Hamburg und der 11. September 2001

Christoph Strupp (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg)

Der Anschlag auf das World Trade Center und das Pentagon

Am 11. September 2001 erschütterte der schwerste Terroranschlag der jüngeren Geschichte die USA und die Welt.

Gedenkstätte „National September 11 Memorial and Museum“ für die Opfer der Terroranschläge.

Insgesamt 19 Attentäter entführten kurz nach dem Start vier Flugzeuge, die auf dem Weg von Boston, Washington und Newark an die Westküste waren. Zwei davon steuerten sie um 8.46 Uhr und 9.03 Uhr Ortszeit in die beiden Türme des World Trade Center in New York City, die innerhalb von zwei Stunden vollständig einstürzten. Eine dritte Maschine traf um 9.37 Uhr die Westseite des Pentagon, des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums am Rand von Washington, D.C. Ein viertes Flugzeug, dessen Ziel vermutlich das Kongressgebäude oder das Weiße Haus gewesen war, stürzte um 10.03 Uhr in Pennsylvania ab. Unmittelbar kamen bei den Anschlägen fast 3.000 Menschen ums Leben.

Verantwortlich dafür war das Terrornetzwerk al-Qaida, das in den frühen 1990er Jahren entstand und von dem saudischen Islamisten Osama bin Laden angeführt wurde. Zu seinen Zielen gehörten die Vertreibung der Amerikaner aus dem Nahen und Mittleren Osten, der Sturz pro-westlicher Regierungen und die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates in der Region. Seit dem 11. September ist der islamistische Terrorismus ein Faktor in der Weltpolitik. Ohne die Anschläge wäre es im Oktober 2001 nicht zur militärischen Intervention einer von den USA angeführten Koalition in Afghanistan und wohl im März 2003 auch nicht zum Irak-Krieg gekommen.

Der Deutsche Bundestag verabschiedete unter dem Eindruck der Anschläge noch im November und Dezember 2001 neue Sicherheitsgesetze, die der Bekämpfung des internationalen Terrorismus dienen sollten. Die Gesetze erweiterten die Befugnisse der Sicherheitsbehörden und veränderten in vieler Hinsicht den Alltag der Menschen. In den Jahren danach folgten weitere Gesetze, die u.a. die Abschiebung ausländischer „geistiger Brandstifter“ ermöglichten sowie die Ausbildung in „Terrorcamps“ und die Finanzierung von Terrorismus unter Strafe stellten.

In Deutschland wurden die Ereignisse des 11. September aufgrund der Zeitverschiebung am frühen Nachmittag bekannt, u.a. über eine Ausgabe der in Hamburg produzierten „Tagesschau“ der ARD kurz nach 15 Uhr. Am Abend legten viele Menschen Blumen am amerikanischen Generalkonsulat an der Außenalster nieder. Die Sicherung dieses Gebäudes wurde massiv verstärkt. Bürgermeister Ortwin Runde (SPD), CDU-Oppositionsführer Ole von Beust und andere lokale Spitzenpolitiker äußerten sich entsetzt über die Anschläge und setzten den Wahlkampf für die bevorstehende Bürgerschaftswahl am 23. September zunächst aus. Am Rathaus wehten die Fahnen auf halbmast und in der Rathausdiele wurde eine Kondolenzliste ausgelegt.

Marienstraße 54 in Harburg, Wohnort einiger der Attentäter

Dass es über die Rolle Hamburgs als Nachrichtenbörse und die Anteilnahme von Politik und Öffentlichkeit hinaus noch eine weitere hamburgische Dimension dieses welthistorischen Ereignisses gab, wurde am folgenden Tag kurz nach

18 Uhr deutlich. Eine Nachrichtenagentur meldete auf der Grundlage von FBI-Informationen, dass einer der Attentäter, der Ägypter Mohammed Atta, einen Cousin in Hamburg gehabt habe. Nachdem die Adresse geklärt worden war, fuhren gegen 19 Uhr Journalisten und Polizisten zur Marienstraße 54 in Harburg. Dort fanden sie eine leerstehende und renovierte Dreizimmerwohnung vor, in der bis zum Frühjahr 2001 Studenten der TU Harburg gewohnt hatten. Wie sich bald herausstellte, waren dies neben Atta der Deutsch-Marokkaner Said Bahaji und der Jemenit Ramzi Binalshibb, die beide eine wichtige Rolle in der Planung der Anschläge gespielt hatten. Nach ihnen wohnten dort zwei Marokkaner, die die Behörden später ebenfalls dem Terrornetzwerk zurechneten. Im Oktober 2002 begann gegen einen von ihnen in Hamburg das weltweit erste Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit den Anschlägen.

