Der Erinnerungsort „Hannoverscher Bahnhof“

Neue Erinnerungskultur – denk.mal Hannoverscher Bahnhof

Text von Eike Holst

Der Hannoversche Bahnhof – Bahnhof für den Süden und Güterbahnhof              

Der Hannoversche Bahnhof etwa 1875

Der Hannoversche Bahnhof wurde 1872 als Venloer Bahnhof auf dem Gelände des heutigen Lohseparks in der Hamburger Hafencity eröffnet. Er diente überwiegend als Kopfbahnhof für Personenzüge, die aus dem Süden, zum Beispiel aus dem Ruhrgebiet, über die Elbe nach Hamburg kamen. Eine eindrucksvolle Fassade mit Portikus schloss die Bahnhofshalle zur Straßenseite hin ab. In der Nähe des Bahnhofs befanden sich Anlagen für den Güterverkehr. Eine Anbindung an den Hafen für die Weiterverschiffung von Gütern war ebenfalls vorhanden. Nachdem am 05. Dezember 1906 der Hamburger Hauptbahnhof die zentrale Anlaufstelle für den gesamten Personenzugverkehr nach und aus Hamburg geworden war, wurde der Hannoversche Bahnhof nahezu ausschließlich für den Güterverkehr genutzt. Wenige Ausnahmen bildeten dabei Transporte von Ein- und Auswandererinnen und Auswanderern, oder auch Front- und Soldatentransporte während des Ersten Weltkrieges.

Zwischen 1940 und 1945 diente der Hannoversche Bahnhof als zentraler Deportationsbahnhof für mehr als 8000 Jüdinnen und Juden, Sintize und Sinti sowie Romnja und Roma, von denen nur wenige überlebten. Sie wurden in zwanzig Transporten aus Hamburg und dem umliegenden Norddeutschland in das damalige Zwangsarbeitslager Belzec, die Ghettos Litzmannstadt/Lodz, Minsk, Riga und Theresienstadt und in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht. Die Wahl fiel vermutlich auf den Hannoverschen Bahnhof, da dieser nicht so zentral lag wie der Hauptbahnhof, aber dennoch in Innenstadtnähe. Damit konnte die Deportation ohne größeres Aufsehen der Öffentlichkeit und ohne Störungen im Normalbetrieb des Hauptbahnhofs durchgeführt werden. Dies bedeutete jedoch keinesfalls, dass die Transporte im Geheimen stattfanden. Die Sammelstellen für die Hamburger Jüdinnen und Juden lagen verstreut, aber öffentlich sichtbar, die meisten von ihnen im Grindelviertel. Die Märsche und Fahrten der sogenannten „Evakuierten“ – so der offizielle Sprachgebrauch – führten am hellen Tag durch die Straßen. Von Protesten der Hamburger Bevölkerung ist nichts bekannt.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Hannoversche Bahnhof schwer beschädigt. Das große Portal wurde 1955 abgerissen, der Bahnhof selbst blieb noch längere Zeit als Güterbahnhof in Betrieb. Ende der 1990er Jahre wurden die letzten noch erhaltenen Gebäudereste abgerissen. Auf dem Gelände wurde das Quartier „Am Lohsepark“ als Teil der Hafencity angelegt.

 

Gedenktafel am Lohseplatz 2020 Tafeltext: Hannoverscher Bahnhof Lohseplatz. Zwischen 1940 und 1945 wurden mehr als 8000 Juden, Sinti und Roma vom nationalsozialistischen Regime aus rassistischen Gründen in 20 Zügen vom Hannoverschen Bahnhof in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Fast alle wurden ermordet. 1942 und 1943 wurden mehr als 1000 zumeist wegen politischen Widerstands Verfolgte in mindestens drei Transporten zum „Bewährungsbataillon 999“ zwangsrekrutiert und von hier aus in gefahrvolle Kriegseinsätze gezwungen. Hunderte von ihnen kamen dabei ums Leben. (Es folgt auf der nebenstehenden Tafelseite der Text in englischer Übersetzung.)

 

Im Jahr 2004 wurde das Gedenken am Lohseplatz durch eine Studie von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg zum Thema „Die Deportationen von Juden sowie Sinti und Roma vom Hannoverschen Bahnhof in Hamburg 1940-1945“ angestoßen.

Zunächst wurde der ehemalige Bahnhofsvorplatz 2005 mit Informationstafeln gekennzeichnet. Es folgten in den nächsten Jahren erste Gespräche, in denen die Errichtung einer Gedenkstätte in die Planung der Hafencity eingebunden wurde. Auch Verbände ehemals im Nationalsozialismus Verfolgter und ihrer Angehörigen waren an diesen Gesprächen beteiligt. Im Jahr 2009 wurde im Kunsthaus Hamburg die Ausstellung „In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945“, konzipiert von Dr. Linde Apel von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, eröffnet. Es folgten Wettbewerbe für die Gestaltung des Lohseparks, der Dauerausstellung und des Dokumentationszentrums. Die Wahl für die Gedenkstättengestaltung fiel auf eine Kombination aus drei Elementen.

An den Überresten des ehemaligen Bahnsteigs 2 wird an einem Gedenkort mit Namenstafeln an die Deportierten erinnert. Ein Bauwerk, das „Fuge“ genannt wird, verbindet den Lohseplatz als ehemaligen Bahnhofsvorplatz entlang des historischen Gleisverlaufs mit dem Gedenkort. Den dritten Teil soll ein Dokumentationszentrum bilden. 2016 wurde der Lohsepark eröffnet. Am 10. Mai 2017 wurde der zweite Teil des Gedenkorts am Bahnsteig 2 eingeweiht.

