Reformation und Konfessionalisierung

1517 - 1690

Ruth Albrecht / Silke Urbanski

Die Reformation in Hamburg änderte die Machtverhältnisse in der Stadt grundlegend. Ausgehend von Beschwerden über schlechte Bildung an den Schulen und die mangelhafte Seelsorge durch die Geistlichkeit nahmen aufstrebende bürgerliche Schichten die Änderung der Glaubensfragen in ihre Hand. Lutherische Prediger fanden Unterschlupf bei Kaufleuten, das Franziskanerkloster unterstützte den ersten Reformator. Der Rat lenkte ein, als die Unruhe in den Kirchspielen nicht mehr zu übersehen war. Er ließ Anhänger Luthers und des alten Katholizismus miteinander diskutieren und entschied dann, wer die besseren theologischen Argumente hatte. Die Folge war, dass der Stadtrat und die Vertreter der Kirchenspiele die Kontrolle über Glauben, Kircheneigentum, Hospitäler und Stiftungen erhielten. Die Stadt ging gestärkt aus diesen Konflikten hervor und überstand durch geschickte Selbstverteidigung und Bündnispolitik die Religionskriege bis 1648. Aber die lutherische Geistlichkeit wurde unflexibel und konservativ. Neue Strömungen der Frömmigkeit fanden Anhänger in der Stadt. Von diesen Entwicklungen von 1482 bis ins siebzehnte Jahrhundert berichten Ruth Albrecht und Silke Urbanski.

In jenem Jahr 1517, als Luthers Thesen in Wittenberg Verbreitung fanden, lebten in Hamburg ungefähr 14.000 Menschen. Ungefähr ein Drittel von ihnen hatte kein Bürgerrecht – diese Menschen arbeiteten als Mägde und Knechte, als Packer und Träger am Hafen oder als hochspezialisierte Brauersknechte in den über fünfhundert Bierbrauereien. Die Bevölkerung hatte sich von dem Einschnitt der Pest 170 Jahre zuvor vor allem durch Zuzug vom Land erholt.

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Hamburg im 16. Jahrhundert

20 % der Bürger können zur Oberschicht gezählt werden, sie waren Kaufleute, Ärzte, Juristen oder hochgestellte Handwerksmeister wie Goldschmiede. Unter ihnen fanden sich ungefähr zweihundert

Familien, deren Vorfahren im Laufe der letzten Jahrhunderte die Mitglieder der Stadtregierung, des Rats, gestellt hatten. Der Rat bestand aus etwa 30-50 Mitgliedern. Ungefähr zwölf trugen abwechselnd mit den anderen für ein Jahr aktiv die Regierungsgeschäfte. Zwei amtierende Bürgermeister hatten die höchste Gewalt inne, zwei weitere berieten und vertraten sie. Die Mittelschicht umfasste Handwerker, kleinere Händler und Höker. Ihr Bildungsgrad war je nach Gewerk unterschiedlich hoch, viele mögen aber des Lesens mächtig gewesen sein.

Die Stadt war in vier Kirchspiele unterteilt: St. Jacobi war geprägt von Gerbereien und kleinen Gärten, ein Kirchspiel in dem viele Arme lebten. St. Petri war traditionell das Kirchspiel der wohlhabenden ratstragenden Familien, St. Nicolai das Kirchspiel von aufstrebenden Händlern und Handwerkern und St. Katharinen in Nähe des Stroms das Kirchspiel der Schiffseigner, Kapitäne und Seeleute.

Trotz der vielen religiösen Einrichtungen gab es im Hamburg des 16. Jahrhundert noch nicht viele Kirchtürme

Da die Stadt flächenmäßig klein war, waren Not und Armut sichtbar, ebenso wie Reichtum und Wohlstand. Vor den Kirchentüren saßen Bettler, Schüler und Vaganten baten auf Plätzen und Märkten um Unterstützung. In Verschlägen und Kellern der Häuser der Bessergestellten lebten Hausarme, derer sich die Bürger annahmen, weil sie gottgefällige Werke tun wollten oder sich ihnen persönlich verpflichtet fühlten. Kranke, alte und einsame Menschen konnten in drei Hospitälern Unterkunft, Pflege und Seelsorge finden.

