Silke Urbanski
Wie auf dem Land so gab es im Mittelalter auch in der Stadt Hamburg verschiedene Lebenswege für Mädchen und Frauen. Die reichen Bürgerinnen, Gattinnen und Töchter von Ratsherren lernten Latein und Rechenkunst, kannten sich mit Handel und mit Waren aus und betrieben die Geschäfte, wenn ihre Männer auf See waren. Das gleiche galt für viele Kaufmannsfrauen.
Handwerkersfrauen und -töchter arbeiteten in den Werkstätten mit. Auf dem Markt verkauften Händlerinnen alles, was in der Stadt hergestellt wurde. Aus den Landgebieten um die Stadt herum und von südlich der Elbe kamen Bäuerinnen, um Gemüse, Blumen, Gänse und Enten zu verkaufen. Viele Frauen der Mittelschicht verdienten ihr Geld als Bierbrauerinnen oder als Hökerinnen. Hökerinnen machten ein Geschäft daraus, abgelegte Kleidung und Alltagsgegenstände zu verkaufen. Manche Brauerinnen konnten über ein großes Brauhaus mit mehreren Bierbraupfannen verfügen, an denen Brauknechte arbeiteten. Sie waren dementsprechend wohlhabend. Viele Frauen brauten aber selbst an einer Pfanne und verkauften ihr Bier von ihrem Fensterladen aus.
Frauen in Randgruppen
Frauen, die keine Familie hatten, waren armutsgefährdet. So gab es in der Stadt Bettlerinnen und Gelegenheitsarbeiterinnen, die in Buden an der Stadtmauer oder auf Hinterhöfen lebten und jede Arbeit annehmen mussten – oft durch Kehren der Straßen oder durch Saubermachen der Schlachthöfe oder des Marktes. Zu den Randgruppen gehörten auch Frauen, die sich prostituierten. Der Rat selbst war Besitzer eines Bordells (Frauenhaus) und kontrollierte die dort arbeitenden Frauen. Frauen, die im Ruf standen, in ihren eigenen vier Wänden als Prostituierte zu arbeiten, oder sich von Männern aushalten zu lassen, galten als „wandelbares Weib“ und konnten ins Bordell gebracht werden. Die „wandelbaren Weiber“ wurden einmal im Jahr in einem Zug durch die Straßen geführt, so dass jeder sie sehen konnte. Sie durften keinen Schmuck und keine Kleiderzier (verzierung) tragen. Eine Frau die einmal als Prostituierte gearbeitet hatte oder in dem Ruf gestanden hatte, durfte später als Ehefrau auch keine Zier tragen.
Wenig Rechte für Frauen
Ob reich wie eine Königin oder bitterarm: Alle Hamburgerinnen des Mittelalter lebten unter demselben Gesetz. Das Stadtrecht legte fest, dass sie nur eingeschränkt tätig sein durften. Frauen galten nicht als geschäftsfähig. Auch wenn sie Handel trieben oder gar große Vermögen verwalteten, brauchten sie einen Mann – ihren Gatten, Vater, Bruder oder einen Verwandten und Freund, der für die Geschäfte bürgte. Bei jedem Vertrag, den eine Frau schloss, musste dieser „Vormund“ zustimmen.
Ein wichtiger Unterschied war der Stand, dem eine Frau zugehörte: Wer Bürgerin war, also einen Bürger der Stadt geheiratet hatte, oder Tochter eines Bürgers war, konnte mit Hilfe eines Vormunds vor Gericht gehen und um ihr Recht streiten. Dies galt für Frauen aus Kaufmanns- oder Handwerkerfamilien, aber auch für Marktfrauen und Hökerinnen.
Nichtbürger nannte man Beisassen. Sie konnten der Stadt verwiesen werden, ob Mann oder Frau. Davon waren Bettlerinnen und Gelegenheitsarbeiterinnen betroffen.
