Gasversorgung für die moderne Stadt

175 Jahre Gasnetz – Energieversorgung als Aspekt der modernen Stadtentwicklung

Sasha Disko-Schmidt, Ph.D.

Die Anfänge

Die Einführung der öffentlichen Gasversorgung in Hamburg hat eine längere Vorgeschichte. Zwischen 1818 und 1843 prüfte der Hamburger Senat wiederholte Male die Zweckmäßigkeit einer öffentlichen Gasversorgung für die Straßenbeleuchtung. Schon 1823 richtete der Neustädter Gastwirt Peter Ahrens die erste öffentliche Gas-Illumination in seinem Tanz-Etablissement ein. In seinem Keller destillierte er das Leuchtgas selbst aus Steinkohle. Weil die Hamburger seinen wahren Namen nicht kannten, gaben sie ihm den Spitznamen „Der Heini mit dem Gas“. So kam es, dass „Hein Gas“ ein stehender Begriff im Hamburger Volksmund wurde.

Die Zerstörung großer Teile der Hamburger Innenstadt durch den Großen Brand (graue Fläche) machte nach 1842 den Weg frei für den Aufbau eines Gasleitungsnetzes

1839 machte der von angesehenen Hamburger Bürgern gegründete „Verein Gas-Compagnie“ dem Senat ein Angebot zur Einführung einer öffentlichen Gasversorgung. Dieses war noch „in Prüfung“ als der Große Brand am 5. Mai 1842 ausbrach. Die Katastrophe ebnete den Weg für den Aufbau einer neuen städtischen Infrastruktur, darunter auch die Versorgung der Stadt mit Gas. Schon im Jahr darauf wurde die Einführung einer „Gas-Straßenerleuchtung mittels Röhrengases“ genehmigt.

Am 28. März 1844 schloss die Stadt Hamburg einen dreißigjährigen Vertrag über die öffentliche Gasversorgung mit der Gas-Compagnie.

So sah die neuerrichtete Hamburger Gasanstalt auf dem Grasbrook um 1852 aus

Am 26. August erfolgte der Spatenstich zum Bau der ersten Gasanstalt auf dem Großen Grasbrook. Eine Versorgungskarte von 1844 zeigt, dass die neu angelegten Hauptstraßen mit Gaslaternen ausgestattet werden sollten.

Am 4. Oktober 1845 war es so weit: Die ersten öffentlichen Gaslaternen erhellen die Hauptstraßen Hamburgs mit dem aus Kohle gewonnenen Stadtgas. Das Gaslicht zeichnete sich durch neue Eigenschaften aus: Helligkeit, Gleichförmigkeit und Regulierbarkeit.

„Bis zum Herbst 1845 waren die hamburgischen Straßen nur durch Öl- und Tranlampen erleuchtet, wenn der Mond nicht für bessere Helligkeit sorgte“.[1]

Konstruierte die neue Hamburger Gasanstalt: der englische Ingenieur William Lindley

Jedoch wurde nur wenige Wochen später die neue Gasanstalt durch eine Sturmflut so schwer beschädigt, dass ein Neubau erforderlich war. Diesen übernahm der englische Ingenieur William Lindley, der auch für den Aufbau einer modernen Wasserversorgung in Hamburg verantwortlich war. Ende 1846 brannten wieder Gaslaternen: 2020 an der Zahl. Das Gaswerk wurde durch die Helligkeit der Straßen so populär, dass seine Abbildung die Rückseiten von Spielkarten zierte.

Nachdem die Gasbeleuchtung sich in den Straßen bewährt hatte, wurde sie bis 1850 auch für öffentliche Gebäude wie die Nachtwache im Raboisen, auf dem Schlachthof, in den Spritzenhäusern (Feuerwehren), auf dem Bauhof und im Büro des Kornverwalters eingeführt. Sie wurde auch in Ballhäusern und Vergnügungsstätten eingesetzt, z.B. im für Aufführungen und Feste verwendeten Dragonerstall, oder im „Polka-Haus“ am Großen Burstah 34, wo eine „Gas-Illumination von 140 Lichtern“ 1846 ans öffentliche Netz angeschlossen wurde.[2]

Auch die noch bis 1860 bei Sonnenuntergang abgeschlossenen Stadttore wurden mit Gaslicht-Laternen beleuchtet

Die Erfindung des Bunsenbrenners im Jahre 1855 machte unter anderem den Weg für die Verwendung des Gases als Heizmittel frei. Als erstes öffentliches Gebäude profitierte die Kirche St. Katharinen: Eine moderne Gasheizung brachte wohlige Wärme für winterliche Gottesdienste. Schnell folgten weitere öffentliche Gebäude und immer mehr Wohnhäuser und Gewerbe: Herde, Öfen und Dampfmaschinen nutzten die neue Energie. Mitte der 1850er Jahre erhielten die Hamburger Nachbarstädte Altona, Harburg und Wandsbek eine eigenständige Gasversorgung.

Die Hamburger Gaswerke hatten sich inzwischen für die Aktionäre zu einer Goldgrube entwickelt. Von 1862-1873 wurden im Durchschnitt 45 Prozent Dividende gezahlt. Bis 1864 erreichten die Leitungen der Hamburger Gaswerke bereits die Vorort-Stadtteile Rothenburgsort, Horn, Barmbek, Winterhude und Eimsbüttel.

Der Kalkhof am Mührenfleet um 1883 mit einer von inzwischen mehreren tausend Straßenlaternen

Nach Auslaufen des Vertrags mit der Gas-Compagnie 1874 verpachtete die Stadt die Anlagen an Carl Haase, den ehemaligen Direktor der Berliner Gaswerke. Haase schüttete Dividenden an die Stadt aus, aber er galt als unfairer Arbeitgeber.

Eine zweite, schon länger geplante Kokerei wurde 1875 von den Hamburger Gaswerken in Barmbek in Betrieb genommen. Bis Ende der 1880er Jahre erstreckte sich das Gasnetz fast überall bis an die Stadtgrenze (der entfernteste Abnehmer war das Zentralgefängnis in Fuhlsbüttel). Die Anzahl der Straßenlaternen betrug 16.950, wobei 7.471 sogenannte Privatlaternen waren.