Vermutlich lebten in Hamburg 350 Geistliche. Neben den großen Kirchspielkirchen gab es viele Kapellen, gestiftet von Zünften, Brüderschaften oder Privatleuten. Die Pfarrer, Kaplane und Diakone der Kirchspielskirchen wurden vom Domkapitel bestimmt, ebenso die dort arbeitenden Vikare. Die Domherren waren die Vertreter des Erzbischofs von Hamburg-Bremen, der seinen Sitz in Bremen hatte. Der höchste Domherr in diesem Kollegium war der Domprobst. Er vertrat die Rechte der Geistlichkeit nach außen. Auch wenn das kirchliche Leben durch Kirchspielvertreter mitbestimmt wurde, hatte der Domprobst in allem das letzte Wort. Der Domdekan verwaltete die inneren Angelegenheiten des Domkapitels. Der Domscholasticus bestimmte über das Schulwesen an allen Schulen. Im Verlauf der Reformation sind vor allem die Domdekane und die Scholastici als Vertreter der alten Lehre aktiv geworden.

In der Stadt gab es zwei Klöster: Das Dominikanerkloster St. Johannis und das Franziskanerkloster Marien-Magdalenen.

Franziskaner aus: © HAB http://digilib.hab.de/mss/ed000058/start.thm?image=00402

Franziskaner

Beides waren Bettelorden, aber anders als die auf Predigt und Gelehrsamkeit bedachten Dominikaner waren die Franziskaner von Marien-Magdalenen sehr nah an den Nöten der Bürger und hatten sie stets in Streitigkeiten mit dem Domkapitel unterstützt. Vor den Toren der Stadt lag das Zisterziensernonnenkloster Harvestehude. Die Namensgeberin dieses Klosters war die Jungfrau Maria, die in der Stadt auch besonders verehrt wurde. Die Nonnen waren zu einer großen Mehrheit Töchter der Hamburger Ober- und Mittelschicht. Der Lebens- und Bildungsstandard war hoch. In der Steinstraße lebten ungefähr zwanzig Beginen in einem Hause als Gemeinschaft zusammen, arbeiteten und beteten und erteilten Unterricht für Mädchen.

Unter den Hamburger Geistlichen gab es etliche sehr gut ausgebildete Menschen. Das herausragende Beispiel war der Domdekan Albert Kranz, der 1517 starb. Er war Berater von adligen Herrschern, Mitarbeiter des Hamburger Rats und Autor vieler Bücher. Die Äbtissin des Klosters Harvestehude, Caecilia von Oldessem, verfügte über hervorragende Bibelkenntnisse, sprach Latein und war streitbar und schlagfertig. ­

Die Hamburger der Zeit um 1500 legten großen Wert auf ihr Seelenheil. Sie unterhielten die Klöster, spendeten für Altäre und Messen. Doch sie äußerten Kritik an denen, die die Kirche in der Stadt vertraten. Täglich sahen sie die Missstände, gegen die Domdekan und Domprobst nicht mehr ankamen: Viele der Domherren, Pfarrer und Vikare lebten mit Frauen zusammen, auch wenn ihnen dies durch den Zölibat verboten war. Ihre Freundinnen wurden verächtlich als Konkubinen bezeichnet. Etliche Geistliche bereicherten sich an den Spenden für die Kirche, verkauften Kirchenschmuck und hielten die Messen nicht, für die sie Einkünfte bezogen. Viele waren nicht gut ausgebildet. Schon 1477 und 1499 beschwerte sich der Rat im Namen der Bürger beim Domprobst über den Zustand des kirchlichen Lebens. Vor allem ging es den Bürgern um die Qualität des Unterrichts in der Domschule und darum, dass die Geistlichen keine Steuer zahlten und ihre Pflichten zum Erhalt der Stadtmauern nicht erfüllten.

