Not an der Heimatfront

Anne Lena Meyer

Durch die kurzsichtige Planung der Regierung, einen eklatanten Arbeitskräftemangel und die Seeblockade, die notwendige Importe verhinderte, kam es im gesamten Kaiserreich während des Ersten Weltkrieges zu einer dramatischen Mangelversorgung mit Lebensmitteln.

Versand von „Liebesgaben“ – Der Vorrang der Militärversorgung war prägend.

Besonders in den Großstädten, zu denen auch Hamburg mit seinen 1,1 Millionen Einwohnern (Stand 1913) zählte, war die Situation sehr schlecht. Auf dem Land war es etwas leichter, genügend Lebensmittel zu beschaffen, doch der Mangel an Landarbeitern durch die massenhaften Einberufungen trug dazu bei, dass die Ernten weniger ertragreich ausfielen als in Friedenszeiten, was sich wiederum negativ auf die Versorgung der Städte auswirkte. Verteuerung und Verknappung bildeten die größten Probleme bei der Lebensmittelversorgung.

Plakate mit Aufrufen zur sparsamen Verwendung von Rohstoffen aller Art waren im Stadtbild allgegenwärtig

Die Verteuerung setzte bereits bei Kriegsbeginn ein. Ähnlich wie die Angst vor dem Wertverlust des Papiergeldes, das die Menschen massenhaft in Münzen umzutauschen versuchten, war die Bevölkerung verunsichert, ob genug Lebensmittel vorhanden wären. Die Folge waren Hamsterkäufe durch die Verbraucher sowie Preissteigerungen durch Händler und Produzenten. Die Regierung in Berlin und das Generalkommando in Hamburg versuchten, durch Mahnungen an die Bevölkerung, nicht unnötig viele Produkte einzukaufen, sowie die Festsetzung von Höchstpreisen gegen dieses Phänomen anzugehen. Doch die Situation verschlimmerte sich so weit, dass durch die Teuerungen im Sommer 1915 viele Produkte nur noch für sehr wohlhabende Menschen erschwinglich waren. So litten die „kleinen Leute“, Arbeiter, Handwerker und kleine Beamte, bereits sehr früh unter den Folgen des Krieges, denn die Löhne und Gehälter stiegen nicht oder nur sehr wenig. Da sich die Maßnahmen der städtischen Regierung als unwirksam erwiesen, stand sie im Fokus der Kritik.

Der Stadtstaat Hamburg stand in politischer Distanz zu Berlin und hatte zudem kaum Umland, das landwirtschaftlich bearbeitet werden konnte. So verschlechterte sich die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln rasch, wobei neben der Quantität auch die Qualität der Lebensmittel, zum Beispiel beim Brot, sank; dieses wurde oft mit Kartoffel-, später sogar mit Steckrübenmehl gestreckt. Bereits Anfang 1915 wurden Grundnahrungsmittel wie Brot beziehungsweise Mehl mithilfe der Ausgabe von Lebensmittelkarten rationiert.

Kriegsküchen sollten zumindest den Kindern regelmäßige Mahlzeiten ermöglichen

Um die Not der ärmeren Teile der Bevölkerung zu lindem, wurden in Hamburg bereits im Frühjahr 1915, also etwa zeitgleich mit den ersten Rationierungen, Suppenküchen eingerichtet, die prinzipiell für die gesamte Bevölkerung der Stadt zugänglich waren. Dort konnte mittags eine warme Mahlzeit – meist in Form von Suppe oder Eintopf – eingenommen oder abgeholt werden. Dass Bedarf nach solchen Einrichtungen herrschte, zeigt sich daran, dass die Zahl der Besucher stetig stieg. Standen 1915 58 der sogenannten Kriegsküchen für Massenspeisungen zur Verfügung, waren es bis Mitte des Folgejahres schon 70, die pro Tag etwa 100.000 Menschen versorgten. Im Laufe des Jahres 1916 stieg diese Zahl noch einmal um 50.000 Besucher.

Massenspeisung für mehrere Tausend Menschen – hier die Kriegsküche in den Schlachthofhallen

Genau wie die öffentlichen Wärmehallen, die zum Beispiel in Turnhallen und Theatern eingerichtet wurden, dienten die Kriegsküchen dazu, den Mangel an Lebensmitteln und Heizmaterial auszugleichen sowie die vorhandenen Ressourcen besser nutzen zu können. Neben dem Mangel an Brot fehlte es oft an Kartoffeln, Fett und anderen Grundnahrungsmitteln. Wie in diesen Bevölkerungsschichten schon bei Kriegsbeginn befürchtet worden war, litten die Ärmeren am meisten unter den Folgen des Krieges. Reichere Familien oder Einzelpersonen konnten noch lange nach Kriegsbeginn gut essen, denn sie hatten ausreichend Geld, sich die stark verteuerten, aber durchaus verfügbaren Lebensmittel, etwa Eier, Milch oder Fleisch, zu kaufen. Diese soziale Ungerechtigkeit blieb nicht verborgen und führte zu großer Unzufriedenheit.