Ferner waren fast 300.000 Privatflammen und fast 25.000 Gasmesser vorhanden, sowie 188 Gasmotoren. Die Länge des Hauptrohrnetztes betrug 327 km.[3]

Wenig verwunderlich ist es, dass Hamburgs Gaswerker in der frühen Phase der Arbeiterbewegung aktiv waren. Lange Zeit war die Produktion von Stadtgas für die Mitarbeiter eine ungesunde, zermürbende und oft gefährliche Angelegenheit. Ein Barmbeker Ofenarbeiter berichtete: „…uns Sprenger hebbt ne iserne Natur und ne Hut wie geräukert Speck“ [Plattdeutsch für „unsere Sprenger haben eine eiserne Natur und eine Haut wie geräucherten Speck“]. Viele Gasarbeiter waren damals nicht nur infernalischen Arbeitsbedingungen ausgesetzt, sondern auch stets von Entlassung bedroht.

Bessere Arbeitsbedingungen als im Gaswerk: Arbeiter in einer Leuchtenwerkstatt in der Hamburger Neustadt

Trotz 12-stündiger Arbeitsschichten reichten ihre Löhne nicht oder kaum aus, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Um diese Umstände zu bekämpfen, schlossen sich 1889 und 1890 viele Hamburger Gaswerker zusammen im „Verein Hamburger Gasarbeiter“ und im „Verein der Laternenanzünder“. Als der 1. Mai 1890 nahte und die Arbeiter diesen Tag für Demonstrationen nutzen wollten, stellte sich die Hamburger Arbeitgeberseite, darunter auch Carl Haase, geschlossen gegen die Arbeitnehmer. Am 27. April 1890 hatte sie verkündet: „Arbeiter, welche aus Anlass sozialdemokratischer Demonstrationen am 1. Mai dieses Jahres von der Arbeit fernbleiben oder dieselbe vorzeitig einstellen, als kontraktbrüchig zu entlassen und am 2. Mai abzulohnen“.[4] Versammlungen wurden verboten, die Polizei und sogar das Militär standen in Alarmbereitschaft. Trotz dieser Drohungen streikte ein Drittel der Arbeiter und zog am Morgen des 1. Mai 1890 durch die Straßen stadtauswärts, wo sie gemeinsam „ihren Tag“ in den Gartenlokalen der Vorstädte feierten.

Arbeitnehmer, die am 1. Mai ihren Arbeitsplätzen ferngeblieben waren, wurden am Folgetag von den Firmen ausgesperrt. Dies hielt bis zum 5. Mai an, um die Arbeiter zum Austritt aus den Gewerkschaften zu bewegen. Bei den Gaswerken versuchte die Direktion durch die Unterzeichnung eines Zusatzparagraphs zu der Fabrikordnung, den Austritt aller gewerkschaftlich organisierten Gaswerker zu erzwingen. Arbeiter, die ihre Unterschrift verweigerten, wurden fristlos entlassen. Als bis auf 28 Tagesschichtarbeiter alle ihre Unterschrift verweigerten und die Direktion ihnen daraufhin kündigte, traten die Gasarbeiter aller Hamburger Betriebe am 10. Mai in den Streik.

Die Geschäftsführung in der „Direction“ (in der heutigen Hafencity) vertrat 1890 gegenüber den Streikenden eine harte Linie

Streikbrecher, unter anderem Werftarbeiter, die selbst bei Blohm & Voss ausgesperrt waren, wurden angeworben. Dennoch reichte es nicht für die Versorgung der Straßenlaternen. Die Situation verschärfte sich, als es zu Gewaltausbrüchen zwischen den streikenden Arbeitern und der Ordnungsmacht kam. Die Arbeiter gewannen durch ihre Streikaktionen Aufmerksamkeit und teilweise auch Zustimmung der Hamburger für ihre Anliegen, doch es gelang ihnen nicht, ihre Forderungen durchzusetzen. Die Forderungen des Gasarbeitervereins, beispielsweise nach einem freien bezahlten Tag im Monat, blieben unerfüllt. In Zeitungsannoncen und auf Wandanschlägen befahl die Direktion am 14. Mai allen streikenden Arbeitern, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Nach 20 Tagen Ausstand, angesichts zunehmender wirtschaftlicher Not, kehrten die Arbeiter allmählich zu ihren Arbeitsplätzen zurück. Ende des Monats gaben die Letzten, ohne jegliche Zugeständnisse des Arbeitgebers, klein bei. Nach der staatlichen Einführung der Kranken- und Unfallversicherung Ende der 1880er Jahre erließ Kaiser Wilhelm II. 1891 nicht nur mehrere Sozialversicherungsgesetze, sondern auch eine Erneuerung der Gewerbeordnung, die auch Arbeiterausschüsse in Betrieben zuließ. Die Stadt übernahm 1891 die Gaswerke in die staatliche Verwaltung. Eine eigenständige „Deputation für Beleuchtungswesen“ wurde 1897 ins Leben gerufen. Noch im gleichen Jahr wurden die Hamburger Gaswerker durch die Deputation aufgefordert, an Arbeiterausschüssen teilzunehmen. Die Mitglieder der Arbeiterausschüsse der Hamburger Gaswerke setzten sich unermüdlich für die Belange ihren Kollegen ein. Allein zwischen 1903 und 1908 konnten sie unter anderem folgendes erreichen: Lohnaufschlag von 25 Prozent für Nachtschichten und Überstunden der Rohrnetzarbeiter und „Lüchtenpüster“ (Mitarbeiter der Abteilung Beleuchtung) und weitere Lohnerhöhungen für andere Abteilungen; Weihnachtsgeld; Teeausschank; allgemeine Verkürzungen der Arbeitszeit; Erhöhung des Akkordlohns; Arbeitsbekleidung; 8-Stunden-Arbeitstag für Retortenarbeiter.