Ein Besuch eines päpstlichen Legaten, Raimund Peraudi, sollte unter anderem diese Streitigkeiten beilegen. Der Legat wurde festlich empfangen, seinen Reden wurde gelauscht, und ein Vergleich zwischen städtischer Obrigkeit und geistlichen Herren wurde vereinbart. Doch die Missstände blieben. Versuche von Domdekan Albert Krantz und seinem Nachfolger, durch Kontrollbesuche der Kirchen und Belehrungen einzelner die Zustände zu ändern, führten zu nichts.

Domdekan und Historiker – Albert Krantz

1516 traf der Generalkommissar für den Ablass in Norddeutschland und Skandinavien Giovanni Angelo Arcimboldi in Hamburg ein. Er machte hervorragende Gewinne und beauftragte dann den Domscholasticus Hinrik Banskow, als Unterkommissar weiter zu arbeiten. Er ernannte ihn zum päpstlichen Akoluthen, später wurde Banskow zum päpstlichen Protonotar, obwohl er bekanntermaßen mit seiner Haushälterin zwei Kinder hatte und durch den Eigengebrauch von kirchlichen Einkünften sehr wohlhabend war.

Als spät im Jahr 1517 die Nachrichten von Martin Luthers Thesen gegen den Ablass in Hamburg eintrafen, lag der Domdekan Albert Krantz im Sterben. Der Legende nach hat er die Thesen noch gelesen und in Richtung Luthers gesagt: „Bruder, Bruder, geh in deine Zelle und sprich: Gott erbarme dich meiner.“ [1] Ob er diese Sätze so geäußert hat oder nicht, sie machen eines klar: Man glaubte zu jener Zeit nicht, dass sich einschneidende Veränderungen in der mächtigen römischen Kirche durchsetzen ließen. Doch wie in Hamburg so war in weiten Teilen Europas das Bedürfnis nach einer Reform der Kirche zu groß, um unbeachtet zu bleiben.

Die ersten Nachrichten von Luthers Thesen mögen zwar unter den Gebildeten und in der Oberschicht diskutiert worden sein, aber für reformatorische Prediger aus Wittenberg gab es ein Problem: Die Sprachbarriere. In Hamburg sprach man Niederdeutsch. Alle Texte mussten übersetzt und niederdeutsch sprechende Prediger gefunden werden. Detlev Schuldorp, ein englandfahrender Kaufmann, und Diederik Osdorp, ein Goldschmied, waren erste Anhänger der neuen Lehre. Johann Widembrügge, ein lutherisch predigender Prämonstratensermönch aus Stade, war schon 1521 zu Gast bei Schuldorp. Vermutlich predigte er in seinem Haus. Die Pfarrer von St. Petri und St. Nicolai, Dr. Johann Engelin und Dr. Johann Kissembrügge, luden ihn zu einem Streitgespräch ins Dominikanerkloster ein. Widembrügge erschien, erklärte seinen Glauben und wich nicht davon ab. Die Dominikaner luden ihn nochmals ein, konnten ihn aber auch argumentativ nicht besiegen. Ordo Stenmel, der Pastor von St. Katharinen, hielt 1521 Predigten gegen den Ablasshandel, die Sittenlosigkeit des Klerus, schlechte Predigten und für die Verbreitung des Evangeliums. Die Franziskanerbrüder im Marien-Magdalenenkloster beherbergten den Rostocker Bruder Stefan Kempe. Sie wurden bald zu den bedeutendsten Anhängern der Reformation, und Stefan Kempe wurde zu ihrem wichtigsten Prediger und Chronisten.