Am späten Nachmittag des 12. September wurden Innensenator Olaf Scholz (SPD) und die Hamburger Polizeiführung über die Spur nach Hamburg informiert und leiteten Ermittlungen ein, noch bevor das Bundeskriminalamt nach 22 Uhr die FBI-Liste mit den Namen von 18 Attentätern offiziell übersandte. Drei der vier Todespiloten – Atta, der Libanese Ziad Jarrah und Marwan al-Shehhi aus den Vereinigten Arabischen Emiraten – hatten seit 1992 bzw. 1997 und 1999 in Hamburg gelebt und studiert. In der Nacht wurden die Wohnung in der Marienstraße und sieben weitere Wohnungen u.a. in der Wilhelmstraße, der Bunatwiete und der Hansastraße von Spezialeinsatzkräften durchsucht sowie Nachbarn und Vermieter befragt.

Am Morgen des 13. September hatte die Hamburger Polizei das Netz der unmittelbar beteiligten Islamisten in Hamburg, wie es sich in den 1990er Jahren entwickelt hatte, weitgehend aufgedeckt. Innensenator Scholz informierte die Öffentlichkeit über die „Hamburger Zelle“ auf einer Pressekonferenz. Die TU Harburg und einzelne Dozenten und Studenten, die mit den Attentätern in den vergangenen Jahren regelmäßigen Kontakt gehabt hatten, gerieten in den Wirbel internationaler Medienaufmerksamkeit. Angesichts der Hamburger Verbindungen und des Schocks, den die Anschläge in den USA ausgelöst hatten, sprach das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im November 2001 von „Pearl Harburg“. Die Journalisten spielten damit auf den japanischen Überfall auf den Marinestützpunkt Pearl Harbor im Dezember 1941 an, den letzten Angriff von außen auf US-amerikanisches Territorium. Er hatte zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg geführt.

In den kommenden Monaten leuchteten die Sicherheitsbehörden die Vergangenheit Attas und der anderen Attentäter, ihre Aktivitäten und ihr Umfeld in Hamburg noch gründlicher aus. Dabei gerieten weitere Personen und auch die Al-Quds Moschee am Steindamm in St. Georg ins Visier. Diese Moschee hatte die Gruppe regelmäßig aufgesucht. Der Film „Hamburger Lektionen“ von 2006 warf ein Schlaglicht auf den Charakter der dort verbreiteten fundamentalistischen Lehren. Im August 2010 wurde die Moschee von den Behörden geschlossen. Den Anschlägen war ein langer Prozess der Radikalisierung und zunehmenden Abschottung vorausgegangen, der die Täter schließlich zu al-Qaida geführt hatte. Die Anonymität der Großstadt Hamburg hatte dazu beigetragen, dass die Stadt als Planungsraum bei den Vorbereitungen des 11. September eine so wesentliche Rolle spielte.

 

Literatur:

Aust, Stefan / Schnibben, Cordt (Hg.): 11. September. Geschichte eines Terrorangriffs, Stuttgart / München: DVA, 2002.

Gall, Insa / Zand-Vakili, André: Der Terror aus Hamburg, in: Die Welt, Nr. 209, 7.9.2002, S. 35.

Haddad, Laura: Anerkennung und Widerstand. Lokale islamische Identitätspraxis in Hamburg, Bielefeld: Transcript Verlag, 2017.

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Marienstraße 54 in Harburg (Ausschnitt), nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Marienstra%C3%9Fe_54.JPG).

Abb. Thementext: Gedenkstätte Ground Zero (Bahao Zhao), nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ground_Zero_South_Pool_-_panoramio.jpg) / Marienstraße 54 in Harburg, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Marienstra%C3%9Fe_54.JPG).