Silke Urbanski
Tochter eines Seekriegers
Geseke war die Tochter des Englandfahrers Albert Schreye und seiner Frau Margarethe. Die Familie der Schreye oder Schreyge gehörte zu den ratstragenden Familien. Albert Schreye hat lange Jahre als Ratsherr und als Kämmereiherr für die Stadt gearbeitet. Das Vermögen der Familie stammte aus dem Handel mit England und Flandern. So war Albert einer der wichtigsten Gegner der Vitalienbrüder, die gegen 1395 aus der Ostsee vertrieben wurden und sich in Ostfriesland ansiedelten. Diese Seeräuber schränkten durch ihre Raubfahrten den Handel Hamburgs und Bremens in Richtung Westen massiv ein. Es ist also nicht zu verwundern, dass Albert Schreye schon 1400 eine Kriegsfahrt gegen diese Seeräuber unternahm, mit großem Erfolg, auch wenn es erst später im Jahr anderen Schiffsführern gelang, einen Unterkapitän namens Störtebeker zu fangen. Da ihr Vater in diesen Kampf involviert war, wird die junge Geseke von den Kriegsfahrten, dem Prozess gegen die Seeräuber und von der Hinrichtung Störtebekers erfahren haben. Doch ihr Leben war durch diese Politik nicht gestört. Sie heiratete vermutlich im Jahr 1401 den älteren Ratsherrn Siegfried Clingspor, der 1406 verstarb. Aus dieser Ehe gingen Gesekes Kinder Gerborch und Henneke hervor, die aber vor ihrer Mutter starben. Geseke verließ als Witwe das Haus ihres verstorbenen Gatten, das als Erbe an dessen Sohn aus einer früheren Ehe fiel.
Aufstand und Hochzeit
Sie begann in den nächsten Jahren, ein Vermögen anzulegen. Ihren Witwen-Hausstand baute sie in einem Haus am Burstah auf. Als Frau war sie in beidem auf die Zustimmung ihrer Vormünder angewiesen. Dies waren während ihrer Witwenschaft ihr Vater und ihr Bruder Diderik. Aber ihre Situation sollte sich bald ändern.
Viele Handwerker und Kaufleute Hamburgs waren zu jener Zeit unzufrieden damit, nicht über Finanzen und Politik der Stadt mitentscheiden zu können. Sie zahlten Sondersteuern für Kriegsschiffe und für Kriegszüge, sie erhielten die Mauern und stellten die Wachen. Aber der Rat entschied, ohne mit ihnen zu beraten. Nur zweimal im Jahr wurden die Bürger auf Burspraken informiert, was die neuen Gesetze und Verordnungen sein würden. Als im Jahr 1410 der tiefverschuldete Herzog Johann von Holstein in die Stadt ritt, um mit dem Rat Verhandlungen zu führen, forderte der Hamburger Bürger Hein Brandt von ihm mit heftigen Worten, seine ausstehenden Schulden zu zahlen. Der Herzog beschwerte sich beim Rat, welcher Hein ins Gefängnis im Winserturm bringen ließ. Ohne Anklage, ohne richterlichen Beschluss. Dies war ein Rechtsbruch des Rates gegen einen Hamburger Bürger. Empörung brach los. Eine Menge fand sich vor dem Rathaus ein und forderte Heins Freilassung. Der Rat bot Verhandlungen an, und die Bürger ergriffen ihre Chance. In jedem der vier Kirchspiele wurden 15 Vertreter gewählt, die nach Beratungen im St. Johanniskloster dem Rat entgegentraten. Diese „Sechziger“ erstritten nicht nur Heine Brands Freilassung, sondern auch weitgehende Mitspracherechte. Unter den Sechzigern aus dem armen Kirchspiel St. Jacobi befand sich der Stadtsoldat und Kleinkaufmann Johann Cletzen.
Nach dem Aufstand wurde Johann er Gesekes zweiter Ehemann.
Es ist nicht überliefert, wie Gesekes Vater Albrecht, der Ratsmann und Kämmerer, zu seinem neuen Schwiegersohn stand, auch nicht, was Gesekes Vetter Marquard Schreye, einer der Bürgermeister, über ihn dachte. Aber Johann Cletzen stieg nach der Ehe mit Geseke politisch auf. Er vertrat die Anliegen der Sechziger im Rat. Nur geriet er mit einem Ratsherrn in Streit, mit Gerhard Quickborn, den er für unehrlich hielt. Als aufgrund der Drucks der Hanse der Hamburger Rat die Bürgerrechte von 1410 zurücknahm, verlor Johann seine Unterstützungvunter den 6ogern. In diese Zeit der poltischen Ungewissheit muss der Tod von Gesekes Kindern aus erster Ehe gefallen sein. Die Ehe mit Johann Cletzen blieb kinderlos. Aber Johann konnte als Ratsherr er in andere Aufgaben hineinwachsen als die Bürgervertretung: Er unternahm zahlreiche diplomatische Reisen. Seine Frau Geseke jedoch würde die Stadt niemals verlassen. Frauen reisten in jener Zeit wenig.