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Stefan Kempe

Die Reformfreudigkeit der Hamburger wurde durch einen Streit über die Schulen noch verstärkt. Alle Schulen in Hamburg vom Marianum am Dom über die deutsch- und lateinsprachige Nicolaischule, eine bürgerliche Gründung, bis zur kleinen Schreibschule an der Ecke wurden vom Domscholatikus Hinrick Banskow, verwaltet. Er bestimmte den Lehrplan und stellte die Lehrer ein, er gewährte die Zulassung von neuen deutschen Schreibschulen. Er bestimmte über das Schulgeld und dessen Erhöhungen. Besonders verärgert waren die Kirchspielbürger über diese Missstände in der Nicolaischule, die sie baulich unterhielten. Die Bürger beschwerten sich beim Rat über die Lehrer, die er einstellte. Sie würden die Kinder vernachlässigen und ihnen nichts beibringen. Zudem müssten diese Schulmeister dem Domscholastikus stets höhere Abgaben als Pacht für Lehrräume und Wohnung zahlen, die zu immer schlechteren Unterrichtsbedingungen führten. Bürgerliche Schulgründungen würden verboten und Banskow setze das Schulgeld unnötig hoch herauf. Er sah sich in keinem Punkt einsichtig, er betonte, er würde gegen eigenständige Schulen vor Gericht vorgehen. Er ging gegen die Frauen, die Mädchen unterrichteten, und die älteren Geistlichen, die eigenständig Lateinunterricht gaben, vor. Am 2. September 1522 verfassten Kirchspielbürger, Älterleute der Zünfte und langansässige Familien eine Vereinbarung mit Forderungen. Sie forderten unter anderem Mitbestimmung bei der Berufung der Pfarrer und Lehrer, in Schulfragen und bei Schulgründungen. Die Zahlungen an Banskow behielten sie ein. Während dieser mit dem Rat darüber verhandelte, besetzen die Bürger die Nicolaischule. Banskow und die Vertreter der Kirchspiele stritten noch bis September 1524, als das Domkapitel den Scholasticus zu einem Vergleich zwang, gegen den er dann vor der päpstlichen Kurie vorging. Aber die Verteter der Kirchspiele behielten die Entscheidungsgewalt über die Nicolaischule.

Im selben Jahr, als der Schulstreit begann, siedelte sich der Drucker Simon Korver in Hamburg an und druckte Luthers Schriften, die großen Absatz fanden. Stefan Kempe predigte im Franziskanerkloster und zog große Zuhörermengen an. So konnten die Inhalte der Lutherischen Konfession gut verbreitet werden. (Mehr zu den Inhalten hier →)

1524 starb Dr. Engelin, der Pastor von St. Nicolai, und die Kirchgeschworenen hätten gern Johannes Bugenhagen als Pastor berufen, aber der Rat verbot es. Ordo Stenmel musste wegen seiner mutigen Predigten auf Betreiben des Domkapitels sein Amt aufgeben, und der Rat versuchte, das Wormser Edikt durchzuführen, doch die Prediger verstummten nicht.

Aus der Gemeinde von St. Nicolai kam der nächste Schritt. Die Kirchspielsvertreter schlugen ein Kirchenreformprogramm vor, dass das Domkapitel in seiner Verfügung über Geld und Stellenbesetzungen massiv einschränkte. Nun sah auch der Stadtrat, dass sich die politische Situation änderte. Er verfügte auf Druck der Bürger, dass alle städtischen Pfarrer nur noch über das Evangelium predigen sollten. 1526 beriefen die Kirchspielgeschworenen von St. Nicolai den lutherischen Magdeburger Theologen Johann Zegenhagen als Pastor. Im Dezember desselben Jahres verbot der Rat, dass die Pastoren gegeneinander predigten oder Streit und Hass predigten. Doch die katholische Seite hielt sich nicht daran. Mit einer Predigt am Dom wurde ein wahrer Kampf der Worte ausgelöst.

Das Domkapitel hatte zwar einzelne Mitglieder, die sich in diesen Streit hineinwarfen, aber es stand unter starkem finanziellen Druck, der es fast handlungsunfähig machte. Dies war ein Vorteil für die Reformer.

