Kulturelle Entwicklungen und die Eventisierung der Stadt

Christoph Strupp (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg)

In den 1990er und frühen 2000er Jahren wurde das kulturelle Leben Hamburgs von einer Vielzahl an teils städtisch geförderten, teils privaten, teils avantgardistischen und teils kommerziell ausgerichteten Angeboten geprägt.

Traditionelle Stärken etwa im Bereich der Theater, der Oper, des Balletts und der Musik wurden fortgeführt. So erregte z.B. im Oktober 1999 die Aufführung des Theaterstücks „Schlachten!“, eine zwölf Stunden lange Adaption der Königsdramen William Shakespeares, im Deutschen Schauspielhaus Hamburg bundesweit Aufsehen.

Die „Theaterfabrik“ Kampnagel in Winterhude

Für freie Theatergruppen stand mit sechs Hallen der ehemaligen Maschinenfabrik Kampnagel in Winterhude seit 1985 ein attraktiver Spielort zur Verfügung, dessen Existenz 1993 durch die Gründung der „Kampnagel Internationale Kulturfabrik GmbH“ dauerhaft gesichert wurde. Mit den Deichtorhallen (1989), ehemaligen Großmarkthallen in der Innenstadt, und der Sammlung Falckenberg (2001) in einer Fabrikhalle der Phoenix-Werke in Harburg gewann Hamburg zwei bedeutende Ausstellungshäuser für moderne Kunst und Fotografie hinzu.

Als Standort für Film- und Fernsehproduktionen spielte Hamburg unverändert eine wichtige Rolle. Krimiserien wie das „Großstadtrevier“ (über 430 Folgen, seit 1986) oder die Hamburg-„Tatorte“ mit den populären Schauspielern Manfred Krug und Charles Brauer (41 Folgen, 1984-2001) beeinflussten bundesweit das Bild der Stadt. Zudem etablierten sich neue Talente wie der Regisseur und Drehbuchautor Fatih Akin, der 1998 mit dem Thriller „Kurz und schmerzlos“ über drei Freunde in Altona – einen Türken, einen Serben und einen Griechen – debütierte und in den 2000er Jahren mit weiteren in Hamburg spielenden Filmen wie „Gegen die Wand“ (2004), „Kebab Connection“ (2005) und „Soul Kitchen“ (2009) zu einem international anerkannten Regisseur wurde. 1993 eröffnete in den umgebauten Werkshallen der ehemaligen Schiffsschraubenfabrik Zeise in Ottensen mit dem Zeise Kino ein neues Programmkino.

Das Multiplex-Kino Cinemaxx Dammtor

Das stärker kommerziell ausgerichtete Cinemaxx Kino Hamburg-Dammtor, das im Oktober 1996 eröffnet wurde und dessen größter Saal fast 1.000 Sitzplätze bot, symbolisierte den Wiederaufstieg des Kinos als Freizeitvergnügen. Weitere sogenannte Multiplexe eröffneten in Othmarschen (1999), Harburg (1999), Wandsbek (1999/2000) und an der Mundsburg (2003).

In der Popmusik entstand in den späten 1980er Jahren mit der „Hamburger Schule“ – ein Begriff, den die Zeitung „taz“ 1992 prägte – eine Stilrichtung, die sich durch intellektuell anspruchsvolle deutsche Texte und einen dezidiert linken politischen Anspruch auszeichnete. Zu ihr gehörten zunächst Hamburger Bands wie Cpt. Kirk &., Kolossale Jugend und Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs. Größere Bekanntheit erlangten zudem Blumfeld, Die Sterne und Tocotronic. Sie legten wiederum den Grundstein für den Erfolg von Gitarrenbands wie Kettcar oder Tomte und das 2002 gegründete Label „Grand Hotel van Cleef“. Kommerziell erfolgreich war zudem deutschsprachiger Hip-Hop aus Hamburg, darunter die 1991 gegründeten Absolute Beginner(s) mit dem auch als Solokünstler aktiven Sänger Jan Delay, die 1992 gegründete Band Fettes Brot oder die 1997 gegründeten Fünf Sterne deluxe.

1986 eröffnete im Operettenhaus am Spielbudenplatz in St. Pauli das Musical „Cats“ und begründete damit den Ruf Hamburgs als Musicalstadt.

