Christoph Strupp
Zu Beginn der 1970er Jahre entwickelte sich in den westlichen Industrieländern in kurzer Zeit ein neues Feld politischen Handelns: der Umweltschutz. Nach zwei Jahrzehnten wirtschaftlichen Aufschwungs konnte die Verschmutzung von Luft, Boden und Gewässern nicht mehr ignoriert werden. Zudem ließ der konsumorientierte Lebensstil die Müllberge wachsen. Dramatische Berichte in den Massenmedien rückten das Thema ins öffentliche Bewusstsein. So brachte das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Anfang Oktober 1970 eine viel beachtete Titelgeschichte über die „Vergiftete Umwelt“.
In der Bundesrepublik wuchs bei Bund, Ländern und Kommunen die Einsicht, dass es neuer gesetzlicher Regelungen und Institutionen für den Umweltschutz bedurfte. Hamburg verankerte im Dezember 1978 mit der „Behörde für Bezirksangelegenheiten, Naturschutz und Umweltgestaltung“ (1985-2001: Umweltbehörde; heute: Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft) das Thema erstmals auf Senatsebene. Erster Umweltsenator wurde von 1978 bis 1986 der SPD-Politiker Wolfgang Curilla.
Parallel formierten sich Bürgerinitiativen, die sich für den Umweltschutz vor Ort einsetzten, und es entstanden zivilgesellschaftliche Dachorganisationen wie der „Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ (1972), der „Bund Natur und Umweltschutz Deutschland e.V.“ (1975) (ab 1977: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.), „Greenpeace Deutschland e.V.“ (1980) und „Robin Wood – Gewaltfreie Aktionsgemeinschaft für Natur und Umwelt e.V.“ (1982). In Hamburg engagierten sich frühzeitig der 1978 gegründete Förderkreis „Rettet die Elbe“ und die „Arbeitsgruppe gegen Unterelbeindustrialisierung“. Sie griffen auch auf unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen zur Wasserqualität der Elbe zurück, die das Ausmaß der Verschmutzung des Flusses dokumentierten.
Mit der „Bunte Liste – Wehrt euch: Initiative für Demokratie und Umweltschutz“ entstand zudem 1978 in der Stadt eine neue umweltorientierte politische Partei. Sie ging im März 1982 in der „Grün-Alternativen Liste“ (GAL) auf, dem seit 30. November 1979 bestehenden Hamburger Landesverband der Partei „Die Grünen“. Im Juni 1982 wurde die GAL erstmals in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt und machte die Umweltpolitik dort in den kommenden Jahrzehnten zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit.
Auch in den Beziehungen Hamburgs zur DDR spielten Umweltaspekte nun eine Rolle. Dabei ging es zum einen um die Reinhaltung der verschmutzten Elbe und zum anderen um die Lagerung von Hamburger Haus- und Gewerbemüll in Ostdeutschland. Während der Senat mit Blick auf die Elbe regelmäßig mangelnden Umweltschutz in der DDR kritisierte, belastete Hamburg durch seine Müllexporte auf die Deponie Schönberg in Mecklenburg dort zusätzlich die Umwelt.
Nur wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Grundlagenvertrags zwischen der Bundesrepublik und der DDR forderte Hamburgs damaliger Erster Bürgermeister Peter Schulz (SPD) auf der Jahreskonferenz der Regierungschefs der norddeutschen Küstenländer im Januar 1973, mit der DDR über die Reinhaltung der Elbe, der Weser und der hochbelasteten Werra zu verhandeln. Tatsächlich kam es im November 1973 zu einem Umweltgespräch zwischen einer west- und ostdeutschen Delegation, aber ihm folgten in den 1970er Jahren keine weiteren.