Am 19. Mai 1527 verabredeten sich katholische Theologen und lutherische Predikanten zu einer erneuten Disputation, die sich hauptsächlich um theologische Fragen drehte und weitgehend auf Latein geführt wurde. Nach dem Streitgespräch entschied sich der Rat, keine Veränderungen der Lage vorzunehmen und keine der beiden Lehren zu verbieten. Aber die Geistlichen sollten nur noch nach dem Evangelium predigen. Zu jener Zeit war die Mehrheit der erbgesessenen Bürger lutherisch gesinnt, aber die kleinen Handwerker, die Knechte und Mägde hingen am alten Glauben.

Im August richtete die Nicolaigemeinde einen ersten Gotteskasten ein.

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Gotteskasten von St. Nicolai

Dort sollten alle Spenden für Arme zentral gesammelt werden. Die Kirchspielvorsteher setzten Verantworliche ein, die entschieden, welche Armen daraus Geld erhalten sollten und welche nicht. Bettelei sollte damit abgeschafft und auch verboten werden. Im September 1527 wagte die Katherinengemeinde, ihren Pfarrer abzusetzen, der vom lutherischen zum alten Glauben zurück gewechselt hatte. Sie beriefen den kämpferischen Stefan Kempe, der nun aus seinem Mönchsorden austrat und Pfarrer wurde. Gegen diese Berufung ging der Rat nicht vor.

Als sich der Rat im Februar 1528 nochmals von 17 auf 21 Mitglieder selbst ergänzte, wurden vier katholische Kandidaten gewählt und erst acht Wochen später, nach Protesten noch vier Lutherische. Danach verschärfte sich die Konfrontation.

Katholische Bürger und Priester trafen sich im St. Johanniskloster und berieten sich über Gegenwehr. Auch im Nonnenkloster Harvestehude haben Treffen des katholischen Bürgermeisters Salsborch mit dem Adel der Gegend stattgefunden. Gerüchte gingen um, die Katholiken hätten vor, Gewalt gegen die Lutherischen zu gebrauchen. Man unterstellte ihnen, dass sie planten, 400 bis 500 Bürger ermorden zu wollen. Es wurde vermutet, sie hätten an mehreren Stellen der Stadt Waffen versteckt, man behauptete, sie hätten die Reitediener der Stadt gedungen, Mordtaten zu vollführen, oder sie hätten sogar Söldner herbeigerufen, die eines Nachts heimlich in die Stadt eingelassen werden sollten, um zu maraudieren. Doch die Gerüchte und Ängste waren unbegründet.

Später wird Stefan Kempe in seinem Bericht über die Reformation mit Nachdruck betonen, die Protestanten seien stets unbewaffnet gewesen, wenn sie Protestaktionen vornahmen. Dies macht eines klar: Die Lage in der Stadt hatte sich massiv zugespitzt, die Obrigkeit musste handeln, damit es nicht zu massiveren Auseinandersetzungen kam. Am 28. April lud der Rat die gegnerischen Parteien wieder zu einer Disputation ein. Diesmal entschied er, dass die lutherischen Prediger dem Evangelium gemäß predigten. Die Katholiken sollten sich dem lutherischen Glauben anschließen. Die siegreichen Anhänger Luthers forderten eine Strafe für die Katholiken. Nach Kempe wären die Lutheraner, hätten sie verloren, ertränkt oder verbrannt worden. Der Rat wies die katholischen Disputanten aus der Stadt aus. Die Dominikaner verließen ebenfalls die Stadt. In einem Flügel ihres St. Johannis-Klosters sollte die neue städtische Schule eingerichtet werden.

Johannes Bugenhagen, Freund und Mitstreiter Luthers wurde gerufen, um eine neue Kirchenordnung für Hamburg zu entwerfen.