Auch die Rohrnetzarbeiter (hier beim Netzausbau im Jahr 1907) profitierten letztlich von den durchgesetzten Forderungen der Arbeiterausschüsse

In den nun städtischen Gaswerken wurde die Entwicklung vorangetrieben. Das Netz war inzwischen auf rund 600 Kilometer gewachsen, erreichte weitere Stadtteile, Vorstädte und den Freihafen. Um die Jahrhundertwende waren schon 67.929 Gasmesser im Betrieb. Das bedeutete eine Verdreifachung der Anzahl seit 1880. Die dritte Großgasanstalt am Billwerder Ausschlag wurde 1903 in Betrieb genommen. Ab 1911 wurde sie in „Tiefstack“ umbenannt.

Das Gaswerk Tiefstack im Jahr 1925

Nach der Erfindung der elektrischen Glühbirne 1880 verschwand die Gasbeleuchtung nach und nach in Innenräumen. Die Schnittbrennerbeleuchtung wurde durch die Glühgasstrumpfbeleuchtung ersetzt. Die Glühgasstrümpfe bewahrten die Gasstraßenbeleuchtung lange vor dem Garaus. Es dauerte daher noch bis 1981, bis die Elektrifizierung des Straßenbildes Hamburgs vollzogen war.

Private Gasversorgung war bis ins 20. Jahrhundertein Privileg der Wohlhabenden. Dieser Umstand änderte sich nur allmählich, zum Beispiel mit der Einführung von Münzgaszählermesseranlagen: Im Dezember 1906 wurden versuchsweise die ersten 25 Münzgasmesseranlagen (Gasautomaten) in kleinen Wohnungen eingerichtet; ihre Zahl verdoppelte sich bereits 1907 und nahm ständig zu. Der Gaspreis für diese Anlagen wurde auf 14 Pfennig pro Kubikmeter festgelegt und erhöhte sich erst im späteren Verlauf des Ersten Weltkrieges.[5] Damit konnten auch nicht vermögende Haushalte an einer neuartigen, sauberen Energieversorgung teilhaben. Doch es gab auch Katastrophen bei dieser Entwicklung. Im Dezember 1909 stürzte der neugebaute Gasbehälter auf dem Grasbrook – Europas größter – beim Auffüllen ein. Es kam zu einer Explosion. 20 Menschen, die sich auf dem Werksgelände aufhielten, unter anderem 13 Mitarbeiter, kamen bei dem Unglück ums Leben und 50 weitere Personen wurden verletzt. Die Wiederherstellung der Anlage auf dem Grasbrook dauerte über ein Jahr.

Das „Flammenkreuz von Neuengamme“ Ende 1910

Ein Jahr später sorgte ein weiteres Ereignis für erneute Schlagzeilen: Am 4. November 1910 brach bei Bohrungen für die Grundwasserversorgung die Neuengammer Erdgasquelle aus, die sich einen Tag später entzündete. Das „Flammenkreuz von Neuengamme“ lockte  Tausende von Schaulustigen an. Die Erdgasquelle wurde zwei Jahre später an das Hamburger Versorgungsnetz angeschlossen.

Der erste Weltkrieg hatte erhebliche Folgen für die Gasversorgung: Der im August 1914 ausgebrochene Krieg hatte eine dauernde starke Abnahme des Gasverbrauchs zur Folge. Die Zufuhr der englischen Kohle hörte auf. Infolge dessen schränkte die Behörde die öffentliche Beleuchtung auf etwa die Hälfte ein und riet der Bevölkerung zu Sparsamkeit im Gasverbrauch. Läden und Wirtschaften schlossen früher. Es wurde ein Sechstel weniger Gas verbraucht. Die Erdgasquelle half Hamburgs Gasversorgung trotz Kohleverknappung aufrechtzuhalten. Gegen Ende des ersten Weltkriegs wurden erstmals Frauen bei der Hamburger Gaswerken angestellt, da die Männer im Krieg waren.

Nach dem Krieg konnte man die Inflationsproblematik der Weimarer Republik am Gaspreis nachvollziehen:

Während der Weltwirschaftskrise gab es auch Gutscheine, um Armen die Versorgung mit Gas zu ermöglichen

Während 1917 noch 16 Pfennig für 1 Kubikmeter Gas zu zahlen waren, musste man im Dezember 1922 bedingt durch gestiegene Kohlenpreise, Gehälter und Arbeitslöhne, vor allem aber durch die Entwertung der deutschen Mark, bereits 150 Mark für die gleiche Menge Gas bezahlen. Kurz bevor am 4. November 1923 ein „wertbeständige Tarif“ eingeführt wurde, laut dem ein Kubikmeter Gas 25 Goldpfennige kosten sollte, war durch die Inflation der Preis sogar auf das Maximum von 8 Milliarden Mark hochgeschnellt.[6]

Um mehr Investitionsfreiheit zu gewinnen, wurden die Hamburger Gaswerke 1924 in eine GmbH umgewandelt. Laut Gesellschaftsvertrag fielen die Erträge der neuen Gesellschaft ausschließlich dem hamburgischen Staat zu. Der Weg war nun frei für die Weiterentwicklung des Unternehmens, als modernes, gemeinwohlorientiertes städtisches Unternehmen. Die Hamburger Gaswerke – kurz HGW – stiegen zum wichtigsten Versorgungsunternehmen in Norddeutschland auf.

Eine Werbetafel der „Beratungsstelle für Gasverbraucher“ in den späten 1920er Jahren

Die betriebliche Optimierung erfolgte einerseits mittels einer Umstellung des Produktionsprozesses und andererseits durch ein verbessertes Management. Neben technischen Erneuerungen wie dem Einbau von Schrägkammeröfen und Kohleförderbändern wurde ein Programm zur Qualitätsverbesserung und Standardisierung der Produkte Gas und Koks vorangetrieben. Der Zeitgeist war damals weltweit von Henry Fords Konzepten beseelt – auf der einen Seite Fließbänder und Rationalisierung, auf der anderen Seite „Dienst am Kunden“. Für viele Hamburger war der Verbrauch vom Gas im Haushalt und Gewerbe noch ungewohnt. Das führte dazu, dass eine „HGW-Beratungsstelle für Gasverbraucher“ eingerichtet wurde. Dort klärten Mitarbeiter der HGW Kunden auf, wie sie mit Gas sicher umgehen konnten. In der Abteilung „Haushalt“ wurden „in der Hauptsache Kochapparate, Heizöfen, Herde und Badeeinrichtungen ausgestellt“. In einem separaten darunterliegenden Ausstellungsraum wurden die vielseitigen Nutzungsmöglichkeiten für Gewerbe und Industrie gezeigt, wie z.B. Großkochherde, Baumkuchenapparate, und Großgasbrenner. Dort gab es Kurse und Vorträge, die gezielt die „neue“ Hausfrau als Gaskundin anwarben, sowie „Fortbildungsveranstaltungen für Mechaniker, Gasmesserableser und andere Praktiker des Gasfachs“.[7]