Im März 1982 regte der Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) bei einem „Hafenabend“ am Rande der Leipziger Messe im März 1982 an, man solle nach der wirtschaftspolitisch motivierten „Politik der Elbe“ der 1950er und 1960er Jahre „aus gemeinsamer ökologischer Verantwortung heraus jetzt eine Politik für die Elbe betreiben“. Die Einleitung von Schadstoffen in den Fluss solle drastisch reduziert werden. Im Februar 1983 mahnte von Dohnanyi in einer Regierungserklärung in der Hamburgischen Bürgerschaft, der Kurs der Industriegesellschaft müsse „in West und Ost“ grundsätzlich korrigiert werden – eine Mahnung, die er im November 1984 noch einmal bekräftigte. Die Vitalität und Selbstreinigungskraft der Elbe sei seit längerem überfordert. In der gleichen Rede erklärte er aber auch, dass die Vorbelastung des Flusses aus der DDR und der Tschechoslowakei das Zehnfache der Hamburger Belastung ausmache. Deshalb seien neue Verhandlungen mit der DDR und technologische, wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit „über die Grenzen hinweg“ erforderlich.
Die Umweltthematik war also in Hamburg in Bezug auf die Elbe frühzeitig mit dem Blick über den Eisernen Vorhang verknüpft. Tatsächlich hatte ein Situationsbericht zur Wasserqualität der Elbe Anfang der 1980er Jahre ergeben, dass rund ein Viertel der Schadstoffe auf dem Gebiet der Bundesrepublik in den Fluss gelangten. Die übrigen drei Viertel stammten aus der Tschechoslowakei und der DDR. Wenn man über die Elbe hinaus auch das Elbeeinzugsgebiet berücksichtigte, lag die Belastung aus dem Osten sogar noch höher. Dabei ging es vor allem um giftige Schwermetalle wie Quecksilber, Cadmium oder Blei und um Chlorkohlenwasserstoffe. Ungeklärt eingeleitet wurden aber auch Haushaltsabwässer der großen Städte und Abwässer der Industrieanlagen im Osten.
In Westdeutschland hatten die Elbvertiefungen zugunsten der Erreichbarkeit des Hamburger Hafens und die Eindeichungen nach der Sturmflut von 1962 die Schadstoffbelastung noch verstärkt, weil sie das Fließverhalten der Elbe veränderten. Bade- und Fischfangverbote waren die Folge, besonders in trockenen Sommermonaten, wenn der Pegel sank und die Abwässer nicht mehr ausreichend Richtung Nordsee gespült wurden.
Allerdings prangerten Hamburger Umweltgruppen und engagierte Betroffene wie der Elbfischer Heinz Oestmann aus Altenwerder – eine der Symbolfiguren der Kampagne für die Reinhaltung der Elbe und der Nordsee – auch die Schadstoffeinleitungen westdeutscher Unternehmen an, darunter Hamburger Unternehmen wie die Norddeutsche Affinerie. Zudem gelangten jedes Jahr große Mengen Klärschlamm und Millionen Kubikmeter Abwässer aus dem Stadtgebiet ungereinigt in die Elbe. Stromabwärts leitete die Chemieunternehmen bei Stade und Brunsbüttel mit behördlicher Genehmigung weitere Giftstoffe in den Fluss ein.
Die seit 1979 jährlich als Protestveranstaltungen abgehaltenen „Elbfischerfeste“ besuchten jeweils zehntausende Hamburgerinnen und Hamburger. Im Februar 1981 blockierten die Elbfischer mit ihren Kuttern mehrere Stunden lang den Hamburger Hafen. In einer Befragung der Leserinnen und Leser der „Hamburger Morgenpost“ siegte im Mai 1982 auf der „Hitliste der Ärgernisse“ mit deutlichem Vorsprung die „Elbverschmutzung“. Im Juni 1982 zog die GAL auch deshalb die Hamburgische Bürgerschaft ein, weil sie in ihrem Wahlprogramm die Umweltschäden an der Elbe ausführlich thematisiert hatte.
Im Lauf der 1980er Jahre besserte sich die Wasserqualität der Elbe zunächst durch Maßnahmen auf westdeutscher Seite. Die verheerende Umweltbilanz der DDR wurde auch von der GAL und den Umweltgruppen nicht bestritten – und ein Greenpeace-Bericht über die Ergebnisse der ersten ungehinderten Messfahrt auf der Elbe zwischen Brunsbüttel und Dresden nach der Öffnung der DDR im April und Mai 1990 bestätigte dies nachdrücklich. Die Umweltorganisationen kritisierten aber, dass die Schadstoffeinleitungen aus der DDR und der Tschechoslowakei oft als Ausrede für die Wasserverschmutzung im Westen dienten.