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Johannes Bugenhagen

Er kam Ende 1528 mit seiner Frau nach Hamburg und blieb bis Juni 1529. Im Januar wurde unter seiner Leitung in einer Vereinbarung von Stadtrat und Bürgern festgelegt, dass Hamburg von nun an lutherisch sein solle und dass seine Kirchenordnung gelten werde. Im Mai wurde die von Bugenhagen erarbeitete Kirchenordnung angenommen. Sie regelte vor allem die Armenversorgung und das Schulwesen, aber auch Gottesdienstabläufe, Sakramentsgabe und kirchliche Feiern. Die Armen sollten aus einem Gotteskasten versorgt werden, in den neben Spenden auch die Einkünfte der Hospitäler und Stifte fließen würden. Dieser Hauptkasten sowie die Gotteskästen in den Kirchspielen sollten von unbescholtenen Bürgern verwaltet werden. Diese Zentralisierung garantierte eine Kontrolle über die Vermögen und eine Absicherung der Subsistenz für die „rechten“ Armen, schloss aber Nichtsesshafte und Randständige aus. Die Schulkapitel der Kirchenordnung bestimmten die Gründung einer Schule für alle Jungen, die Latein lernen sollten. Sie regelte das Schulgeld, den Schulalltag, das Curriculum und die Aufgaben der Lehrer und der Schulleiter. Zusätzlich sollten in den Kirchspielen vier Mädchenschulen mit einem weniger ausführlichen Bildungsangebot gegründet werden. Auch vier Stipendien für Studenten und die Finanzierung des Schulbesuchs für begabte Söhne Armer wurden festgelegt. Die Aufsicht über Schule und Gottesdienst sollte ein Superintendent erhalten.

Da sich die Nonnen des Klosters Harvestehude immer noch weigerten, lutherisch zu werden und ihr Kloster zu verlassen, wurde die Kirchenordnung noch nicht gedruckt. Im Februar 1530 ließen Kirchspielverordnete das Kloster der widerspenstigen Nonnen abreißen und die Frauen vertreiben. Viele kehrten in ihre Familien zurück, einige heirateten und 19 blieben als evangelische Schwesternschaft zusammen. Eine von ihnen nahm Stefan Kempe zum Mann. Der Rat musste vor dem kaiserlichen Gericht mit dem Domkapitel streiten, um die Ansprüche der Domherren zu klären. Im Krieg der protestantischen Fürsten gegen den Kaiser verbündete sich Hamburg mit diesen im Schmalkaldischen Bund. Die Niederlage des Bundes brachte keinen Schaden über die Stadt, und so konnte der Rat mit einer ausführlicheren Kirchenordnung des noch von Bugenhagen bestellten Superintendenten Johannes Aepin im Jahre 1550 die Reformation stärken.

Die seit 1529 lutherische Hansestadt Hamburg hatte im Unterschied zu den meisten Städten und Territorien des Alten Reiches die Phase des Dreißigjährigen Krieges mit wirtschaftlichem und politischem Gewinn überstanden. Sie hatte ihre strikte Neutralitätspolitik durchhalten können, die vor allem im Interesse der Kaufmannschaft lag, für die kirchenpolitische Verpflichtungen nicht an oberster Stelle standen.

Die Vorstadt westlich der Alster (im Bild rechts) nahm im späten 16. Jahrhundert zahlreiche neue Einwohner auf

Der 1625 abgeschlossene festungsmäßige Ausbau erweiterte das innerstädtische Gebiet beträchtlich und ermöglichte die Ansiedlung zahlreicher neuer Bewohner (ca. 56.000 Einwohner um 1643). Nach dem Krieg strebten zusätzliche Flüchtlinge u.a. aus deutschen Kriegsgebieten in die Hansestadt (ca. 60.000 Einwohner Ende des 17. Jahrhunderts). Portugiesische Juden und reformierte Niederländer bildeten nennenswerte Gruppen unter den Zuwanderern, die eigene religiöse Prägungen mitbrachten. Im Laufe des 17. Jahrhunderts gelang es in zähen Verhandlungen, den Status Hamburgs als Freie Reichsstadt gegenüber dänischen Ansprüchen zu sichern.

tus Hamburgs als Freie Reichsstadt gegenüber dänischen Ansprüchen zu sichern.