Nachdem in den ersten beiden Kriegsjahren die Verteuerung und Verknappung einzelner Lebensmittel beziehungsweise die ersten Rationierungen ein Problem dargestellt hatten, wurde die Situation im Sommer 1916 kritisch und spitzte sich bis zum Winter zu einer regelrechten Hungerkrise zu. Im Vorfeld des sogenannten Steckrübenwinters 1916/17 kam es schon im Sommer zu Problemen mit der Lieferung von Kartoffeln. Im Juni und Juli erreichten die Stadt fast keine, Ende Juli dafür so viele, dass sie nicht rechtzeitig verkauft werden konnten und verdarben. An solchen Episoden offenbarte sich die Fehlplanung der Behörden hinsichtlich der Versorgung der Zivilbevölkerung. Auch das 1916 gegründete Kriegsernährungsamt konnte keine wirkliche Verbesserung erreichen.

Massen von Steckrüben – ein Bild des Winters 1916/1917

Statt den Mangel als Grundproblem zu erkennen und zu bekämpfen, wurde versucht, mit dem Wenigen hauszuhalten und an das Durchhaltevermögen der Bevölkerung plädiert. So wurden Kriegskochbücher geschrieben, die den sparsamen Umgang mit Lebensmitteln propagierten, und der besitzenden Bevölkerung geraten, möglichst teure Produkte zu kaufen, um die günstigeren für die weniger begüterten Kreise verfügbar zu halten.

Im Lauf des Jahres 1916 verschlechterte sich die allgemeine Stimmung, denn zu diesem Zeitpunkt bot auch der Kriegsverlauf keinen Grund zur Hoffnung auf ein rasches Ende mehr. Die Unzufriedenheit und die Sorge um die an der Front stehenden Angehörigen wuchs. Die schlechte Stimmung der Bevölkerung äußerte sich bereits im August 1916 auch in Hungerunruhen in den hauptsächlich von Arbeitern bewohnten Stadtteilen Hammerbrook und Barmbek. Dabei versammelten sich Tausende Frauen, Kinder und auch Männer spontan, nicht organisiert, vor verschiedenen Lebensmittelgeschäften und forderten vor all die Herausgabe von Brot ohne Brotmarken. Viele Geschäfte wurden geplündert und demoliert, die Unruhen aber binnen weniger Tage von Polizei und Militär brutal niedergeschlagen. Das rücksichtslose Vorgehen der Obrigkeit gegen die hungrigen, unbewaffneten Menschen sorgte im Nachhinein für viel Empörung.

An der Lebensmittelknappheit änderten die Aufstände nichts, im Gegenteil verschlechterte sich die Situation im Laufe des nächsten Winters und in den letzten Kriegsjahren noch.

Öffentliche Sammlungen von Essensresten und -abfällen gehörten zum Alltag der Kriegsjahre

Im Februar 1917 kam es erneut zu Hungeraufständen und der Plünderung von Bäckereien in Hamburgs Arbeitervierteln sowie in den Nachbar Städten Altona, Harburg und Wandsbek. Durch den anhaltenden Mangel an wichtigen Grundnahrungsmitteln sowie Heizmaterial und Kleidung waren die Menschen zunehmend zermürbt. Dieser Zustand hielt auch im Kriegswinter 1917/18 an. Die chronische Unterernährung, unter der viele Menschen litten, führte dazu, dass die Grippepandemie (Die „spanische Grippe“) nach Kriegsende Hunderttausende dahinraffen konnte.

 

Grundlegende Literatur:

Reye, Hans: Der Absturz aus dem Frieden. Hamburg 1914-1918. Hamburg 1984.

Ullrich, Volker: Kriegsalltag: Hamburg im Ersten Weltkrieg. Köln 1982.

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Im Steckrübenwinter, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-09=03_235 (Ausschnitt).

Abb. Thementext: Liebesgaben-Versand; (Foto A. Jaap), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-09=03_195 / Aufruf zum Seife-Sparen, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Spare_seife_aber_wie.jpg) / Kinder in Kriegsküche, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-09=03_224-226 / Massenspeisung, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-0903_224-226 / Schlangestehen für Kartoffeln am Isebekkanal, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-09=03_046 / Im Steckrübenwinter, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-09=03_235 / Werben um Essensreste, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-09=03_215.