„Sensation: DDR-Abwässer verseuchen die Elbe, BRD-Abwässer ungefährlich!“ spottete die Zeitschrift „Rettet die Elbe“ im März 1981, nachdem die staatliche „Arbeitsgemeinschaft für die Reinhaltung der Elbe“ zwar den Fluss unmittelbar hinter der Grenze sorgfältig untersucht, aber auf Hamburger Gebiet keine Messungen durchgeführt hatte. Dabei gab es zu der Zeit in Hamburg über eintausend Einleiter von Abwässern. Die Hamburger Handelskammer behauptete in ihrem Jahresbericht für 1982 trotzdem, ohne die Vorbelastung aus dem Osten könne die „Selbstreinigungskraft der Elbe die Belastung aus hamburgischen Quellen ohne allzu große Probleme“ bewältigen. 1988 bekräftigte die Kammer in ihrer Zeitschrift „Hamburger Wirtschaft“, der Hamburger Anteil an der Verschmutzung betrage maximal 6 Prozent.
Erst in den 1980er Jahren wurden die Umweltgespräche zwischen der Bundesregierung und der DDR wieder aufgenommen. Umweltsenator Curilla hatte bereits im Herbst 1980 vorgeschlagen, die DDR finanziell zu fördern, damit die Behörden dort Maßnahmen für den Umweltschutz und eine bessere Wasserqualität der Elbe durchführen konnten. Dazu war die Bundesregierung nun bereit und die Aussicht auf finanzielle Hilfen förderte die ostdeutsche Verhandlungsbereitschaft. Zudem wollte man auf Seiten der DDR-Regierung vermeiden, im Westen als Umweltverschmutzer angeprangert zu werden.
Im September 1982 berichtete das „Hamburger Abendblatt“ über Gespräche mit der DDR, „damit die Elbe sauber wird“. Der neue Wirtschaftssenator Volker Lange (SPD) erklärte, es solle ein „ernsthafter Versuch zur Rettung der Elbe“ unternommen werden. Erste Ergebnisse der Regierungsgespräche auf Bundesebene bezogen sich aber auf Kläranlagen in Berlin und im thüringischen Sonneberg. Die Verhandlungen über die Elbe ruhten dagegen bereits 1983 wieder wegen des strittigen Grenzverlaufs, den die Bundesregierung am östlichen Flussufer, die DDR-Regierung aber in der Mitte des Stroms sah.
Von 1985 an nahmen die Verhandlungen wieder Fahrt auf und mündeten am 8. September 1987 in die erste deutsch-deutsche Umweltvereinbarung. Danach waren auch wieder Gespräche über die Elbe möglich. Unmittelbar vor dem Fall der Mauer, am 1. und 2. November 1989, reisten Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) und Umweltsenator Jörg Kuhbier (SPD) nach Dresden, um eine Vereinbarung über gemeinsame Umweltprojekte zu unterzeichnen. Hamburg stellte dafür 3,35 Mio. DM finanzielle Förderung in Aussicht. In den Wirren der Wende wurde die Vereinbarung aber nicht mehr wirksam.
Die Gespräche der Politik auf nationaler Ebene und auf Länderebene mit dem Osten brachten in den 1980er Jahren wenig konkrete Erfolge, da in der DDR weder das Kapital noch das technische Know-how für den Ausbau des Gewässerschutzes vorhanden waren. Im Wesentlichen beschränkte man sich auf den Austausch von Informationen, wobei die ostdeutschen Umweltdaten wenig verlässlich waren. Den DDR-Kommunen war es sogar ausdrücklich verboten, eigene Daten zur Luft- und Wasserqualität vorzulegen. So blieb die „Politik für die Elbe“ in den 1980er Jahren eher Wunsch als Wirklichkeit.