Eine Kalenderseite mit Tipps des Hein-Gas-Männchens zum Kochen mit Gas

Ab 1926 schenkte die Hamburger Gaswerke ihren Kunden einen „Hein-Gas-Kalender“, der neben Busfahrplänen und Gasgedichten auch Tipps für den sparsamen Verbrauch enthielt. Zunächst zielte dieser noch auf wohlhabende Kunden ab, wurde in den Folgejahren aber auf breitere Zielgruppen ausgeweitet.

Durch den Ausbau der Fernversorgung und Hamburgs industriellen Aufschwung stieg die Nachfrage nach Gas ständig an. Dazu wurden Erweiterungen der Erzeugungs- und Speicherkapazitäten notwendig. In Tiefstack entstand Norddeutschlands größter Scheibengasbehälter, der mit einem Fassungsvermögen von 225.000 Kubikmetern lange ein Wahrzeichen von Rothenburgsort war.

Ein erstmalig vom Betriebsrat und Gewerkschaftsvertretern ausgehandelter Haustarifvertrag erzielte 1928 zweistellige Lohnerhöhungen für alle Arbeitnehmer der HGW. Darüber hinaus wurden auch soziale Verbesserungen in der Unfallverhütung, der Betriebshygiene (unter anderem Toiletten) und bei der Errichtung von Aufenthaltsräumen und Kantinen durchgesetzt.

Die Weltwirtschaftskrise jedoch wirkte sich auch auf die Gasversorgung aus. Mit der andauernden Krise wurden die Bezüge der Angestellten und der Arbeiter bei den HGW um 19-22 Prozent gesenkt.

Um 1930 dominierte das ausgebaute Gaswerk den Grasbrook

Das kommunale Unternehmen erfuhr durch die Machtergreifung der Nationalsozialistenschwerwiegende Rückschlage. Schon im März 1933 wurden Geschäftsführer Heinrich Schumann und Prokurist Max Schau, beide SPD-Mitglieder, abgesetzt und verhaftet. Der Eilbeker NSDAP-Kreisvorsitzende Wilhelm Nowakowski wurde zum neuen Geschäftsführer ernannt. Den Betriebsratsvorsitzenden Albert Steinmetz und Wilhelm Spille wurden zum 1. Juli 1933 gekündigt und der Betriebsrat verkam zu einem „Vertrauensrat“ – ein Gremium, das nur aus NSDAP-Mitgliedern oder völkisch gesinnten Mitarbeitern bestand.

Mitarbeiter der Gaswerke entrichten 1937 den Hitlergruß

Mindestens 65 Kollegen wurden politisch bedingt aus dem Dienst entlassen.[8] Die neue Leitung der HGW versuchte auch über Maßnahmen im Betrieb die allgemein eher sozialdemokratisch eingestellte Belegschaft zu nazifizieren, indem sie gleichzeitig Mitarbeitern sowohl mit Strafen drohte als auch Anreize für eine Annahme des nationalsozialistischen Gedankenguts bot. Die strafenden Maßnahmen reichten von Bedrohungen über Gehaltskürzungen bis zu Entlassungen und Denunzierungen, die in manchen Fällen zur Verhaftung und zur Einlieferung in ein KZ führten. Mitarbeiter, die einen professionellen Aufstieg anstrebten, wurden gezwungen, der NSDAP beizutreten.[9] Parteimitglieder wurden auch freigestellt, um an Parteiveranstaltungen wie dem Reichsparteitag in Nürnberg teilzunehmen. Um die Gleichschaltung voranzutreiben erschien ab Mai 1934 „Der Arbeitskamerad: Werkzeitschrift für die Gefolgschaft der HGW“. Mittels dieses Organs verbreiteten die neuen Machtinhaber ihre perfide rassenideologische und kriegsverherrlichende Weltanschauung.

Des Weiteren stockten für Nicht-Parteimitglieder die Löhne, obwohl die auf Pump finanzierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und das Aufrüstungsprogramm der Nationalsozialisten bald nach der Machtübernahme zur Vollbeschäftigung führten. Ab Kriegsbeginn im September 1939 wurde die wöchentliche Schichtarbeitszeit von 48 Stunden auf 56 Stunden heraufgesetzt.

Das Stadtgebiet von Altona noch ausgespart – Hamburgs Gasversorgungsnetz Anfang der 1930er Jahre

Durch das „Groß-Hamburg-Gesetz“ 1937/1938 verloren zahlreiche preußische Gemeinden, unter anderem Altona, Harburg, und Wandsbek, ihre Eigenständigkeit. Die Hamburger Gaswerke übernahmen das Gaswerk Altona (seit 1857 in Betrieb) und kauften das Gaswerk Bergedorf an.

Der Aufbau eines betriebliches Luftschutzes 1935 und die Einführung des Vierjahresplans 1937 zeugten davon, dass es von Anfang an Plan der Nationalsozialisten war, einen Krieg loszutreten.