Eheleben
Die ersten Eheschließungen aller jungen Frauen (und auch der jungen Männer) wurden durch die Familien beschlossen. Oft waren die Mütter diejenigen, die besprachen, welche Braut für welchen Gatten geeignet war. Besonders in wohlhabenden Familien spielte es eine große Rolle, das Vermögen durch die Ehe zu vergrößern und Geschäftsbeziehungen auszubauen. So konnte es dazu kommen, dass junge Frauen ältere erfolgreiche Männer heirateten. Im späten Mittelalter verheirateten einige reiche Rats- und Kaufherrenfamilien ihre Töchter an die Söhne von Adligen aus dem Ritterstand im Umland.
Frauen bekamen bei der Heirat eine Mitgift von der Familie. Die Familien von Braut und Bräutigam handelten diese Mitgift aus und legten sie vertraglich fest. Witwen konnten sich ihren neuen Ehepartner nahezu alleine wählen – wenn ihr Vormund dem Ehevertrag zustimmte. Mägde und Knechte durften nur mit Erlaubnis ihres Herren heiraten.
Die Ehe wurde in der Pfarrkirche der Braut geschlossen. Dazu musste das Brautpaar nur gemeinsam eine Messe hören und sich hinterher vom Priester die Hände ineinander legen und segnen lassen. Für den Ruf der Braut, die nun „Husvrouwe“ – Ehefrau – genannt wurde, war es wichtig, dass viele Familienmitglieder und Gäste der Messe beiwohnten. Sie waren sozusagen alle „Trauzeugen“. Das Entführen eines Mädchens zur heimlichen Eheschließung war strafbar. Oft wurden Hochzeitsgeschenke ausgetauscht: Die Bräute nähten für ihren Bräutigam ein Hemd, er schenkte ihr ein Paar Schuhe oder auch einen Ring.
Die Art und die Menge der Kleiderzier, die eine Frau tragen durfte, hing von den Steuerabgaben ihres Mannes ab. So konnte der Reichtum der Familie an den Gewändern der Frauen abgelesen werden.
Eine Ehe war unauflösbar, wenn sie von einem Priester geschlossen worden war und vollzogen wurde. Dennoch war eine zu nahe Verwandtschaft ein Eheauflösungsgrund.
Wenn eine Ehe scheiterte oder wenn der Ehemann gewalttätig wurde, konnte die Frau ins Haus ihres Vaters oder des Familienoberhauptes zurückkehren – doch nur, damit dieser mit ihrem Mann über die Bedingungen der Weiterführung der Ehe verhandelte.
Frauen und die Handwerksämter
Handwerkersfrauen waren zudem den Regeln der Handwerkszünfte unterworfen. Diese hießen in Hamburg Ämter. Handwerksmeisterswitwen konnten, bis auf wenige Ausnahmen, ihren Betrieb nach dem Tod ihres Mannes für einige Zeit alleine weiterführen. Dann mussten sie entweder einen Handwerker ihres Gewerks heiraten oder den Betrieb an einen anderen Meister übergeben, wenn sie keinen Sohn hatten, der das Handwerk ausübte. Gesellen durften nur heiraten, wenn das Amt zustimmte. Da die Ämter festlegten, wieviele Meister eines jeden Gewerks in Hamburg tätig sein durften, waren Meisterstöchter umworben, insbesondere, wenn sie Alleinerbin waren.
Erbe
Frauen waren erbberechtigt und konnten über Teile ihres Besitzes frei verfügen. Sie mussten nur den Kern des Vermögens, welcher der Familie zustand, an den nächsten männlichen Verwandten abgeben, der dies Erbe dann weitervererbte. Der gesamte Hausrat, sei er ärmlich oder prunkvoll, gehörte den Ehefrauen, ebenso jene Werte, die sie durch eigene Arbeit erworben hatten. Viele Eheleute machten ein gemeinsames Testament, um sich gegenseitig abzusichern und den Kindern einen Anteil zukommen zu lassen, so dass diese nicht vom Haupterben abhängig waren. Die Testamente vieler Ehepaare und die vieler Frauen waren von großer Fürsorge geprägt. Arme Bekannte oder Verwandte wurden gezielt bedacht. Frauen vererbten ihren Hausstand, die Betten, die Kleidung, Töpfe, Pfannen, und das Geflügel aus ihrem Hof oft an andere Frauen. Dies konnten junge Frauen sein, die damit zur Hochzeit augestattet wurden, es konnten arme oder alte Frauen sein, oder Frauen, die ein gottgefälliges Leben lebten. Viele Erblasserinnen hinterließen Gelder nicht nur für die Armen, sondern für den Kirchenbau und für Messen, die für ihr Seelenheil gelesen werden sollten. Einige bezahlten sogar Pilger, die für sie nach Rom, Santiago oder Jerusalem wanderten. Einige wenige Frauen machten sich selbst auf die große Reise.
