Widerstand leisten, weil hier ein Teil der Bevölkerung die Aufständischen unterstützte.
Am 25. Oktober gaben die Kommunisten überall den Kampf auf. Sie hatten von vornherein auf verlorenem Posten gestanden, da sich die Masse der Arbeiter nicht, wie erwartet, mit ihnen solidarisierte und der Generalstreik ausblieb. 24 Anhänger der KPD und 17 Hamburger Polizisten fanden bei den Kämpfen den Tod. Mehr als 1400 Personen wurden wegen irgendeiner Beteiligung an den Oktober-Unruhen angeklagt, etwa 300 verurteilt, die meisten – mit Ausnahme von Rädelsführern und Gewalttätern – allerdings 1925 amnestiert. Gegen die Hauptbeschuldigten wurden langjährige Haftstrafen verhängt. Die KPD bezahlte für das Abenteuer einen hohen Preis: Sie verlor zwei Drittel ihrer Mitglieder; von den führenden Genossen fielen viele aus, weil sie verhaftet oder auf der Flucht waren. Trotzdem verklärte die KPD das Fiasko in den folgenden Jahren zum Mythos und Heldenepos.
Dies war auch zu Zeiten der DDR noch so. Das Bild in unserem Slider zeigt Ernst Thälmann, wie er zum Aufstand aufruft. Es handelt sich um ein Auftragswerk des „Museums für Deutsche Geschichte“. Dieses Museum wurde nach dem Krieg im Ostteil Berlins gegründet und spiegelte die marxistisch-leninistische Geschichtsauffassung der DDR wider. Das Museum beteiligte sich aktiv an der Bildgestaltung. Entsprechend ist auch das Thälmann-Bild ein „Heldenepos“, keine Illustration des Geschehens. Das Bild ist eine historisches Zeugnis bzw. Objekt aus dem Jahr 1954, entstanden in der DDR. Der Umsturzversuch wurde in der DDR-Historiografie zu einem zentralen Ereignis erklärt.
Die Drohung mit dem bewaffneten Aufstand unter Berufung auf das Hamburger Vorbild von 1923 spielte in der kommunistischen Agitation bis zum Ende eine große Rolle. Es war nur noch Rhetorik. Aber sie schürte Ängste, verschärfte den Gegensatz zur SPD, vom Bürgertum ganz zu schweigen, legitimierte harte Maßnahmen gegen die KPD und lenkte von der von rechts drohenden Gefahr ab.
1923 spitzten sich die sozialen und politischen Konflikte in einer Weise zu, daß die Frage auftaucht, warum die Republik noch weitere 10 Jahre überleben konnte. 1923 konnten die verantwortlichen Politiker am Ende einen Ausweg aus der Krise zeigen, während sie 1931/32 zwar die fatalen Konsequenzen ihres Handelns erkannten, aber keine Alternative wußten. 1923 war der Senat entschlossen, sogar gegen das Reich zu handeln: Mit Notgeld und staatlicher Subvention und Verteilung von Lebensmitteln – 1931 fehlte ihm dafür der Spielraum.
Abb. Titelfeld: „Thälmann im Hamburger Aufstand [1923]“ gemalt von Willy Colberg 1954, Deutsches Historisches Museum Berlin/ A. Psille. Es handelt sich um ein Auftragswerk des „Museums für Deutsche Geschichte“. Dieses Museum wurde nach dem Krieg im Ostteil Berlins gegründet und spiegelte die marxistisch-leninistische Geschichtsauffassung der DDR wider. Das Museum beteiligte sich aktiv an der Bildgestaltung. Entsprechend ist auch das Thälmann-Bild ein „Heldenepos“, keine Illustration des Geschehens. Das Bild ist eine historisches Zeugnis bzw. Objekt aus dem Jahr 1954, entstanden in der DDR. Der Umsturzversuch wurde in der DDR-Historiografie zu einem zentralen Ereignis erklärt.
Abb. Thementext: Militärstreife in Barmbek, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-05=1923.11 / Carl W. Petersen, nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:PetersenCarlWilhelm.jpg) / Briefmarken, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Germaninflation.jpg?uselang=de) / Arbeitslose Hafenarbeiter, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_102-11008,_Hamburg,_Arbeitslose_Hafenarbeiter_im_Hafenviertel.jpg?uselang=de) / Rathenau-Gedächtnisfeier 1923, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_102-00099,_Berlin,_Ged%C3%A4chtnisfeier_f%C3%BCr_Rathenau.jpg) / Hitler-Putsch in München, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_119-1486,_Hitler-Putsch,_M%C3%BCnchen,_Marienplatz.jpg) / Stacheldraht vor Polizeiwache, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-05=1923.313 / Soldaten auf Hausdach, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-05=1923.38 / Barrikaden vor Hochbahnbrücke, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-05=1923.31.