Dieser Krieg traf auch die Gaswerke. Eingezogen wurden über die sechs Kriegsjahre weit über tausend Mitarbeiter. Sogar einige Mitarbeiterinnen wurden für den Deutschen Volkssturm und andere für Frauen zugelassene Einheiten mobilisiert.[10] Über 100 HGW-Mitarbeiter ließen ihr Leben, 30 galten noch bei Kriegsende als vermisst. Die zunehmende Zahl der Arbeiter, die für den Wehrdienst freigestellt werden musste, veranlasste die Geschäftsführung, ausländische Zwangsarbeiter einzusetzen. Die erste Beantragung von 65 „ausländischen Arbeitern“ und 10 Handwerkern („ausländische Arbeiter oder Kriegsgefangene“) ist im Aufsichtsratsprotokoll vom 27. August 1941 festgehalten. Räume, in denen 40 bis 60 Gefangene untergebracht werden konnten, wurden April 1942 für Tiefstack eingerichtet. Am 30. Juni 1943 waren in Tiefstack, bei einer Gesamtbelegschaft von 365 Arbeitern, 91 Ausländerbeschäftigt, darunter auch sowjetische Kriegsgefangene. Im April 1944 betrug der Anteil an Zwangsarbeitern 25 Prozent, im April 1945 lag er sogar bei 36,5 Prozent. Nachgewiesen sind insgesamt 10 Lager bei den Hamburger Gaswerken.[11]

Die Operation Gomorrha, die britisch-amerikanische Bombardierungskampagne vom 25. Juli bis zum 3. August 1943, bewirkte unvorhersehbare Zerstörungen. Ziele des Luftangriffes waren neben der Schwächung der Kriegsbegeisterung der Zivilbevölkerung die Rüstungs- und Versorgungsunternehmen.[12] Die Anlagen der Gaswerke wurden schwer beschädigt, vor allem das Gaswerk Tiefstack, in dessen Nähe ein Munitionszug und ein Braunkohlelager in Brand geraten waren, was Löscharbeiten so gut wie unmöglich machte.

In Hamburg verloren binnen einer Woche ca. 35.000 Menschen ihr Leben, ca. 125.000 wurden verletzt und fast 1.000.000 wurden obdachlos. Unter den zu Hunderttausenden in diesen Bombennächten aus der Stadt flüchtenden Menschen waren viele ausländische Zwangsarbeiter, so auch beim Gaswerk Tiefstack.[13] Die Bombardierung kostete 70 Mitarbeiter der Gaswerke und eine unbekannte Zahl Zwangsarbeiter ihr Leben. Alle verbliebenen Gaswerker, ob Gefangene oder „Volksdeutsche“, mussten schwere Arbeit auf sich nehmen, um die Versorgung der Stadt mit Gas abzusichern. Ein Großteil der lebensgefährlichen Aufräumarbeiten wurde von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen aus Neuengamme verrichtet.[14] Laut Aufsichtsratsprotokoll wurden Gefangene in den zerstörten Stadtgebieten eingesetzt, um dort Rohre auszugraben, so dass sie anderswo eingesetzt werden konnten.[15]

Die Situation für die Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen verschlechterte sich im Laufe des Krieges, wie die im Mai 1944 erlassenen Anweisungen der Bauverwaltung, die für die Zuteilung von Zwangsarbeitern zuständig war, an die Leiter des Gaswerk Tiefstack verdeutlichen: „Jeder Arbeitgeber ist dafür verantwortlich, dass die Arbeitskräfte der Kriegsgefangenen und Militärinternierten bis zum Äußersten ausgenutzt werden“. Dies bedeutete unter anderem eine „Mindesteinsatzzeit von 60 Stunden in der Woche“.[16] Ein ehemaliger holländischer Zwangsarbeiter berichtete später: „Allmählich kam das Ende des Krieges. Es kamen noch Badolgio Truppen (antifaschistische Italiener) zum Arbeiten. Die kamen in eine Baracke auf dem Werksgelände, später kamen auch noch Russen. Das Essen wurde schlechter. Wir hatten kaum noch Kleider und Schuhe. Die letzte Woche gab es nur noch rote Rüben. Die ganze Lage war verwirrt, und gearbeitet wurde kaum noch“.[17]

Seit 1945 ging die Beseitigung der Kriegsschäden an den Gaswerken voran

Die Hamburger Gasanstalt auf dem Grasbrook bestand nun seit 100 Jahren, als Hamburg Ende April 1945 bedingungslos kapitulierte. Zum ersten Mal wurde die Gasversorgung der Hamburger Haushalte für 6 Monate unterbrochen. Die vollständige Wiederherstellung der Gasversorgungdauerte bis Ende 1949 an. Bis 1953 wurde das mehr als 100 Jahre alte Stammwerk Grasbrook bei laufendem Betrieb durch den ERP (European Recovery Plan, einen „Marshallplan“ genannten Fonds) erneuert und erweitert.

Otto Gruntzdorff, Betriebsratsmitglied während der Weimarer Republik, spielte unmittelbar nach dem Einzug der Alliierten in Hamburg eine maßgebliche Rolle in der Neuorganisierung der Mitarbeitervertretung. Gruntzdorff berichtete in seinen Erinnerungen: „Am 7. Mai 1945 trafen sich viele Gewerkschaftler und SPD-Freunde vor dem Gewerkschaftshaus. Das Gewerkschaftshaus war von englischen Soldaten besetzt. Das Ziel der Anwesenden war, Gewerkschaft und Partei wieder neu zu gründen (…) Unsere Aktion galt der Absetzung der leitenden Nazis (…).“

1950er Jahre: Mitarbeiter vor dem Mitteilungsbrett der Gewerkschaft

Lohnverhandlungen und ein neuer Tarifvertrag brachten den Mitarbeitern 1948 die ersten Lohnerhöhungen seit den 1930er Jahren sowie verbesserte Schichtarbeiterregelungen und mehr Urlaub. Doch ohne Streik ging es manchmal nicht. Im August 1954 streikten Mitarbeiter der öffentlichen Betriebe in Hamburg. Sie erwirkten ein deutlich besseres Ergebnis als es das ursprüngliche Angebot der Arbeitgeberseite vorsah.[18] Durch ihre erfolgreiche Aktion konnten die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst deutlich mehr Anteil am Wirtschaftswunder erreichen. Bei den Hamburger Gaswerken blieben Erzwingungsstreiks Ausnahme. Gute Mitbestimmungsarbeit und eine sozialpartnerschaftliche Beziehung mit dem Arbeitgeber haben auch viel erreicht.