Tod von Henkershand
Johann vertrat die Stadt stets auf Kriegszügen, seine Erfahrungen als Stadtsoldat kamen ihm zugute. 1420 hoben die Hansestädte Lübeck und Hamburg Raubritternester an der Oberelbe aus und belagerten Feste Bergedorf. Johann Cletzen war dabei, aber auch Gesekes Bruder Tydeke, der hier den Tod fand. Eine Kopie des Grabsteins ist noch im Bergedorfer Schloss zu finden. Nach diesem Kriegszug wurde Johann zum Hauptmann der Hamburger Truppen befördert. 1427 belagerten diese gemeinsam mit Herzog Heinrich von Holstein die Duburg in Flensburg. Unter den Hamburger Stadtwächtern und Söldnern wurde ein Fass Bier ausgeteilt. Angetrunken beschlossen sie nachts die Duburg mit Feuerpfeilen, so dass ihre Verbündeten glaubten, der Sturm auf die Feste habe begonnen. Herzog Heinrich eilte hinzu, ohne seine Rüstung vollständig anzulegen. Er wurde von einem Pfeil getroffen und starb.
Der Lübecker und der Hamburger Hauptmann wurden verantwortlich für den Tod des Herzogs gemacht . So kehrte Johann Cletzen in Ketten in seine Heimatstadt zurück. Nun wurden Gerüchte laut, dass er immer ein Spion der Dänen gewesen sei. Nach langer Haft und schwerer Folter wurde er ohne Geständnis, also widerrechtlich, zum Tode verurteilt und auf dem Berg in Hamburg mit dem Schwert hingerichtet.
Zuvor hatten Geseke und Johann ein gemeinsames Testament gemacht, das ihr einen neuen Weg im Leben wies.
Im Namen der Heiligen Elisabeth
Geseke gründete mit dem gemeinsamen Vermögen ein Hospital – in ihrem eigenen Haus. Dort wurden zwanzig alte, arme, einsame oder kranke Frauen beherbergt und versorgt. Die Namensheilige des Hospitals wurde die Heilige Elisabeth, eine Herzogin, die ihr Leben für die Krankenpflege opferte. Die Hamburger nannten das Haus liebevoll das Ilsabeen-Spital. Geseke fand finanzielle und organisatorische Unterstützung bei den alten Kampfgefährten von Johann: Simon von Utrecht und Hein Hoyer. Es ist nicht nachweisbar, ob Geseke selbst im Spital lebte. Doch sie war führendes Mitglied der Brüderschaft, die sie gründete, um das Spital langfristig zu unterstützen.
1440 kaufte sich Geseke einen Garten. Sie stand im Austausch mit den Kindern ihres verstorbenen Bruders Diederik. 1443 machte sie ihr Testament, und ihr Vermögen war immer noch beträchtlich. Sie versorgte mit ihrem letzten Willen ihre Freundin Anneke Grise, ihre Magd Grete Puttfarken und die Begine Wibke Roslevesdorp. Sie bedachte ihre Nichten und Neffen, arme weibliche Verwandte, die Studienstipentienstiftung ihres Vaters und viele geistliche Institutionen. Um 1447/48 ist sie gestorben.
Eine Sagengestalt wird fast vergessen
Noch im 19. Jahrhundert war Geseke in Hamburg eine bekannte Sagengestalt. Die Geschichte von der Frau, die erlebte, wie ihr Mann enthauptet wurde, und dann ein Spital für Frauen gründete, war schauerlich und erbaulich. Die Geschichtswissenschaft hat sich um Geseke Cletzen wenig gekümmert. Kaum jemand wußte von ihr. 2003 erschien eine Romanbiografie über sie, sie wurde in einem Buch über Hamburger Frauen erwähnt und in die Hamburgische Biografie aufgenommen. Inzwischen ist sie eine Figur im Straßentheater „Hamburger Stadtgeflüster“, und sie hat einen Wikipedia-Artikel. Doch wie Geseke aussah, das wissen wir bis heute nicht. Das Bild auf dem Schutzumschlag des Romans ist ein Detail aus Rogier von der Weydens „Bildnis einer jungen Frau mit Flügelhaube“ von 1435.
Weiterführende Literatur:
Bake, Rita und Reimers, Brita: So lebten sie. Spazieren auf den Wegen von Frauen in Hamburgs Alt- und Neustadt. Hamburg 2003, S. 29f.
Bast, Eva-Maria: Geseke Cletzen (etwa 1380-1450). Großer Einsatz für die Armen – „Hospital nur für Frauen“, in: Dies.: Hamburger Frauen. Historische Lebensbilder aus der Stadt an der Elbe, Überlingen 2019, S. 119-123.
Urbanski, Silke: Cletzen, Geseke, in: Hamburgische Biografie. Personenlexikon (Bd. 2), hg. v. Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke, Hamburg 2003, S. 90f.
Dies.: Geseke Cletzen. Eine Biografie, Hamburg 2003.
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