Die Geschichte des „Gefallenen-Ehrenmal der Oberrealschule für Jungen Altona“
Kunstprojekt am Denkmal 2024Kunstprojekt am Denkmal 2024Im Verlauf der Juli-Krise 1914 erweckte die zunehmende Flut von Propagandaartikeln bei großen Teilen der deutschen Bevölkerung den Eindruck, dass ein möglicher Krieg in vergleichsweise kurzer Zeit triumphal beendet werden könnte. Die immer wiederkehrenden Appelle, die die „nationale Einheit“ beschworen, wirkten identitätsstiftend und schafften eine Atmosphäre der sich überbietenden Vaterlandsliebe. Diese wurde auch nach dem Kriegseintritt des Deutschen Reiches am 1. August 1914 durch eine riesige Anzahl von patriotisch ausgerichteten Büchern, Broschüren, Gedichten und Liedern befeuert. Die Propaganda, die außenpolitische Bündniskonstellation sowie die radikalen Abgrenzungen gegenüber den feindlichen Nationen erweckte bei vielen Deutschen die Überzeugung, einen Verteidigungskampf führen zu müssen.
So war die Kriegsbegeisterung in den ersten Monaten – vor allem bei jungen Männern aus dem Bürgertum – sehr groß. Etwa vier Millionen Männer wurden 1914 an die Front geschickt, unter ihnen waren ca. eine Million meist sehr junge, die sich freiwillig für den Kriegseinsatz gemeldet hatten.
Auch Schüler der „Oberrealschule für Jungen Altona“ (OJA) meldeten sich mit Kriegsausbruch freiwillig für den Kriegseinsatz. Nachdem ihnen die Möglichkeit gegeben wurde, noch im August die Reifeprüfung abzulegen, meldeten sich alle Oberprimaner[1] und die sitzengebliebenen Unterprimaner für das „Notabitur“ und dann für den Kriegseinsatz. Auch aus anderen Klassen meldeten sich viele Schüler als Kriegsfreiwillige für den Heeresdienst. Im August 1914 waren es 69 Schüler der Schule (33 Oberprimaner, 15 Unterprimaner, 9 Obersekundaner und 12 Untersekundaner). Viele weitere folgten ihnen bis 1918.
Im Verlauf des Weltkrieges starben 221 ehemalige Schüler und sechs Lehrer der Schule.
Die revolutionären, liberalen und demokratischen Gedanken der Weimarer Republik wurden an der OJA abgelehnt. Sie wurden als „große geistige, politische weltanschauliche Krise der Gegenwart, […] die an den Grundlagen des deutschen Daseins überhaupt rüttelt“[2] gedeutet. Die Schule blieb ihren traditionellen Werten treu und sah den Schwerpunkt der Erziehung darin, die Schüler zu „sittlich tüchtigen“ Menschen zu erziehen, die „ ihr Größtes und Bestes darin sehen, dem Vaterland alle Kräfte zu weihen, ihm in guten und bösen Tagen in unerschütterlicher Treue zu dienen“[3].
In dieser Denkweise wurde von ehemaligen Schülern, Eltern und Lehrern die Schaffung eines Ehren-Gefallenendenkmals an der OJA forciert. Nach jahrelangen Bemühungen wurde es am 11. Mai 1930 mit einem feierlichen Festakt eingeweiht. Gestaltet vom Künstler Fritz Westphal fand das Ehrenmal im Treppenaufgang zur Aula seinen Platz. Es zeigt einen nackten Jüngling mit ausgebreiteten Armen. Unter dem Ehrenmal befand sich auf verklinkerter Wand eine metallene Tafel mit der Inschrift: „DEUTSCHLAND MUSS LEBEN. UND WENN WIR STERBEN MÜSSEN! 1914 ++ 1918“. Die Textzeilen stammen aus dem Gedicht „Soldatenabschied“ des Autors Heinrich Lersch aus dem Jahr 1916 und finden sich auch heute noch am Kriegerdenkmal am Dammtor.
Ein steinernes, nach unten gerichtetes „deutsches Schwert“[4] befand sich in Mitte unter der Tafel. Rechts und links neben der Tafel waren Bossen in Form von Eisernen Kreuzen angebracht; sie dienten dem Anbringen von Kränzen.
Bei der Einweihungsfeier 1930 schritt die gesamte Schulgemeinschaft am Ehrenmal vorbei. Die Primaner standen mit ihren roten Mützen Spalier, das Lehrerkollegium und der Verein der ehemaligen Schüler hatten am Fuße des Denkmals Kränze niedergelegt.
Opferbereitschaft und Hingabe für die Nation blieben auch während der Zeit des Nationalsozialismus leitende Erziehungsziele. Bis 1945 legten alle Abiturienten der Schule vor dem Denkmal Kränze nieder; während des 2. Weltkrieges starben mindestens 201 Schüler der OJA.