Arbeiter am Ofenblock auf dem Grasbrook im Jahr 1957

Die Kokereien zählten nach wie vor zu den gefährlichsten Anlagen des Unternehmens. Hier machte ab den 1950er Jahren aber bessere Schutzkleidung die Arbeit sicherer.

1955 wurde Raffineriegas aus der Erdölproduktion erstmals zur Erzeugung von Stadtgasherangezogen. In Tiefstack wurde eine Spaltanlage sowie ein neuer Gasbehälter gebaut und in Hamburg-Reitbrook ein Untergrundspeicher zur Sicherung der Versorgung während der Winterzeit in Betriebgenommen. Auch Faulgas (Biogas hergestellt aus Abwasser) speiste man ab Mitte der 1950er Jahre ins Netz ein. Zuletzt wurde auf der Elbinsel Kattwyk 1960 eine Großkokerei in Betrieb genommen, die neben Stadtgas und Koks jetzt auch Benzol, Phenol, Ammoniakgas und Teer an die Industrie lieferte. Die Nebenprodukte von Kohle fanden Einsatz in einer Vielzahl von Produkten, wie Farben, Parfum, Cellulose, Pharmazeutika und Gummi. Nach Fertigstellung der neuen Kokerei wurden die veralteten Gaswerke Barmbek und Tiefstack stillgelegt.

Werbeplakat von 1956 für das Heizen mit Gas

In den darauffolgenden Jahren bauten die HGW auch dezentrale Heizkraftwerke für neue Wohnsiedlungen. Die Mehrarbeit durch den wirtschaftlichen Aufschwung und die fehlenden vorhandenen Arbeitskräfte veranlassten die Geschäftsführung der Gaswerke „Gastarbeiter“ einzustellen. Im Jahr 1962 erhielten die ersten „Gastarbeiter“ aus der Türkei Einjahresverträge bei den HGW. Sie arbeiten auf Kattwyk, zum Teil in Schichten, und wohnten in einem Wohnheim auf dem Werksgelände in Tiefstack.

Ab Anfang der 1960er Jahre sollte das Erdgas in Hamburg das Stadtgas langfristig ersetzen. Eine Versuchsversorgung mit Erdgas wurde in den Vier- und Marschlanden gestartet, mit Gas aus Reitbrook.

Der Bau einer Erdgas-Pipeline durch Norddeutschland Mitte der 1960er Jahre

Danach wurden Leitungen aus dem Dollart-Ems-Gebiet gelegt, die zum Zweck der Erdgasversorgung die Elbe und ihre Nebenarme durch Rohrdüker unterquerten. Mit dem „Hamburger Ring“ ging 1967 eine 135 Kilometer lange ringförmige Transportleitung an der Peripherie der Hansestadt in Betrieb. Bis in den 1980er Jahre folgten weitere auf Erdgas bezogene Infrastrukturmaßnahmen. Bei der Umstellung auf das geruchslose und ungiftige, jedoch leicht entflammbare Erdgas mussten Geruchsmittel eingesetzt werden, um den Austritt von Erdgas bemerkbar zu machen – bis heute. Das kohlenoxydhaltige Stadtgas war lange eine Vergiftungsquelle. Gleichzeitig mit der Umstellung auf Erdgas begannen die HGW entgiftetes Stadtgas zu liefern.

Dieser Strukturwandel bedeutete für viele traditionelle Berufe in der Gasindustrie den Untergang.

Automatisierung in den frühen 1960ern – Fernsehüberwachung der Messgeräte auf dem Werk Kattwyk

Sukzessiv wurden Arbeitsplätze durch den technischen Wandel überflüssig gemacht. Zuerst in den Kokereien Grasbrook und Kattwyk: Rationalisierungsmaßnahmen machten die Arbeit im Allgemeinen sauberer und sicherer, jedoch wurden insgesamt immer weniger Arbeiter benötigt. Mit der Einführung von Erdgas fielen Arbeitsplätze in der Stadtgasproduktion ersatzlos weg. Als im März 1981 die letzte Gasleuchte in Hamburg vom Netz ging, wurden beispielsweise die Laternenwärter überflüssig. Durch Betriebsvereinbarungen wurden diese Kollegen nicht entlassen, sondern in anderen Abteilungen untergebracht. Eine Sturmflut am 8. April 1976 beendete eine 132 Jahre Hamburger Energieversorgungstradition. Das Stammwerk Grasbrook ging dabei endgültig vom Netz. Hein Gas hat sich seither von einem Produktionsbetrieb zu einem Verteilungsunternehmen gewandelt.

In den 1980er und 1990er Jahren setzten sich die HGW auf drei Gebieten intensiv mit dem Einsatz neuer Technologien auseinander: Mit der Energieeinsparung, z.B. durch Abwärmequellen, mit der Informationsverarbeitung und mit der Umwelttechnologie. Anfang 1999 wurde die erste Wasserstofftankstelle Europas auf dem Betriebshof Tiefstack feierlich eröffnet. Bereits gleich nach der Maueröffnung hatte Hein Gas beim Auf- und Ausbau einer modernen Erdgasversorgung in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg geholfen und daher zum Zusammenwachsen von Ost- und Westdeutschland beigetragen. Das Unternehmen erwarb dabei zahlreiche Zulieferkonzessionen.

Artikel ergänzt von Silke Urbanski und Claudia Falk

Seit den späten 1980er Jahren wurden die Hamburger Gaswerke nach und nach aus dem kommunalen Besitz herausgelöst. In Oktober 2000 entschied die Mehrheitsgesellschafterin HEW (Hamburger Elektricitätswerke, zu der Zeit noch mehrheitlich im kommunalen Besitz), ihre Anteile an HeinGas an den privaten Konzern E.ON Energie zu verkaufen.

Die Privatisierung löste in der Belegschaft große Ängst und Bedenken aus. Die Tochter eines Zeitzugen interviewte ihren Vater 2020 dazu. Die Tondokumente finden Sie hier:

Die Tochter schreibt :

„Das Interview führte Claudia Falk (Journalistin), Tochter von Dieter Falk, dem Interviewten. Es fand am 24.09.2020 in Hamburg in der Wohnung von Dieter Falk statt.