1990 offenbarten dann unabhängige Messungen zunächst das katastrophale Ausmaß der Schäden, aber in den Jahren danach besserte sich die Wasserqualität durch die Deindustrialisierung der DDR und die Modernisierung der kommunalen Klärwerke deutlich. Anfang der 2000er Jahre war sogar der Verzehr von Fischen aus der Elbe wieder möglich.
Während Hamburg in den 1980er Jahren regelmäßig über die Abwässer klagte, die über die Elbe aus dem Osten kam, sah man lange kein Problem darin, dass die Stadt in einem anderen Bereich zur Umweltverschmutzung in der DDR beitrug und zwar durch den Export von Haus-, Gewerbe- und Sondermüll. Dieser Müll wurde auf die Deponie Schönberg (heute: Deponie Ihlenberg) gebracht, wenige Kilometer hinter der innerdeutschen Grenze in Mecklenburg. Angesichts weitgehend ausgeschöpfter eigener Entsorgungskapazitäten und wachsender Müllmengen war Mitte der 1980er Jahre die Abhängigkeit der Stadt von diesen Müllexporten so groß, dass schon Störungen von wenigen Tagen „Müllnotstände“ heraufbeschworen.
Bereits seit 1969 hatte die DDR aus finanziellen Gründen Müll aus dem Westen angenommen, zunächst Trümmerschutt und Siedlungsabfälle aus West-Berlin – 1978 ging dann bereits fast die Hälfte des West-Berliner Mülls in die DDR. Im Januar 1979 beschloss die DDR-Regierung, das Müllgeschäft mit dem Westen auszuweiten und dazu eine neue Deponie in Schönberg (Bezirk Rostock) im Grenzsperrgebiet in Mecklenburg zu errichten. Ein öffentliches Beteiligungsverfahren für den Bau gab es nicht und ob die Bodenverhältnisse dort für eine Abfalldeponie geologisch geeignet waren, wurde kaum geprüft. Die heute für Deponien unerlässliche Basisabdeckung zum Schutz des Grundwassers war damals nicht vorgesehen. Anfangs sollte Schönberg als nicht gefährlich deklarierte Abfälle wie Bauschutt oder Flugasche aufnehmen, aber bereits 1980 wurde das Gelände auch für Sondermüll freigegeben, 1982 dann sogar für Abfälle der höchsten Giftklassen. Die Vermischung mit Hausmüll und Bauschutt sollte als Sicherheitsmaßnahme ausreichen. Ende der 1980er Jahre galt Schönberg als größte Giftmülldeponie Europas.
Wirtschaftlich wurde die Deponie rasch zu einem Erfolg: Konkurrenzlos niedrige Preise für die Müllanlieferung zogen Interessenten aus ganz Westeuropa an. Bis Ende 1989 dürfte die DDR damit rund 250 Millionen DM an Devisen eingenommen haben, davon 211 Millionen DM aus der Bundesrepublik. Zum Zeitpunkt der Wende lagerten in Fässern, Säcken und in loser Form bereits rund 10 Millionen Tonnen Müll auf dem Gelände. Politisch fiel Schönberg in die Zuständigkeit des DDR-Außenhandelsministeriums und seiner für Devisenbeschaffung im Westen zuständigen Abteilung Kommerzielle Koordinierung (KoKo) bzw. deren Tochterfirma Intrac. Sie wiederum übertrug die Vermarktung in Westdeutschland 1981 auf das „Hanseatische Baustoffkontor“ in Lübeck, die Firma des politisch gut vernetzten Unternehmers Adolf Hilmer.
Kritische Stimmen im Westen – und unter den Bedingungen des DDR-Regimes verhaltener auch im Osten -, dass die Deponie eine Umwelt- und Gesundheitsgefahr darstellte, weil die Anlieferungen weder sorgsam überwacht wurden noch die notwendige technische Ausrüstung für die chemische Analyse der Inhaltsstoffe vorhanden war, hatten keine Konsequenzen. Im nur 14 km entfernten Lübeck fürchteten die Menschen um ihr Trinkwasser und protestierten auch gegen die LKW-Kolonnen auf ihrem Weg zum Grenzübergang Lübeck-Schlutup.