Die fünf Hamburger Kirchspiele

Die vier lutherischen Hauptkirchen und Kirchspiele (St. Petri, St. Nikolai, St. Katharinen, St. Jacobi) wurden Mitte des 17. Jahrhunderts um das Kirchspiel St. Michaelis erweitert, dessen Kirche und Gemeindemitglieder dadurch den anderen gleichgestellt wurden. An diesen Kirchen und einigen weiteren gottesdienstlichen Stätten waren 28 lutherische Geistliche tätig. An den Hauptkirchen wirkten neben den Hauptpastoren insgesamt 16 Diakone auf den nachgeordneten Pfarrstellen. Die Pastoren waren im Geistlichen Ministerium zusammengeschlossen, das von einem Senior repräsentiert wurde, der auch der Ansprechpartner für den Rat der Stadt war. Das von Bugenhagens Kirchenordnung (1529) vorgesehene Superintendentenamt blieb seit 1593 unbesetzt. Spannungen zwischen der auf den internationalen Handel angewiesenen städtischen Elite, die auch die Mitglieder des Senats stellte, und der auf Wahrung der lutherischen Konfession bedachten Geistlichkeit gehörten zu den Kennzeichen Hamburgs.

Die veralteten Strukturen des Niederlassungsrechts und Bürgerrechts von Handwerkern führten bei wachsender Bevölkerung zu zahlreichen, auch gewaltsam ausgetragenen Konflikten. Diese vermischten sich Ende des 17. Jahrhunderts mitunter mit Positionierungen für oder gegen den Pietismus.

Pietismus ist ursprünglich ein Spottname, abgeleitet vom lateinischen Pietas (Frömmigkeit). Der Pietismus war eine Reformbewegung der Evangelischen Kirche im 16. Und 17. Jahrhundert.  Pietisten betonten in besonderer Weise, dass der Einzelne sich für den Glauben entscheiden muss. Neben einer intensiven Frömmigkeit durch Bibellesen und Gebete legen Pietisten Wert auf aktive Nächstenliebe.  Der Pietismus fiel als innerkirchliche Reformbewegung auch dadurch auf, dass Männer und Frauen sich anders verhielten als in den traditionellen Gemeinden. Das aktive Hervortreten der Frauen wurde als Zeichen der göttlichen Gnade  gesehen. Konservative Lutherische Geistliche kritisierten dies.

Die Haltung zum Pietismus führte häufig zu Streit, dessen Gründe aber auch in der veralteten Ordnung und der rechtlichen  Ungleichheit der Stadtbewohner lagen.

Das Opernhaus am Gänsemarkt

Auch die Haltung zur Kultur löste erbitterte Konflikte aus. Der Kampf gegen weltliche Vergnügungen wie Theater und Oper entsprach der sittlichen Strenge der Pietisten. Das 1678 eröffnete Opernhaus am Gänsemarkt markierte die kulturelle Aufgeschlossenheit des Hamburger Bürgertums, das mit diesem Haus das erste seiner Art außerhalb von Adelsresidenzen schuf. Gleichzeitig wurde die Oper zum Ausgangspunkt erbitterter Kontroversen, da die Pietisten den Opernbesuch verurteilten. Die Lutherische Kirche hingegen verdammte die Bibellesekreise der Pietisten.

 

Quellenhinweise zum Pietismus:

Acta Hamburgensia. Die Klugheit der Gerechten Die Kinder Nach den wahren Gründen des Christenthums von der Welt zum Herrn zu erziehen. Samt denen darüber gewechselten Streit=Schriften und E. E. Hochweisen Rahts der Stadt Hamburg Protocoll=mässigen Bericht …, Reymers Altona 1694.

Actorum Hamburgensium Pars Altera Das ist Hamburgische Acten Anderer Theil …, Reymers Altona 1695.