Die frömmsten Frauen
Neben den Bürgerinnen, dem Gesinde, und den Armen gab es Frauen in Hamburg, die ihr Leben Gott gewidmet hatten. In der Stadt lebten ungefähr 20 bis 30 Beginen. Beginen waren Frauen, die im Unterschied zu den Nonnen kein Gelübde ablegten, aber trotzdem ein gemeinschaftliches Leben für Gott führen wollten. Die Hamburger Beginen stammten aus Kaufmanns- und Handwerkerfamilien. Sie hatten ein Haus an der Steinstraße und lebten dort als besitzlose schwesterliche Gemeinschaft ohne Männer zusammen. Die geistliche Betreuung der Beginen übernahm der Pfarrer von St. Jakobi. Sie beteten siebenmal am Tag und verdienten ihr Einkommen durch Krankenpflege, Totenwachen und den Schulunterricht für die Töchter der Kaufleute und Handwerker. Zudem besaßen sie einen Apfelgarten innerhalb der Stadtmauern und trieben vermutlich Handel mit Getreide.
Vor den Toren der Stadt bei Harvestehude gab es ein Nonnenkloster namens „Frauental“ – „in valle virginum“. Es war der Heiligen Maria geweiht. Fünfzig bis sechzig Frauen lebten dort in Abgeschiedenheit nach der Zisterzienserregel. Mehr als 80 % dieser Nonnen waren Verwandte von Hamburger Kaufleuten oder Handwerkern.
Grundlegende Literatur:
Boese, Martina und Tiedemann, Kathrin: Der Beginenkonvent im spätmittelalterlichen Hamburg, in: ZHG 82 (1996), S. 1-28.
Dürr, Renate: Frauenarbeit in Haus, Handel und Gewerbe: ihr Beitrag zur Hamburger Stadtwirtschaft im 14. Jahrhundert, Berlin 2005 (Reihe Hochschulschriften; Bd. 10).
Rogge, Roswitha und Wacker, Hildegard: Von ehrbaren Hausfrauen und berüchtigten Frauenspersonen. Frauen und Konfliktregelung in Hamburg im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. v. Amt für Schule Hamburg, Hamburg 1998.
Rogge, Roswitha: Weibliche Handlungsräume und Geschlechterbeziehungen im Spiegel des hamburgischen Stadtrechts vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, Hamburg 1998.
Dies.: Zwischen Arbeit, Kirche und Moral. Hamburger Frauenleben während des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, Hamburg 2000.
Urbanski, Silke: Die Geschichte des Klosters Harvestehude – In Valle Virginum, Münster ²2001 (Veröffentlichungen des Hamburger Arbeitskreises für Regionalgeschichte; Bd. 10).
Bildnachweise:
Abb. Titelfeld: Von Ehe- und Erbfragen (Ausschnitt), Frauenleben aus dem Stadtrecht 1497, © HAB http://digilib.hab.de/mss/ed000058/start.thm?image=00348.
Abb. Thementext: Anna Selbdritt, ehemals Gertrudenkapelle, jetzt MHG, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Anna_Selbdritt_Gertrudenkirche_(MHG).dt.jpg?uselang=de) / Braut und Amme bzw. Magd, Von Ehe- und Erbfragen (jeweils Ausschnitt), Frauenleben aus dem Stadtrecht 1497, © HAB http://digilib.hab.de/mss/ed000058/start.thm?image=00348.