Sowohl Hamburger Unternehmen als auch die Stadt selbst wurden frühzeitig auf die nahegelegene neue Möglichkeit der Müllentsorgung aufmerksam. Schließlich waren Ende der 1970er Jahre die Müllverbrennungsanlagen Hamburgs weitgehend ausgelastet und neue Deponieflächen in dem Stadtstaat nicht zu finden und politisch auch nicht durchsetzbar. Noch 1979 gingen insgesamt 10.000 Tonnen Abfall aus Hamburg nach Schönberg, 1980 waren es bereits 20.000 Tonnen. Im Juni 1982 schloss die Baubehörde über das „Hanseatische Baustoffkontor“ einen Vertrag mit der DDR, der ab 1. Juli 1982 die Abnahme von jährlich 100.000 Tonnen Hausmüll vorsah. Bereits 1983 wurde diese Menge mit rund 112.000 Tonnen überschritten, wobei mit rund 34.000 Tonnen der größte Anteil auf Schlacken und Aschen aus der Sondermüllverbrennung entfiel, gefolgt von rund 26.000 Tonnen Klärschlamm, den man bisher auf hoher See abgekippt hatte.
Nur zwei Jahre später, 1985, lag die Gesamtmenge bei 305.000 Tonnen (Klärschlamm: 111.000 Tonnen, verunreinigter Boden: 56.000 Tonnen, Schlacken und Aschen: 34.000 Tonnen Schlacken und Aschen). Andere Zählweisen ergaben für 1985 sogar eine Gesamtmenge von 461.000 Tonnen und das „Hamburger Abendblatt“ rechnete Anfang Dezember 1986 mit einer Gesamtmenge von Haus- und Sondermüll sowie Klärschlamm von 506.000 Tonnen. In der Hamburgischen Bürgerschaft sprach der CDU-Abgeordnete Roland Salchow Anfang Januar 1990 dann von zuletzt jährlich 800.000 Tonnen.
Unterschiedliche Mengenangaben beruhten auch darauf, dass neben den Anlieferungen der Stadtreinigung und städtischer Unternehmen wie der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) auch private Unternehmen – jeweils mit extra ausgestellten Genehmigungen der Umweltbehörde – Schönberg zur Entsorgung nutzten, darunter die Norddeutsche Affinerie, die Hamburger Stahlwerke, Blohm und Voß, das 1984 geschlossene Chemiewerk Boehringer, die Beiersdorf AG und die Raffinerie der Deutsche Shell AG in Harburg. Zwar exportierten in den 1980er Jahren auch andere Bundesländer Müll in die DDR, aber in Schönberg stammten rund zwei Drittel der Mengen aus Hamburger Quellen. Allein die Kosten der Stadtreinigung für die Transporte lagen bereits Mitte der 1980er Jahre bei sieben bis acht Millionen DM jährlich.
Sowohl im Deutschen Bundestag als auch in der Hamburgischen Bürgerschaft stellten die Grünen bzw. die GAL die ganzen 1980er Jahre hindurch immer wieder kritische Anfragen an die Bundesregierung bzw. den Senat und prangerten die Müllexporte nach Schönberg an. Die GAL griff dabei vor allem die Sorge um das Trinkwasser Lübecks auf. Die Bundesregierung entzog sich den Debatten in aller Regel durch einen Verweis auf die Zuständigkeit der Bundesländer für die Abfallentsorgung und der Aufsichtsbehörden der DDR.
In Hamburg beharrte der Senat darauf, dass die Transporte in den Osten „verantwortbar“ seien und keine „gesicherten Erkenntnisse“ über eine Gefährdung des Trinkwassers vorlägen. Nach dem novellierten Abfallbeseitigungsgesetz der Bundesrepublik von 1985 seien Transporte in weiter entfernt liegende andere Bundesländer „als unbillige Härte zu betrachten“, wenn man stattdessen die näher gelegenen Einrichtungen der DDR nutzen könne. Im Februar 1986 räumte der SPD-Abgeordnete Leonhard Hajen in der Bürgerschaft offen ein, dass „Hamburg auf diese Deponie überhaupt nicht verzichten kann. Wer hier anderes behauptet, erweckt Illusionen.“ Umweltsenator Curilla wies darauf hin, dass die kommunalen Abfälle der Stadt gar nicht problematisch seien, sondern dass die nach Schönberg verbrachten Sonderabfälle aus Gewerbe und Industrie stammten. Sie seien aber auf eine sichere Entsorgung angewiesen. 1987 verhandelte Hamburg dann aber auch über die Ablagerung von belastetem Hafenschlick auf der Deponie.
