Angela Schwarz
Bemühungen um bürgerliche Gleichstellung
Nach 1815 mussten die Juden in Hamburg die Hoffnungen auf eine Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung auf nationaler Ebene und auch in der Hansestadt aufgeben. Hier konnten sich die Fürsprecher im Senat und der liberalen Kaufmannschaft bei der verflochtenen politischen Struktur nicht gegen die Erbgesessene Bürgerschaft, die Bürgerlichen Kollegien und die Zünfte durchsetzen. Wirtschaftliche Konkurrenz und religiöse Vorurteile vermischten sich mit einer Ablehnung aller Neuerungen und verhinderten jeglichen Fortschritt. Eine bürgerliche Gleichstellung war nur durch die Konversion möglich, denn nur dadurch konnte das Hamburger Bürgerrecht erworben werden.
Die durch die Haskala (jüdische Aufklärung) eingeleiteten Veränderungen im Judentum waren innerjüdisch zunächst umstritten, prägten und förderten letztlich aber den Emanzipationsprozeß. In Hamburg setzte die aufgeklärte jüdische Elite konkrete Maßnahmen in einer Reformbewegung um, die einen Zugang zur Gesellschaft öffnen und ein modernes Verständnis des Judentums ausdrücken sollte.
Damit sollten auch immer wiederholte Vorurteile abgebaut werden. Mit der Gründung der Israelitischen Freischule 1815 wurde der jüdische Bildungskanon erheblich um weltliche Fächer und die deutsche Sprache erweitert, zunächst um jüdische Schüler auf das Handwerk vorzubereiten, später mit einem allgemeinen Bildungsanspruch. Zur Versorgung der Schüler wurden Vereine und Stiftungen errichtet, wie auch solche, die gezielt die Berufsstruktur ändern sollten. Diese vergaben Darlehen zur Existenzgründung in nichtkaufmännischen Berufen und wollten jüdische Jugendliche im Handwerk unterbringen. Damit sollte die soziale Lage der unteren jüdischen Schichten verbessert werden. Von zentraler Bedeutung für das liberale Judentum sollte der 1817 gegründete Israelitische Tempelverein werden. Dessen Gründung führte zu einer zeitgemäßen Form der Religionsausübung, und mit der deutschen Predigt, deutschen Gebeten und Choralgesängen und Orgelmusik wurden Neuerungen eingeführt, die dem gewandelten religiösen Bedürfnis entsprachen. Trotz erheblicher Widerstände von Seiten der Orthodoxie blieb die Gemeinde als Ganzes erhalten.
Seit 1828 richtete sie mit gestiegenem Selbstbewußtsein wiederholt Anträge an den Senat für politische Rechte und dann auch für die bürgerliche Gleichstellung. Letztlich scheiterten diese Unternehmungen wie zuvor am Widerstand der Bürgerschaft und des Gremiums der Oberalten. Dieses höchste Bürgerliche Kollegium vertrat die fünf Kirchspiele und hatte bis 1860 eine wichtige Funktion zwischen Senat und Bürgerschaft.
Aber mit Gabriel Riesser hatten die Hamburger und dann auch die deutschen Juden einen Wortführer, der unter dem Motto „Gleiche Rechte – gleiche Pflichten“ für das Recht argumentierte, Jude und Deutscher zu sein. Als 1830 wie bereits 1819 wieder pogromartige Tumulte ausbrachen, die sich gegen die Juden richteten und sich 1835 wiederholten, publizierte er Schriften, die weithin Beachtung fanden. Es wurden jüdische Vereine gegründet, die sich gezielt für die Gleichstellung einsetzten und im Vormärz auch solche mit weiteren politischen Zielsetzungen, in denen sich Juden und Christen gemeinsam engagierten. Eine minimale Verbesserung trat nach dem Großen Brand von 1842 in Kraft, denn Juden durften von da an offiziell Grundbesitz erwerben.
Während dieser Jahrzehnte gelang jüdischen Kaufleuten, Bankiers und Fabrikanten ein wirtschaftlicher Aufstieg, denn im Handel gab es wenig Schranken. Ihre Firmen und Bankhäuser trugen wesentlich zum Ausbau des Hamburger Wirtschaftsstandortes bei. Wohlhabende jüdische Kaufleute sorgten nicht nur mit zahlreichen Einrichtungen für die jüdischen Armen und weitere soziale Zwecke, sie waren auch als Mäzene für die Gesellschaft und Kultur tätig und nahmen teil am öffentlichen Leben. In der entstehenden jüdischen Oberschicht ergriff die jüngere Generation zunehmend akademische Berufe. Keine Hindernisse gab es für den ärztlichen Beruf, und der Anteil der jüdischen Ärzte sollte ein herausragend hoher werden. Noch ausgeprägter sollte der Berufsstand der Juristen werden, wobei hier bis zur Jahrhundertmitte noch erhebliche Auflagen existierten. Für jüdische Künstler hingegen gab es vielfältige Möglichkeiten. Ihr Anteil in der darstellenden und bildenden Kunst wie in der Musik war erheblich, und jüdische Direktoren leiteten große Hamburger Bühnen. Jüdische Schriftsteller publizierten für die jüdische und die allgemeine Leserschaft.
Als dann im Zusammenhang mit der Märzrevolution am 23. Februar 1849 die „Provisorische Verordnung behufs Ausführung des § 16 der Grundrechte des deutschen Volkes in bezug auf die Israeliten“ rechtsgültig wurde, konnten auch Juden das Hamburger Bürgerrecht erwerben.
Literatur:
Brämer, Andreas: Judentum und religiöse Reform. Der Hamburger Israelische Tempel 1817-1938, hg. v. der Stiftung Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg 2000 (Studien zur jüdischen Geschichte; Bd. 8).
Die Hamburger Juden in der Emanzipationsphase (1780–1870), hg. v. Peter Freimark und Arno Herzig, Hamburg 1989 (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden; Bd. XV).
Die Juden in Hamburg 1590 bis 1990. Wissenschaftliche Beiträge der Universität Hamburg zur Ausstellung „Vierhundert Jahre Juden in Hamburg“, hg. v. Arno Herzig, Hamburg 1991.
Steckmest, Sylvia: Salomon Heine. Bankier, Mäzen und Menschenfreund; Die Biographie eines großes Hamburgers, Hamburg, 2017.
Zimmermann, Mosche: Hamburgischer Patriotismus und deutscher Nationalismus. Die Emanzipation der Juden in Hamburg 1830-1865, hg. v. der Stiftung Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg 1979 (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden; Bd. 6).
Bildnachweise:
Abb. Titelfeld: Ph. Winterwerk, Gabriel Riesser, 1849 (Ausschnitt), Foto: SHMH/Museum für Hamburgische Geschichte.
Abb. Thementext: Das Innere des neuen Israelitischen Tempels in Hamburg 1844, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, aus AH C,53 / Jüdischer Geistlicher um 1847, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, aus aus Scrin A/135 / Riesser-Porträt: Ph. Winterwerk, Gabriel Riesser, 1849, Foto: SHMH/Museum für Hamburgische Geschichte. / Herzfeld-Porträt: Friedrich Carl Gröger, Jacob Herzfeld, 1826, Foto: SHMH/Museum für Hamburgische Geschichte.