Dieter Falk ist heute 80 Jahre alt, gelernter Maschinenschlosser (Lehre bei Kampnagel) und später Meister im Gaszählerwesen. Er arbeitete von 1968 bis 1998 bei den Hamburger Gaswerken, „Hein Gas“ – zunächst in Fuhlsbüttel, später in Tiefstack. Mit 58 Jahren ging er in den Frühruhestand. Gewerkschaftliches Engagement war für ihn immer wichtig, und so wurde er als ÖTV-Mitglied bei Hein Gas rasch als Sprecher des Vertrauensleutekörpers gewählt und hatte dieses Amt lange inne, auch zu der Zeit, als Ende der 80er Jahre die Privatisierung der Hamburger Gaswerke begann. In dem Interview berichtet er über die Aufgaben von Vertrauensleuten, Betriebsräten, Gewerkschaften und Arbeitsdirektoren am Beispiel der Hamburger Gaswerke. Die Hamburger Gaswerke hatten mit Ulrich Hartmann bundesweit den ersten Arbeitsdirektor. In den kurzen Ausschnitten schildert er die Gegenwehr der Belegschaft gegen die beginnende Privatisierung von Hein Gas Ende der 80er Jahre. Bis dato war die Hansestadt Hamburg einzige Gesellschafterin.Besonders in Erinnerung geblieben ist Dieter Falk die außerordentliche Betriebsversammlung im CCH am 19. Februar 1988 u.a. mit dem damaligen Senator Kuhbier, bei der Dieter Falk als Vertrauensleutesprecher mit auf dem Podium saß. 1989 hatten die Hamburger Gaswerke vier neue Gesellschafter: HEW (54,9 Prozent), BEB (10.1 Prozent), Thüga (24,9 Prozent) und HGV (10,1 Prozent). Und das war erst der Einstieg in eine weitergehende Privatisierung. Dieter Falk ist froh, dass er diesen Prozess nicht mehr während seiner aktiven Berufstätigkeit miterleben musste; er ging 1998 in den Frühruhestand.“

Die globalen Auswirkungen der Finanzkrise Ende der 2000er Jahren lassen Teile der Hamburger Bevölkerung seither stärker darüber nachdenken, ob Daseinsvorsorge wie durch die Gasnetze nicht grundsätzlich in die öffentliche Hand gehört.
Es gründete sich die Bürgerinitiative „Unser Hamburg – Unsere Netze“ und bereitete einen Volksentscheid für Herbst 2013 vor. Argumentiert wurde, dass der Verkauf von HeinGas und der HEW die größten Fehler waren, die die Hamburger SPD je begangen hat. Selbst der ehemalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der 2002 für die Veräußerung der restlichen städtischen Anteile der HEW an Vattenfall verantwortlich war, hielt den Verkauf der Energienetze für einen großen Fehler gegenüber Hamburgs BürgerInnen. Am 22. September 2013 stimmten die BürgerInnen,mit einer knappen Mehrheit, für den Rückkauf der Netze. Der Wandel des Traditionsunternehmens geht weiter.

Das Klärwerk Köhlbrandhöft mit seinen Faultürmen

Hamburgs Haushalte und Industrie beziehen heute ihre leitungsgebundene Energie zu fast zwei Dritteln (21 Milliarden Kilowattstunden) über das Gasnetz. Nur rund ein Drittel (12 Milliarden Kilowattstunden) kommen als Strom ins Haus. Heute wieder ganz in städtischer Hand kann das Gasnetz eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Energiewende spielen. Wie beim Umstieg von Stadtgas zu Erdgas bereitet sich die Gasnetz Hamburg GmbH erneut auf einen Brennstoffwechsel vor. Mit Bio-Methan, das schon heute aus dem Klärwerk Köhlbrandhöft ins Netz eingespeist wird, und künftig Wasserstoff, wird das Gasnetz zum Verteiler erneuerbarer Energien.

 

[1] Wilhelm Melhop, Das Hamburger Beleuchtungswesen, 1925, S. 1

[2] Heinz Reye, „Hamburger Gastwirt Peter Ahrens war Vorläufer von Hein Gas! Das ‚engelsche Steenkahlenlücht‘ entstieg den Kinderschuhen“, 1969, S. 1-5.

[3] Kurze Beschreibung der öffentlichen Anlagen für die Beleuchtung, Wasserversorgung und Entwässerung der Stadt Hamburg, Juni 1887, S. 3-5.

[4] Zitiert in Manfred Asendorf, Geschichte der Hamburger Gaswerke, Hans Christians Verlag (Hamburg, 1988), S. 19.

[5] Wilhelm, Melhop, Das Hamburger Beleuchtungswesen, 1925, S. 10.

[6] Wilhelm Melhop, Das Hamburger Beleuchtungswesen, 1925, S. 11.

[7] Manfred Asendorf, Geschichte der Hamburger Gaswerke, S. 39-40.

[8] Hans Reye, Erleuchtung und Wärme für Hammonia; Eine Hamburg-Chronik besonderer Art, (M + K Verlag, Hamburg 1977), S. 29-32.

[9] Hans Reye, Erleuchtung und Wärme für Hammonia; Eine Hamburg-Chronik besonderer Art, (M + K Verlag, Hamburg 1977), S. 30.