Winckler, Johann: Ausführliche Betrachtungen über etliche fürtreffliche Sprüche der Heil. Schrifft …, Hamburg: Gottfried Liedernickel/Rudolstadt: Heinrich Urban 1697.

Grundlegende Literatur:

Weiteres Material zur Reformation→

Website der evangelisch-lutherischen Kirche in Hamburg und Umgebung zur Reformation→

 „Reformation reloaded“, einem Projekt der evangelisch-lutherischen Kirche →

Daur, Georg: Von Predigern und Bürgern. Eine hamburgische Kirchengeschichte von der Reformation bis zur Gegenwart, Hamburg 1970.

Mager, Ilse: Hamburgische Kirchengeschichte 1517-1648, in: Hamburgische Kirchengeschichte in Aufsätzen; Teil 2: Reformation und konfessionelles Zeitalter, hg. v. Rainer Hering und Dies., Hamburg 2004 (Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs; Bd. 22), S. 11-19.

Postel, Rainer: Reformation und Gegenreformation. 1517-1618, in: Hamburg. Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner; Bd. 1: Von den Anfängen bis zur Reichsgründung, hg. v. Werner Jochmann und Hans-Dieter Loose, Hamburg 1982, S. 191-258.

Ders.: Die Reformation in Hamburg, 1517–1528. Gütersloh 1986.

Ders.: Beiträge zur hamburgischen Geschichte der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze zum 65. Geburtstag, hg. v. Lars Jockheck, Hamburg 2006 (Geschichte, Forschung und Wissenschaft; Bd. 18). 

Rückleben, Hermann: Die Niederwerfung der hamburgischen Ratsgewalt. Kirchliche Bewegungen und bürgerliche Unruhen im ausgehenden 17. Jahrhundert, Hamburg 1970.

Sillem, Carl Hieronymus Wilhelm: Die Einführung der Reformation in Hamburg, Hamburg 1886.

Whaley, Joachim: Religiöse Toleranz und  sozialer Wandel in Hamburg 1529-1819, Hamburg 1992 (Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs; Bd. 18).

 

Zitate:

[1] Sillem, Carl Hieronymus Wilhelm: Die Einführung der Reformation in Hamburg, Hamburg 1886, in: Ballheimer, Rudolf: Die Einführung der Reformation in Hamburg, in Quellenstücken zusammengestellt, Hamburg, 1917, S. 6.

 

Bildnachweise:

Abb. Slider: Gotteskastenordnung von St. Nicolai, Staatsarchiv Hamburg, StAHH SSAR-PRT-V115102815280_0001.

Abb. Epochentext: Hamburg im 16. Jahrhundert (Georg Braun/Franz Hogenberg), Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN612045943 (CC BY-SA 4.0) / Stadtpanorama von 1587 (Peter Suhr), Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, aus KS 1025/907; 1,6 / Vom Erbrecht (Ausschnitt), Franziskaner aus dem Stadtrecht 1497, © HAB http://digilib.hab.de/mss/ed000058/start.thm?image=00402 / Epitaph von Albert Krantz im MHG (Ausschnitt), Foto Dominik Kloss / Stefan Kempe, Staatsarchiv Hamburg, StAHH SSAR-PRT-V115102815380_0002 / Gotteskastenordnung von St. Nicolai (Ausschnitt), Gotteskasten, Staatsarchiv Hamburg, StAHH SSAR-PRT-V115102815280_0001 / Johannes Bugenhagen, Staatsarchiv Hamburg, StAHH SSAR-PRT-V115102815380_0001 / Stadtpanorama von 1587 (Peter Suhr), Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, aus KS 1025/907; 1,1 / Lage der fünf Hamburger Hauptkirchen, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Map_Hamburg_1700.png) / Opernhaus am Gänsemarkt, Zeichnung aus dem 18. Jh., nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Opernhaus_am_Hamburger_Gaensemarkt_(Ausschnitt).gif).

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