Schulen für Arme
Nach dem Ende der französischen Besetzung Hamburgs (1806-1814) wurden die Schulen der Armenanstalt ausgebaut. Die Schülerzahlen stiegen von 994 Kindern im Jahre 1815/16 auf 4.343 im Jahre 1849.
Auf Eltern und Kinder wurde durch polizeiliche Maßnahmen und durch den Entzug des Armengeldes ein indirekter Schulzwang ausgeübt. Von einer allgemeinen Schulpflicht war dies natürlich noch weit entfernt, denn es betraf nur die Kinder der armen Familien, und darüber hinaus waren diese Maßnahmen offenbar auch nicht allzu effektiv. Anfang der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts zählte man im Hamburger Stadtgebiet insgesamt 21.000 Kinder, davon waren rund 3.000 ohne jegliche schulische Versorgung.
Um die Schulzucht zu verbessern, wurde 1833 sogar eine Strafschule eingerichtet. Ihre Zöglinge wurden für mindestens sechs Wochen dort eingewiesen, es herrschte Anwesenheitspflicht von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr. Erst 1906 wurde diese Strafschule aufgelöst.
Das wachsende Bildungsbedürfnis der breiten Bevölkerungsschichten und auch die wirtschaftliche Notwendigkeit (Industrialisierung) einer Qualifizierung der unteren Schichten konnten weder die Armen- noch die Stiftungs- und Kirchenschulen und schon gar nicht die zahlreichen niveaulosen Winkelschulen befriedigen. Über diese kleinen privaten Schulen heißt es in einem Bericht der Revisionskommission der Armenanstalt: „Die meisten Schullehrer haben ihr Domizil in Sählen (Wohnungen in oberen Stockwerken mit besonderem Treppenaufgang von der Straße aus), in Höfen und anderen Lokalen aufgeschlagen, wo die Kinder in den engen, finsteren und dumpfen Stuben an Luft und Licht Mangel leiden. Hier sitzen sie in gepreßter Stellung morgens vier und nachmittags drei Stunden, verderben ihre Augen und verdumpfen geistig, weil sie von dem Lehrer nicht gehörig übersehen und beobachtet werden können. Nirgends ist ein Hofraum zu körperlichen Übungen und Beschäftigungen.“[1]
Die Zeitschrift „Reform“ erinnerte im Jahr 1876 mit einem Gedicht an die früheren Bildungsbemühungen der FrauenvereineZu Beginn des 19. Jahrhunderts, vor allem in der Zeit des Vormärz, entstanden bürgerliche Frauenvereine, die sich mit dem Gedankengut Friedrich Fröbels identifizierten und die Mädchenbildung zu ihrem Thema machten. Das bedeutendste Experiment war die „Hochschule für das weibliche Geschlecht“. Die Gründung dieser Hochschule ging auf Emilie Wüstenfeld und Bertha Traun zurück. Karl Fröbel, ein Neffe Friedrich Fröbels, übernahm die Leitung. Allerdings bestand die Hochschule nur die kurze Zeit von 1850 bis zum Frühjahr 1852. Erst mit der Gründung der Schule des Paulsenstifts (1866) und der Klosterschule (1892) konnten Ansprüche einer höheren Mädchenbildung dauerhaft erfüllt werden.
Die Neuordnung des Schulwesens stand damit nach der Franzosenzeit endgültig auf der Tagesordnung. In der Revolution von 1848/49 wurde dies besonders deutlich, als die Konstituierende Versammlung zur Erarbeitung einer neuen Verfassung, die so genannte Konstituante, 1849 u.a. folgende Forderungen erhob:
Unterrichtspflicht für alle, staatliche Schulaufsicht und Verantwortung für das Bildungswesen, Einführung unterer und höherer öffentlicher Volksschulen, Schulgeldfreiheit.
Mit dem Sieg der Reaktion blieben diese Forderungen allerdings unverwirklicht. Erst mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung im Jahre 1860, die die alte Kirchspielverfassung aufhob, war endlich der Weg frei für eine Neustrukturierung des Hamburger Schulwesens.
Auszüge aus: Lehberger, Reiner; deLorent, Hans-Peter: Schulen in Hamburg – Ein Führer durch Aufbau und Geschichte des Hamburger Schulwesens, Hamburg 2012.
[2] Zit. Blinckmann, Theodor: Die öffentliche Volksschule in Hamburg in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Hamburg 1930, S. 24 f.
Literatur:
Hamburg. Stadt der Schulreformen, hg. v. Peter Daschner und Reiner Lehberger, Hamburg 1990 (Hamburger Schriftenreihe zur Schul- und Unterrichtsgeschichte; Bd. 2).
Heede, Manfred: Die Entstehung des Volksschulwesens in Hamburg. Der langwierige Weg von den Schulforderungen der Revolution 1848/49 bis zum Unterrichtsgesetz von 1870, Hamburg 1982.
Lackemann, Louis: Die Geschichte des hamburgischen Armenschulwesens von 1815 bis 1871. Ein Beitrag zur vaterstädtischen Kulturgeschichte. Hamburg 1910.
Bildnachweise:
Abb. Titelfeld: Mädchen im Rauhen Haus (Ausschnitt), aus: Illustrirte Zeitung 1846, 7. Bd., No. 171, S. 300, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_141-18.
Abb. Thementext: Die Kurrende, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN870494961 (CC BY-SA 4.0) / Unterricht des Akademischen Gymnasium im Alten Johannis-Kloster, Fassade (Speckter & Co.), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_131-06 / „Reform“ No. 95, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_283-05 / Fachwerk-Schulgebäude (G. Koppmann Co.), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_132-06.