[10] Aus der Liste der einberufenen Gefolgschaftsmitgliedern: Direktionsbüro, Materialverwaltung, Hausverwaltung, Betriebswerkstatt und Kasino: 23, darunter 3 Frauen; Druckerei und Statistik: 4, Betrieb Bergedorf: 51; Betrieb Altona-Bahrenfeld: 77, darunter eine Frau; Gaswerk Grasbrook: 106; Gaswerk Barmbek: 109; Tiefstack und Labor: 123; Rohrnetz: 84; Lager Wandsbek, Adolf Hitlerdamm: 38; Neumünster: 23; Straßenbeleuchtung: 107; Feuerungskontrolle: 97; Gasvertrieb: 18, Werkstatt, Gasmesserwesen: 75; Rechnungswesen: 301; Kassenwesen: 254, darunter 6 Frauen; Hauptbuchhaltung: 22; Malente Haus Sachsenhöh und Timmendorfer Strand: 5 darunter 2 Frauen, Kraftwagenbetrieb: 15. Die Liste enthält einige Doppeleintragungen. Mappe Wehrdienst, Archiv der HGW/GNH

[11] Frederike Littmann, Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939-1945, Dölling und Galitz Verlag (München, 2006), S. 257-262. Siehe auch Suchresultat http://www.zwangsarbeit-in-hamburg.de/

[12] Ursula Büttner, „Hamburgs Katastrophe im Bombenkrieg: Die ‚Operation Gomorrha‘ als politischer Wendepunkt“, in Förderkreis Mahnmal St. Nikolai e.V. (Hrsg.), Gomorrha 1943: Die Zerstörung Hamburgs im Luftkrieg, (Hamburg, 2013), S. 17-24.

[13] Frederike Littmann, Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939-1945, Dölling und Galitz Verlag (München, 2006), S. 260.

[14] J. Bos, „Erinnerungen eines Zwangsarbeiters“, in Hein Gas, Nr. 172, Dezember 1991: S. 4;Detlef Garbe, „Doppelt betroffene Opfer der NS-Verfolgung und der „Operation Gomorrha“: Das Leiden der ausländischen Zwangsarbeiter und der Einsatz von KZ-Häftlinge bei den Bergungs- und Aufräumungsarbeiten“, in Förderkreis Mahnmal St. Nikolai e.V. (Hrsg.), Gomorrha 1943: Die Zerstörung Hamburgs im Luftkrieg, (Hamburg, 2013), S. 62-63.

[15] Aufsichtsratsprotokoll von 23.10.1943, S. 4: Archiv der HGW/GNH.

[16] „Einsatz von Kriegsgefangenen und Militärinternierten“, Schreiben der Bauverwaltung Hamburg vom 31. Mai 1944, zitiert in Manfred Asendorf, Geschichte der Hamburger Gaswerke, Hans Christian Verlag (Hamburg,   1988), S. 66-67.

[17] J. Bos, „Erinnerungen eines Zwangsarbeiters“, in Hein Gas, Nr. 172, Dezember 199, S. 5.

[18] Der Spiegel 33/1954 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28957157.html

 

Grundlegende Literatur:

Asendorf, Manfred: Geschichte der Hamburger Gaswerke, Hamburg 1988.

Grobecker, Kurt und Hartung, Wilhelm: Anderthalb Jahrhunderte Hein Gas. Geschichten um eine liebenswerte Hamburgensie; Jubiläumsschrift der Hamburger Gaswerke, Hamburg 1994.

Melhop, Walter: Das Hamburger Beleuchtungswesen, Hamburg 1925.

Paquet, Alfons: HGW. Bildnis eines lebenswichtigen Betriebes, Berlin 1928.

Reye, Hans: Du, Die HGW und das Gas: Ein Betriebsbuch für die Werkangehörigen der Hamburger Gaswerke Gmbh. Hamburg 1951.

Reye, Hans: Erleuchtung und Wärme für Hammonia. Eine Hamburg-Chronik besonderer Art, Hamburg 1977.

Das komplette Interview mit Dieter Falk können Sie hier hören: https://youtu.be/5JquptbUk5I

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Der Neue Jungfernstieg in Hamburg (J. Gray/B. S. Berendsohn, Ausschnitt), Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, aus KS 1025/902.

Abb. Thementext: Plan von Hamburg mit Bezeichnung des abgebrannten Gebietes, Aus „Der Hamburger Brand vom 5. Bis zum 8. Mai 1842, Panorama gemalt von Paul Dünffcke“, Hofbuchdruckerei F.W. Rademacher, Hamburg / Hamburgs Gasfabrik 1852 von T. Wasmuth / William Lindley, Erbauer der Gaswerke / Gruß aus Hamburg, Postkarte Millerntor, um 1846 / Kalkhof (G. Koppmann & Co., Ausschnitt), Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, aus KS 1025/12s / Leuchtenwerkstatt in der Neustädter Neustraße, Fotograph: J. Hamann, 2. Hälfte des 19. Jh. / Das Direktionsbüro der Hamburger Gaswerke, 1899 / Rohrnetzbau, 1907, Staatsarchiv Hamburg / Gasanstalt Tiefstack um 1925 / Historische Postkarte „Erdgasflamme Neuengamme, um 1910 / Weltwirtschaftskrise: Gutschein für die begünstigte Bezahlung einer Gaslieferung, 1932 / HGW Werbung für Gastherme in Frau und Heim, 1927 / Das Hein Gas Männchen wirbt für die HGW, Hein Gas Kalender, 1926 / Vogelschau Grasbrook 1930, nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Hamburg-Grasbrook_um_1920.jpg) / HGW Mitarbeiter beim Adolf-Hitler-Treuegelöbnis, 1937, Foto in Arbeitskamerad Hein Gas, Nr. 6, S. 13, Original Bildunterschrift: „Ablegung des Treuegelöbnisses der HGW-Gefolgschaft am Nationalen Feiertag des deutschen Volkes“ / Übersichtsplan des Versorgungsgebiets der Hamburger Gaswerke, 1930 / Kriegsschäden auf Grasbrook, um 1945 / 1. Mai [Mitteilungsbrett] / Stoker_Grasbrook_1957; fotografiert von Germin (Gerhard Mingram) / Werbung für die Hamburger Gaswerke, „Es spricht sich rum“, Entwurf Bruno Karberg, Seitenscheibenplakat, 1956 / Bau der BEB Erdgaspipeline, um 1964 / Fernsehüberwachung der Messgeräte auf der Kokerei Kattwyk, Foto Germin, 1962 / Faultürme des Klärwerk Köhlbrandhöft (Foto Frank Schwichtenberg), nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kl%C3%A4rwerk_K%C3%B6hlbrandh%C3%B6ft_Fault%C3%BCrme_03.jpg); sonstige Bilder ohne Provenienzangabe mit freundlicher Genehmigung der Gasnetz Hamburg GmbH (Historisches Archiv Gasnetz Hamburg).