Die Zeit bis einschließlich des 75-jährigen Jubiläum der Schule 1957 war in erster Linie eine des Verdrängens: Eine Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte fand nicht statt: „Die Zeit von 1933 – 1945 blieb auf Jahre hinaus tabu.“[5] Der alten Tradition folgend wurden bei den Feierlichkeiten 1957 neben dem Schwert die Jahreszahlen 1939 und 1945 angebracht:
An dem Ehrenmal entzündete sich ausgehend von der Schülerschaft ein Jahr später eine schulinterne Diskussion. Die Argumentation der Gegner, der Spruch von Lersch klänge nach dem sinnlosen Sterben in zwei Weltkriegen hohl und das Vermächtnis der Toten sei vielmehr eine Warnung vor weiteren Kriegen, war zunächst nicht mehrheitsfähig. Eine Podiumsdiskussion, zahlreiche Veröffentlichungen in der Schülerzeitung und verschiedene Resolutionen aus der Schülerschaft änderten die Stimmung langsam. Auch Elternrat und Kollegium äußerten sich zunehmend kritisch.
Ab dem Schuljahr 1968/69 wurden auch Mädchen an der Schule aufgenommen. Mit der Begründung, dass man ihnen den „nackten Jüngling“ nicht zumuten könne, wurde das Ehrenmal 1968 aus der Schule entfernt. Ein Gutachten der Denkmalpflege hatte im Vorfeld nur einen geringen künstlerischen Wert festgestellt.
1982 kam der „Jüngling“ zur 100- Jahrfeier an die Schule zurück. Die Zeit bis dahin stand er im Jenischpark „- taktvollerweise auf des Gärtners Gerätehof.“[6]
Zum Schuljubiläum wurde er mehrere Monate im Foyer der Schule präsentiert – ihm Gegenüber ein Gegendenkmal der Bildhauerin Doris Waschk-Balz und des Leistungskurses Kunst.
Nach Ablauf der Feierlichkeiten wurde der „Jüngling“ dem Hamburger Schulmuseum angeboten. Er war hier Teil der Ausstellung „Krieg in der Schule – Schule im Krieg“.
Seit 2023 soll das Denkmal, welches im Garten des Hamburger Schulmuseums steht, durch wiederkehrende Projekte mit Schulgruppen ein Zeichen gegen den Krieg setzen. Das erste Kunstprojekt machte eine Oberstufengruppe des Friedrich Ebert-Gymnasiums aus Harburg.
Erläuterungen und Verweise:
[1] In der heutigen Entsprechung: Oberprimaner = Abiturienten Kl. 13, Unterprimaner = Kl. 12, Obersekundaner = Kl. 11, Untersekundaner = Klasse 10. Die Wehrpflicht im Kaiserreich bestand für alle 18 bis 45jährigen Männer. Freiwillig zum Wehrdient konnten sich schon 17jährige melden.
[2] Meyer, S. 5. [3] Ebd. [4] Dargel, Joachim, S. 17. [5] Dargel, Joachim, S. 36. [6] Ebd. S. 37.
Literatur:
Dargel, Reinhard; Joachim, Dierk: „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen!“. Zur Geschichte der Oberrealschule für Jungen Altona (OJA) im Faschismus. In: Gymnasium Altona: Festschrift Gymnasium Altona 1882 – 1982. Hamburg 1982. S. 17-39.
Dargel, Reinhard: Geschichte des Gymnasium Altona von 1858 bis 2016. Unter: http://joomla.gymaltona.de/images/aktuelles/PDF/Geschichte-des-Gymnasium-Altona-Druckfassung.pdf [12.12.2024]
Meyer, Peter: Geleitwort. In: Fünfzig Jahre Oberrealschule Altona – Ottensen 1882/1932. S. 5.
Rost, Georg Wilhelm: Die Geschichte unserer Schule und ihre Anerkennung als Realschule i.E. bis zur Gegenwart (1882-1932). In: Fünfzig Jahre Oberrealschule Altona – Ottensen 1882/1932. S. 64-69.
Abbildungen:
Abb. Slider: Foto: © Dr. Silke Urbanski HSM 2024, Abb. Text: Bilder der Kunstaktionen © Dr. Silke Urbanski HSM 2024. / Foto der Abbildung des Gefallenen-Ehrenmals in der OJA aus der Festschrift von 1932. /Foto der Abbildung des Gefallenen-Ehrenmal in der OJA nach 1957 aus der Festschrift von 1982 / Der „Jüngling“ mit Gegendenkmal im Foyer der Schule, Foto: © Dargel u. Joachim 1982.