Neben der „Verantwortbarkeit“ hob der Senat immer wieder hervor, dass man Schönberg nur für eine Übergangszeit nutzen wolle. So sollte es weniger Abfall geben, aber die Stadtreinigung erreichte mit ihrem Prinzip „Vermeiden – Vermindern – Verwerten“ keine wesentliche Reduzierung der Müllmengen. Forderungen etwa der GAL, durch Vorgaben für die Produktion die Entstehung von Schadstoffen und Abfällen von vornherein zu vermeiden, liefen ins Leere. Verhandlungen des Senats über Kooperationen bei der Müllbeseitigung mit den großen Nachbarländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein kamen kaum voran.
Im Dezember 1986 und erneut im Herbst 1987 drohte Hamburg vorübergehend ein „Müllnotstand“, weil nun die Stadt Lübeck mit einer gerichtlichen Verfügung die Transporte stoppen wollte. Die oppositionelle CDU, die GAL und die Presse kritisierten, dass der Senat bzw. die Stadtreinigung für eine solche Lage keine Vorsorge getroffen hätten. Schönberg schien bequem und vor allem preiswert und der Senat tat nach Ansicht der Opposition zu wenig, um die „Übergangszeit“ möglichst kurz zu halten.
Umweltgruppen auf beiden Seiten der Grenze hofften nach dem Fall der Mauer 1989, dass die umstrittene Deponie rasch geschlossen werden könne. In Hamburg brachte die GAL am 17. Januar 1990 ein „Sofortprogramm zum Ausstieg aus Schönberg“ in die Bürgerschaft ein. Der CDU-Abgeordnete Salchow fragte nach Notfallplänen des Senats und spottete, auf dem Rathausmarkt sei nur für zwei Monate Platz, bevor er bis zum Dach verfüllt sei.
Die Hoffnung auf eine Schließung wurde aber bald enttäuscht. Dafür gab es zwei Gründe: Erstens hatte sich an der Abfallsituation im Westen durch die Wende eben nichts geändert – Hamburg und die anderen Anlieferer hatten unverändert dringenden Bedarf an Deponieflächen für ihren Müll. Zweitens hatten die DDR-Firma Intrac und das „Hanseatische Baustoffkontor“ im Oktober 1989 neue Verträge mit einer Laufzeit bis 2005 geschlossen, die sich juristisch als so wasserdicht erwiesen, dass auch die Rechtsnachfolger – zunächst die Treuhandanstalt, später das Land Mecklenburg-Vorpommern – durch sie gebunden blieben. Hamburg selbst schloss im Herbst 1990 einen neuen Vertrag mit dem „Hanseatischen Baustoffkontor“. Die Aufarbeitung der Vorgänge rund um die undurchsichtigen Eigentums- und Nutzungsverhältnisse der Deponie und die Frage, wer daran im Westen wie im Osten verdient hatte, beschäftigte Gerichte und parlamentarische Untersuchungsausschüsse über Jahre.
Geschlossen ist die Deponie bis heute nicht: Begleitet von fortdauernden Umweltprotesten, werden unter dem bereits 1990 eingeführten neuen Namen „Deponie Ihlenberg“ (Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft mbH) weiterhin jährlich hunderttausende Tonnen Sondermüll einschließlich chemischer Abfallstoffe aus dem In- und Ausland angenommen. Sie werden allerdings seit 2011 auf neu erschlossenen und nach den strengen heutigen Umweltstandards hergerichteten Flächen abgelagert. Seit 1979 hat die Deponie insgesamt rund 20 Millionen Tonnen Abfälle angenommen. Erst Ende 2035 soll sie endgültig geschlossen werden.
