Silke Urbanski
Zünfte, in Hamburg Ämter genannt, waren Vereinigungen von Handwerkermeistern. Sie waren in Hamburg schon im 13. Jahrhundert vorhanden; aber ihre Organisation wird erst aus den Satzungen deutlich, die nach dem Aufstand von 1375 aufgezeichnet wurden.
Weil dieser gescheiterte Aufstand wesentlich von Handwerkern getragen worden war, wurden die Zünfte einer strengeren Aufsicht des Rates unterstellt; den Zunftmeistern, die einer Zunft vorstanden, wurden zwei Ratherren als Morgenspracheherren übergeordnet. In den Morgensprachen, vormittäglichen Sitzungen der Amtsältesten mit den verantwortlichen Ratsherren, wurden Angelegenheiten zwischen der Obrigkeit und den Zünften sowie Konflikte zwischen Handwerkern und anderen Bürgern geregelt. Das Leben und die Arbeit der städtischen Handwerker wurden durch die Zünfte selbst bestimmt. Sie legten fest, wieviele Meister es geben solle und bestimmten die Aufgaben für die Meisterprüfungen. Sie kontrollierten die Gesellen und bestimmten, wer Lehrling werden konnte. Ihnen oblag aber auch die Qualitätskontrolle und die Zuteilung der Verkaufsstellen. Zusätzlich bestimmten sie über die Nachfolge verstorbener Meister. Neben der Kontrolle gewährten sie auch Schutz für Witwen und Waisen ihrer Zunftbrüder.
Die Zünfte bildeten aber auch soziale Gemeinschaften. Sie feierten gemeinsam das Fest ihrer Heiligen, stifteten Altäre und sorgten für die Bestattung ihrer Mitglieder. Das Leben der Handwerksmeister gestaltete sich im Rahmen der Zunft/des Amts: Von der Feier der Hochzeit über die Taufe der Kinder bis zur Totenklage verbrachte er die meiste Zeit gemeinsam mit den anderen Meistern.
Die Meister wählten auch die Älterleute ihres Amtes, die die Handwerker gegenüber dem Rat vertraten und die die Prüfungen abnahmen. Im Hause der Meister lebten die Gesellen und die Lehrlinge. Gesellen war es nicht erlaubt, ohne Einverständnis des Meisters eine Frau zu nehmen, die Stadt zu verlassen oder Arbeitsaufträge anzunehmen. Lehrlinge waren oft Kinder anderer Meister aus demselben Amt oder Kinder von Verwandten. Über diese Kinder hatten der Meister und seine Gattin die völlige Aufsicht. Die Meister waren ebenso für die Bestrafung von Lehrlingen und Gesellen verantwortlich.
Im Interesse des Auskommens der Amtsbrüder hielten die Älterleute die Meisterstellen in einem Rahmen, der Profit ermöglichte und die Versorgung der Stadt und des Handels gewährleistete.
Das wichtigste Gewerk für Hamburg war die Brauerei. Und dieses Gewerk war unzünftisch. Brauer brauchten nicht Mitglied einer Zunft zu sein; über sie wurde nicht die Kontrolle eines Amts ausgeübt. Das Brauhandwerk konnten jene ausüben, die vom Rat die Erlaubnis zum Brauen erhielten, und die Bedingung dafür war der Besitz eines „Brauerbes“, das heißt eines Hauses mit Brauausstattung.
Dies konnten große Brauhäuser mit mehreren riesigen Braupfannen sein, die im Jahr Hunderte von Fässern Bier produzierten oder ein Haus, in dem in einer Stube mit einer kleinen Braupfanne für die Nachbarschaft Bier hergestellt wurde. So konnte man in Hamburg 1375 über Fünfhundert Brauereien zählen. Der Export des Biers zog noch weitere Geschäfte nach sich. Zahlreiche Böttcher stellten in Hamburg Fässer her, und der Handel mit Getreide war äußerst lukrativ.
Alle Brauer brauchten zum Ansetzen jedes Braus jeweils die Erlaubnis des Rats, den „Orloff“. So entschied der Rat darüber, wer wieviel Bier braute und welches: Exportbier zum überregionalen Handel oder Stadtbier zum örtlichen Verbrauch. Die Herstellung des Biers erforderte viel Wissen über die Zutaten und über den genauen Verlauf der Herstellung. Die Experten des Braus waren einerseits die Brauer, aber vor allem ihre Gesellen. Brauer konnte sich jeder nennen, der ein Brauerbe besaß, aber das Bier richtig und haltbar herzustellen, war eine Kunst. So überließ mancher Inhaber einer Braupfanne die Arbeit daran erfahrenen Brauern und deren Gesellen. Die Gesellen beherrschten nicht nur die Kunst des Brauens, sondern sie hatten auch die dazu nötige Körperkraft. Das Braugewerbe lastete auf ihren Schultern und ihren Kenntnissen. Aber die Braugesellen hatten keinen Grundbesitz oder Hausbesitz, dementsprechend nicht einmal Bürgerrecht. Sie waren zwar in einer religiösen Bruderschaft verbunden, aber ihr Anteil am Wohlstand der Stadt wurde nicht gewürdigt wie der der Amtsmeister, der Brauer und vor allem der Kaufleute.
Literatur:
Baum, Hans-Peter: Hochkonjunktur und Wirtschaftskrise im spätmittelalterlichen Hamburg. Hamburger Rentengeschäfte 1371-1410, Hamburg 1976.
Ders. und Sprandel, Rolf: Zur Wirtschaftsentwicklung im spätmittelalterlichen Hamburg, in: Vierteljahresschrift Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 59 (1972), S. 473-488.
Kein Bier ohne Alster. Hamburg – Brauhaus der Hanse, hg. v. Ralf Wiechmann, Hamburg 2016.
Puff, Helmut: Die Gewerbe-Topographie des mittelalterlichen Hamburg, in: Die Hanse. Lebenswirklichkeit und Mythos; Bd. 1, hg. v. Jörgen Bracker, Hamburg 1989, S. 246-247.
Stefke, Gerald: Ein städtisches Exportgewerbe des Spätmittelalters in seiner Entfaltung und ersten Blüte. Untersuchungen zur Geschichte der Hamburger Seebrauerei des 14. Jahrhunderts, Diss. Hamburg 1979.
Bildnachweise:
Abb. Titelfeld: Vom Schiffsrecht, Hafenszene aus dem Stadtrecht 1497 (Ausschnitt), © HAB http://digilib.hab.de/mss/ed000058/start.thm?image=00540.
Abb. Thementext: Modell einer Hausbierbrauerei im MHG (Peter Wüst), nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Objektbild_1989-50_003.jpg?uselang=de) / Bierfahrer um 1800, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_288-01 (5).