Angela Schwarz
Ausschreitungen gegen jüdische Hamburger im Vormärz
Wie im übrigen Deutschland auch mußten die Juden in Hamburg nach 1815 die Hoffnungen auf eine rechtliche Besserstellung aufgeben. Erst im Zusammenhang mit der Märzrevolution von 1848/49 sollten sie die bürgerliche Gleichstellung erlangen. Der Weg dahin verlief in einem Zickzackkurs und wurde immer wieder ausgebremst, nicht zuletzt durch die wiederholt ausbrechenden Unruhen in der Stadt.
Als es am 2. August 1819 in Würzburg zu Gewaltexzessen gegen Juden kam, verbreiteten sich diese unter dem Schlachtruf „Hep-Hep“ in Deutschland und bis in das benachbarte Ausland hinein. Den Weg hierfür hatten antijüdische Schriften und eine sich verbreitende christlich-nationale Geisteshaltung geebnet, die ergänzt von religiös, sozial und ökonomisch motivierten Vorurteilen den Nährboden für den ausbrechenden Judenhass darstellten.
Dreimal kam es in Hamburg zu mehrtätigen gewaltsamen Unruhen, die ihren Anfang jedes Mal in den Kaffeehäusern am Jungfernstieg nahmen. Diese wurden auch von jungen assimilierten Juden als Ausdruck eines bürgerlichen Lebensstils besucht, womit sie zur Zielscheibe judenfeindlicher Aggression wurden. Den Hintergrund der Krawalle in der Hansestadt stellten die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Spannungen dar, die sich aus den kaum vereinbaren veralteten Regierungsverhältnissen mit neuen Wirtschaftsstrukturen ergaben. Im Gegensatz zu den Großkaufleuten hatten sich die Handwerker wie die kleinen und mittleren Kaufleute noch nicht von den Folgen der Franzosenzeit erholt, und Armut war weit verbreitet. Juden stellten für diese Gruppen die Sündenböcke dar, wozu auch antijüdische Ressentiments wesentlich beitrugen, die auch in der lutherischen Amtskirche vorhanden waren. Dabei war die Mehrheit der jüdischen Einwohner ebenso von Armut betroffen, was durch die ihnen auferlegten zahlreichen Beschränkungen noch verstärkt wurde.
Am Abend des 19. August 1819 wurden jüdische Kaffeehausbesucher von anderen Gästen beleidigt und gewalttätig vertrieben. Daran entzündeten sich mehrtägige Unruhen, die sich in der Stadt ausbreiteten. Antijüdische Flugblätter mit Parolen wie „Hepp-Hepp – Jude verreck“ wurden gefunden, die Fensterscheiben der Häuser jüdischer Kaufleute wurden eingeworfen, und es kam zu tätlichen Übergriffen. Als sich dann junge Juden zur Wehr setzten, spitzte sich die Lage weiter zu, und ein gewaltbereiter Mob zog randalierend durch die Straßen [Quelle 1].
Erst spät wurden Infanterie und Kavallerie und schließlich auch das Bürgermilitär zur Beruhigung der Lage eingesetzt. Der Rat verhielt sich insgesamt zögerlich und gab am 26. August mit dem erneuerten Tumultmandat von 1796 indirekt den Juden eine Mitschuld an den Ereignissen, obwohl sie die Opfer waren [Quelle 2]. Diese zeigten sich enttäuscht über die fehlende Unterstützung des Rates und verwahrten sich gegen die Unterstellung, dass die Unruhen von jüdischer Seite ausgegangen seien. Die Oberalten und die im Krameramt organisierten Kaufleute nahmen die Ereignisse hingegen zum Anlaß, ihre jeweiligen Interessen vorzubringen und weitere Einschränkungen für Juden zu verlangen. Darauf reagierte der Rat zwar nicht, beendete aber die Beratungen über eine bürgerliche Verbesserung der Juden.
Die daraufhin einsetzende Ruhe war jedoch nicht von Dauer, denn die Julirevolution 1830 in Paris löste wieder antijüdische Ausschreitungen aus, die am 31. August auch auf Hamburg übergriffen. Hier stießen zwar die revolutionären Ereignisse in Frankreich auf Interesse, jedoch hatte sich die soziale Krise für die Kleinhändler, den Mittelstand und das Handwerk durch die Senkung der Einfuhrzölle und steigende Getreide- und Fleischpreise verschärft. Dazu kam, dass sich diese Gruppen durch eine diskutierte neue Zunftordnung, das zunehmende zunftfreie Gewerbe und die modernen Handelsprinzipien bedroht fühlten, und wieder wurden die Juden als Sündenböcke angesehen.