Fazit
Auch aus umwelthistorischer Perspektive werde deutlich, dass Deutschland bis 1990 „geteilt, aber nicht unverbunden“ gewesen sei, hat die Historikerin Astrid M. Eckert vor einigen Jahren zutreffend formuliert. Die Elbe mit ihrer Schadstofffracht aus dem Osten und der Müll der westdeutschen Konsumgesellschaft passierten die ansonsten so hermetisch abgeriegelte Grenze. Das grenznahe Hamburg spielte dabei eine zwiespältige Rolle, denn das „DDR-Umweltgeprange“ des Senats bei der Elbe (Salchow) vertrug sich schlecht mit den Mülltransporten, bei denen man die Devisenknappheit und die nicht unabhängig kontrollierten Umweltstandards der DDR ausnutzte.
Literatur:
Matthias Judt, Der Bereich Kommerzielle Koordinierung. Das DDR-Wirtschaftsimperium des Alexander Schalck-Golodkowski – Mythos und Realität, Berlin: Ch. Links Verlag, 2013.
Peter Boeger, Die Stasi, der Müll und das Geld. Der deutsch-deutsche Abfallhandel am Beispiel der DDR-Deponie Schönberg, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 26, H. 1 (2022), S. 55-65.
Astrid M. Eckert, Geteilt, aber nicht unverbunden. Grenzgewässer als deutsch-deutsches Umweltproblem, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62, H. 1 (2014), S. 69-100.
Joachim Szodrzynski, Fliegen Schmetterlinge nur einen Sommer? Prolog der Grün-Alternativen in Hamburg, in: 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, hrsg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, München / Hamburg: Dölling und Galitz, 2012, S. 202-215.
Sophie Lange, Deutsch-deutsche Umweltverhandlungen 1970-1990, in: Deutschland Archiv, 12.11.2021 (online: www.bpb.de/343286).
Sabine Winteler / Joachim Lohse, Ergebnisse der Meß- und Aktionsfahrt der Beluga im Frühjahr 1990, Hamburg: Greenpeace e.V., 1991.
Frank Zelko, Fish Instead of Fission. Industrial Expansion and Environmental Protest in Hamburg and the Lower Elbe Region Since the 1960s, in: Economic and Ecohistory Scientific. Research Journal for Economic and Environmental History (Ekonomska i ekohistorija Časopis za gospodarsku povijest i povijest okoliša) 8, H. 1 (2012), S. 29-44 (online: https://hrcak.srce.hr/en/93319).
Abbildungen:
Abb. 1: Einzugsgebiet der Elbe (Quelle: Wikimedia Commons, NordNordWest – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, File:Elbe Einzugsgebiet.png, Erstellt: 24. April 2008)
Abb. 2: Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, 1982 (Quelle: Wikimedia Commons, Bundesarchiv, B 145 Bild-F062772-0033 / Hoffmann, Harald / CC-BY-SA 3.0 – File:Bundesarchiv B 145 Bild-F062772-0033, München, SPD-Parteitag, von Dohnanyi.jpg, Erstellt: 20. April 1982)
Abb. 3: Abwassereinleitung des Zellstoff- und Zellwollewerkes in Wittenberge, 1990 (Quelle: Wikimedia Commons, File:Bundesarchiv Bild 183-1990-0502-002, Wittenberge, Abfluss des Papierwerks in die Elbe.jpg, Erstellt: 2. Mai 1990date – CC BY-SA 3.0 de)
Abb.4: Geographische Lage der Deponie Schönberg (Ihlenberg) (Quelle: Open Street Map: https://www.openstreetmap.de/karte/)
Abb. 5: Umweltgruppen aus Ost und West protestieren im Januar 1990 gegen Schönberg (Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0127-003 / Wolfried Pätzold / CC-BY-SA 3.0. File:Bundesarchiv Bild 183-1990-0127-003, Blockade der Mülldeponie Schönberg.jpg, ADN-ZB Pätzold-27.1.90)