Die „Neue Flora“ in Altona

Weitere Musical-Theater kamen 1990 mit der „Neuen Flora“ am S-Bahnhof Holstenstraße in Altona und 1994 bzw. 2014 auf der Südseite der Elbe hinzu. „Cats“ trug zur Renaissance der Reeperbahn als Vergnügungsstätte und Ausgehort jenseits des „Milieus“ von Sex und Gewalt bei, das die Reeperbahn in den 1980er Jahren in Verruf gebracht hatte. 1988 folgten mit dem Schmidt Theater und 1991 mit Schmidts Tivoli zwei Häuser des Kultur-Unternehmers Corny Littmann, die mit ihren frechen Shows zum Image der Reeperbahn passten und ein breites Publikum anzogen. Hinzu kamen neu eröffnete Musikclubs und kleine Konzerthallen wie das Docks (1988), das Molotow (1990), der Mojo Club (1991) und das Gruenspan (1995). 2001 zog das Travestie-Kabarett Pulverfass von St. Georg in ein ehemaliges Kino an der Reeperbahn.

Der Musical-Boom und der Aufschwung der Unterhaltungsbranche symbolisierten in mehrfacher Hinsicht einen Strukturwandel: So trugen die Häuser an der Reeperbahn und in Altona zur Belebung der Kultur und zur sozialen Aufwertung ihrer Umgebung bei, förderten damit aber auch den Prozess der „Gentrifizierung“, das heißt der Verdrängung bisheriger Anwohner durch Modernisierungen und steigende Mieten. Mit massiven Protesten hatten die Kritiker übrigens verhindert, dass das verfallene Flora-Gebäude im Schanzenviertel zu einem Musical-Theater umgebaut wurde, wie es der Senat zunächst beabsichtigt hatte. Am 1. November 1989 wurde das Gebäude für besetzt erklärt und stellt seither als Kulturzentrum „Rote Flora“ einen symbolträchtigen Ort mit überregionaler Ausstrahlung für die links-autonome Szene dar und bietet immer wieder Anlass für politische Auseinandersetzungen.

Die beiden Musical-Theater-Bauten gegenüber den Landungsbrücken

Die beiden 1994 und 2014 eröffneten Musical-Häuser im Hafen – auf dem Gelände der ehemaligen Stülcken-Werft, die Ende der 1960er Jahre geschlossen worden war – standen dagegen ebenso wie Kampnagel, die Sammlung Falckenberg oder Zeise für einen wirtschaftlichen Strukturwandel von klassischen Industriebranchen hin zur Medien- und Kreativwirtschaft. Da sich besonders die Musicals auch an ein überregionales Publikum richteten, förderten sie den nationalen und internationalen Städtetourismus, der immer mehr an Bedeutung gewann.

Sie fügten sich damit ein in einen Trend zur „Eventisierung“ der Stadt durch massenwirksame Großveranstaltungen. Manche davon wie das Alstervergnügen (seit 1976), der Hafengeburtstag (seit 1977) oder der Hamburg-Marathon (seit 1986) bestanden schon länger. Im Lauf der 1990er Jahre kamen der „Generation Move“ der Techno-Musikszene an der Binnenalster (1995), die HEW/Vattenfall Cyclassics (1996) und der „Schlagermove“ (1997) hinzu. Allein im Jahr 1998 zogen der Hafengeburtstag über eine Million, der „Generation Move“ 300.000, der Schlagermove 200.000, die HEW-Cyclassics 500.000 und das Alstervergnügen über 2 Millionen Menschen an. Seitdem ist die Zahl der Großveranstaltungen im Sommerhalbjahr mit dem Triathlon-Wettkampf „Hamburg City Man“ (2002), den Harley Days (2003) oder den Cruise Days mit dem „Blue Port“ (2008) noch weiter angestiegen.

 

Bildnachweis:

Abb. Titelfeld: Blue Port 2015, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Blue_Port_Hamburg_2015.jpg).

Abb. Thementext: Kampnagel, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kampnagel_au%C3%9Fen_(c)_Frederik_R%C3%B6h.JPG?uselang=de) / Cinemaxx Dammtor, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cinemaxx_hamburg_dammtor.jpg) / Neue Flora, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hh-neueFloraTotale.jpg?uselang=de) / Musical-Theater am Hafen, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Theater_am_Hafen,_WPAhoi,_Hamburg_(P1080252).jpg?uselang=de).