Ausgelöst wurden die Ausschreitungen auch dieses Mal in einem Kaffeehaus am Jungfernstieg. Hier hatten sich Gäste über Juden beschwert, die die französischen Zeitungen lesen und Zigarren rauchen würden, worauf der Inhaber ihnen dann den weiteren Zutritt verwehren wollte. Eine große, gemischte Menschenmenge versammelte sich vor dem Kaffeehaus und mit „Hepp-Hepp“-Parolen wurden die jüdischen Gäste gewalttätig herausgetrieben. Die Stimmung spitzte sich weiter zu, bis sie dann plötzlich umschlug. Denn als zur Verteidigung einiger bedrängter Polizeidiener Ulanen mit Waffen gegen die große Ansammlung vorgingen, wandte sich diese gegen Militär und Polizei und letztlich damit gegen die Regierung.
Die Ausschreitungen verlagerten sich in Richtung Hamburger Berg (St. Pauli), und Matrosen schlossen sich der aufgebrachten Menge an. Die Lage drohte zu eskalieren, der Ausnahmezustand wurde verhängt und Verhaftungen durchgeführt. Erst nachdem das Militär energisch einschritt und es zu Verletzten und auch Toten gekommen war, beruhigte sich die Lage am 5. September.
Jüdische Aktivitäten verlagerten sich dann neben sozialen Anliegen auf die politische Ebene. Es wurden Vereine gegründet, und der Jurist Dr. Gabriel Riesser richtete im Namen der Gemeinde Gesuche an den Rat. Seine Forderung nach dem Recht auf Gleichstellung begründete er detailliert und fand mit seinen Schriften ein breites Publikum (Über die Stellung der Bekenner des mosaischen Glaubens in Deutschland. An die Deutschen aller Confessionen. Altona 1831. Denkschrift über die bürgerlichen Verhältnisse der Hamburger Israeliten zur Unterstützung der von denselben an Einen Hochedlen und Hochweisen Rath übergebenen Supplik. Hamburg 1834).
Kleine Verbesserungen wie die, dass auch Juden ein Bankfolium erwerben durften, kamen zwar nur den Großkaufleuten zugute, jedoch wurde die Frage der Gleichstellung in einer dafür vom Rat eingerichteten Kommission wieder diskutiert. Deren Beratungen kamen jedoch nach wenigen Jahren zu einem abrupten Ende.
Erneut brachen am 30. Juli 1835 am Jungfernstieg Krawalle aus, die mehrere Tage für große Unruhe in der Stadt sorgten. Zwei Wirte wollten jüdische Gäste vertreiben und hatte von ihnen überhöhte Preise verlangt, die diese dann jedoch zahlten. Am nächsten Tag sollten die wieder anwesenden jüdischen Gäste mit Gewalt entfernt werden, was dann ebenso wie am darauf folgenden Tag zu Schlägereien mit Verletzten führte. [Quelle 3] Juden wurden auch aus anderen Wirtshäusern vertrieben, und es kam wieder zu Steinwürfen in die Fenster von jüdischen Kaufleuten und Verhaftungen. Erst nach einer Woche beendeten die Behörden mit ihrem Eingreifen die Ausschreitungen.
Wieder spielte der um das internationale Ansehen des Hamburger Handels besorgte Rat die Ereignisse herunter, wobei nun die Gegner wie Befürworter einer Besserstellung der Juden mit Bezug auf die Wirtschaft ihre entgegengesetzten Stimmen erhoben. Die grundsätzliche Frage reihte sich dann in den Jahren des Vormärz in den Katalog der Reformforderungen um eine politische Modernisierung des Staatswesens ein und wurde auch von Christen unterstützt.
Literatur:
Büttner, Anette: Hoffnungen einer Minderheit. Suppliken jüdischer Einwohner an den Hamburger Senat im 19. Jahrhundert, Münster 2003.
Grenville, John A. S.: Jews and Germans in Hamburg. The Destruction of Civilization 1790-1945, London und New York 2011.
Katz, Jacob: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933, München 1989.
Tumulte – Excesse – Pogrome. Kollektive Gewalt gegen Juden in Europa 1789-1900, hg. v. Werner Bergmann, Göttingen 2020 (Studien zu Ressentiments in Geschichte und Gegenwart; Bd. 4).
Zimmermann, Moshe: Die Hep-Hep-Unruhen in Hamburg. Ludolf Holsts Schrift „Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den Handelsstädten“, In: Juedische-Geschichte-Online.net (2017).
Bildnachweise:
Abb. Titelfeld: aus: Ludolf Holst, Über das Verhältnis der Juden zu den Christen in den Handelsstädten, Leipzig 1818. Titelblatt einer antijüdischen Schrift eines Hamburger Wirtschaftsexperten.
Abb. Thementext: Jungfernstieg 1814, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-05 / Bürgermilitärparade um 1800 (P. Suhr), Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, aus KS 1025/17s (Teil I, Bl. 21) / Seeleute um 1847, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, aus aus Scrin A/135 / Riesser-Porträt: Ph. Winterwerk, Gabriel Riesser, 1849, Foto: SHMH/Museum für Hamburgische Geschichte.