Blick von der „Fuge“ auf den Gedenkort an Bahnsteig 2

Der Weg zur Dauerausstellung

Unter der Leitung von Dr. Oliver von Wrochem, des Leiters der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, begann im November 2018 ein Team die Ausarbeitung der begleitenden Dauerausstellung. In dieser soll das Schicksal der deportierten Jüdinnen und Juden, Romnja und Roma sowie Sintize und Sinti beleuchtet und in die Geschichte von nationalsozialistischer Verfolgung eingeordnet werden. Zudem ist geplant, gegenwärtige Formen des Gedenkens an den ehemaligen Zielorten der Deportationen zu thematisieren. Darüber hinaus wird die Geschichte des „Bewährungsbataillons 999“ dargestellt, das vom Hannoverschen Bahnhof in den Kriegseinsatz abfuhr. Dieses war im Oktober 1942 aufgestellt worden und bestand aus Männern, die an sich vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossen waren, zumeist politische Gegner des Systems. Schließlich sollen in einer Art „Zukunftslabor“ gegenwärtige Formen des Gedenkens in Deutschland, aber auch gegenwärtiger Antisemitismus und Antiziganismus diskutiert werden.

Zur Vor- und Nachbereitung eines Besuchs der Gedenkstätte steht Material für Lehrkräfte zum Download bereit. Zudem lassen sich auf der Website der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen einzelne Biografien der Betroffenen nachlesen, und somit den bloßen Zahlen und Namen ein Gesicht und eine Geschichte geben.

Als dritter Bestandteil der Gedenkstätte ist neben der „Fuge“ und den Erinnerungstafeln am historischen Bahnsteig 2 das Dokumentationszentrum geplant. Die Stadt Hamburg hatte mit einem privaten Investor vertraglich vereinbart, dass das Dokumentationszentrum in das Erdgeschoss eines neu zu errichtenden Bürogebäudes einziehen sollte.  Im Januar 2021 wurde jedoch bekannt, dass der Bauherr und Investor den Öl- und Gasproduzenten Wintershall Dea als Hauptmieter im selben Gebäude unterbringen würde. Die Vorgängerunternehmen der Wintershall Dea hatten im Nationalsozialismus mit der NS-Führung kooperiert, die Aufrüstung unterstützt und waren durch Ausbeutung der besetzten Staaten und Zwangsarbeit zum Kriegsgewinnler geworden. Zudem gehört die Wintershall Dea heute zum BASF Konzern, der aus der früheren IG Farben AG hervorging. Diese hatte das Gas Zyklon B in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten geliefert. Die Verbände ehemals im Nationalsozialismus Verfolgter und ihrer Angehörigen verkündeten, dass sie ein Dokumentationszentrum gemeinsam mit der angekündigten Mieterin unter einem Dach nicht unterstützen würden.

Im Januar 2022 wurde nach einem mehrmonatigen Mediationsverfahren eine Lösung für den Streit gefunden. Das Dokumentationszentrum wird in ein eigenes Gebäude am Ericus-Graben ziehen, nur wenige Meter entfernt vom ursprünglich geplanten Standort. Der Investor für das ursprünglich geplante Dokumentationszentrum erklärte sich bereit, das Gebäude am neuen Standort zu errichten und dieses der Stadt Hamburg zu schenken. Die Eröffnung des Dokumentationszentrums ist nun für das Jahr 2026 geplant.

Grundlegende Literatur

https://hannoverscher-bahnhof.gedenkstaetten-hamburg.de/de/ (aufgerufen am 24.03.2022)

https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburg_Hannoverscher_Bahnhof (aufgerufen am 24.03.2022)

Apel, Linde; Bajohr, Frank; Prehn, Ulrich: Die Deportationen vom Hannoverschen Bahnhof 1940-1945. Historischer Verlauf und Spuren der Erinnerung, ohne Jahr. https://www.hamburg.de/contentblob/201350/057cee11085f22bc2726937d2be6c268/data/lohseplatz-vortrag-apel-bajohr-prehn.pdf (aufgerufen am 24.03.2022)

Weiterführende Literatur

(zusammengestellt von Dr. Oliver von Wrochem)

Endlich, Stefanie: Gedenkort „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ in der Hamburger HafenCity, in: GedenkstättenRundbrief (2018), Nr. 191, S. 36–45.

Garbe, Detlef: Die neue Gedenk- und Dokumentationsstätte in der HafenCity am Ort des ehemaligen Hannoverschen Bahnhofs, in: In den Tod geschickt. Die Deportationen von Juden, Roma und Sinti aus Hamburg 1940 bis 1945, Ausstellungskatalog, hrsg. von Linde Apel im Auftrag der Behörde für Kultur, Sport und Medien, in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Berlin 2009, S. 277–282.

Sauer, Sina: Ein Ort stört. Akteure, Aneignungsstrategien und Authentizität als Ressource im Planungsprozess der Gedenkstätte am ehemaligen Hannoverschen Bahnhof, Hamburg 2015.

Bildnachweise:

Bild Hannoverscher Bahnhof: Urheber unbekannt, Wikimedia Commons. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/28/Hannoeverscher_BahnhofHH.jpg?uselang=de (aufgerufen am 24.03.2022)

Foto Gedenktafel am Lohseplatz: Kati Jurischka, 2020.

Foto Blick von der „Fuge“: Kati Jurischka, 2020.