Glaube und Zweifel – Beginn der Reformation

Silke Urbanski

Eine Stadt frommer Bürger

Hamburg war vor der Reformation eine Stadt der Heiligen Jungfrau Maria. Der Dom hatte sie als Patronin, ebenso war ihr bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts eine Kapelle am Hafenausgang  gewidmet und bis zu seinem Abbruch das Nonnenkloster Harvestehude vor den Toren der Stadt. An Straßenkreuzungen und als Hausverzierungen fand man Statuen der Gottesmutter.

Auch noch nach der Reformation prägte der Dom bis ins frühe 19. Jahrhundert Hamburgs Stadtbild

Zusätzlich zu  der Verehrung der Jungfrau existiert bis zur Reformation ein vielfältiges religiöses Leben. Das Regiment über Kirche und Glauben sollte das Domkapitel innehaben. Es bestand aus zwölf Domherren, die in Hamburg den Erzbischof vertraten, fast ersetzten. An ihrer Spitze stand der Domdekan. Der Domprobst verwaltete die Geschäfte der Hamburgischen Kirche, und der Domscholastikus hatte die Aufsicht über alle Lehranstalten der Stadt.

Die Domherren waren die höchsten Geistlichen der Stadt. Sie hatten großen Einfluss auf die Besetzung der Pfarrstellen. Aber sie übten nicht nur ihre angestammten Aufgaben aus – viele von ihnen häuften Ämter und Pfründe  an und vernachlässigten ihre Pflichten.

Neben der Domkirche gab es in Hamburg vier Hauptkirchen, deren Schiffe und Türme das Stadtbild prägten. „Sankt Petri de Rieken, Sankt Nikolai desglieken, Sankt Catharinen de Sturen, Sankt Jacobi de Buren.“  lautete ein Vers aus dem 18. Jahrhundert.

Die Armut der Bewohner des Jacobi-Kirchspiels gab noch im 19. Jahrhundert Anlass zu Karikaturen

St. Petri und St. Nicolai waren die Kirchspiele der wohlhabenden Kaufleute und Handwerker, in St. Katharinen lebten die Steuerleute, Kapitäne und Schiffseigner, und im ärmeren Jacobikirchspiel fanden sich Gartenland, Gerbereien und Böttcher. Neben den Hauptkirchen mit ihren hohen Türmen fanden sich um 1517  in der Stadt die achteckige Gertrudenkapelle und die Clemenzkapelle am Hafen. In allen Kapellen und Kirchen fand sich eine Vielzahl von Altären. Diese waren oft von Privatpersonen oder Brüderschaften gestiftet worden. Zur Stiftung gehörte auch die Pfründe für einen Vikar oder Kommendisten, einen niederen Geistlichen, der dort die Messe hielt.

Brüderschaften waren Verbindungen von Menschen, die ein ähnliches Anliegen hatten. Dies konnte der Beruf sein oder die Unterstützung einer geistlichen oder wohltätigen Stiftung. Die Brüder und Schwestern feierten gemeinsam religiöse Feste und sorgen für die Pflege und die Grablegung der Mitglieder der Brüderschaft. In Hamburg gab es über hundert Brüderschaften. Im Jahrzehnt vor der Reformation nahm jedoch die Bereitschaft ab, eine Brüderschaft zu gründen.

Grabstein der Familie von dem Holte

Die Hamburger haben bis kurz vor der Reformation den Bau und den Erhalt ihrer Kirchen und Hospitäler gestiftet und ihre Grablege dort gefunden. Allerdings waren sie nicht unkritisch gegenüber der Geistlichkeit. Das Ehepaar Geseke und  Jacob vom Holte erwarb 1511 eine Grablege im Dom und ließ vor Gesekes Tod 1516  einen Grabstein mit  einem Dudelsack spielenden Esel anfertigen. Die Spruchbänder sagen: Die Welt hat sich so umgekehrt, da hab ich armer Esel das Dudelsackspielen gelernt. Sicherheit scheinen nur die Evangelisten zu bieten, deren Embleme den Rahmen um das Bild herum halten.

Neben den Kirchen und den Kapellen gab es zwei Bettelordensklöster in der Stadt. Die Franziskaner hatten sich um 1230 in der Stadt angesiedelt und bei der Aufstauung der Alster geholfen. Die Bettelmönche begleiteten Fischer zur See, pflegten Kranke und begleiteten Verurteilte zur Hinrichtung. In ihrem Kloster galt Asylrecht für alle. Die Dominikaner im 1236 geründeten Johanniskloster legten den Schwerpunkt auf Bildung und Predigten.

Neben den Männerklöstern fand sich in der Stadt das Haus der Beginen. Dies waren  Frauen aus der Mittelschicht, die in Gemeinschaften ein religiöses, eheloses Leben führten. Sie legten keine Ordensgelübde ab und waren nicht auf ihr Haus beschränkt, anders also als Nonnen, die das Kloster nicht verließen. Beginen konnten, zum Beispiel im Falle einer Eheschließung, die Gemeinschaft verlassen. Die Hamburger Beginen lebten in einem Haus an der Steinstraße, besaßen einen Apfelgarten und speicherten ihr Korn unter ihrem Dach. Sie arbeiteten als Krankenpflegerinnen und Totenwächterinnen. Zudem betrieben sie in ihrem Haus eine kleine Schule für die Töchter Hamburger Handwerker und Krämer, Händler und Kaufleute. Für ihre Bildung und Erbauung verfügten sie über eine kleine Hausbibliothek, und sie verfassten religiöse Abhandlungen.

Harvestehuder Alraune Staphorst 4 S 156a schmal

Harvestehuder „Kohlwurzel“

Vor den Toren der Stadt lag das Kloster Harvestehude. Dort lebten fünfzig bis sechzig Nonnen nach der Zisterzienserregel. Sie sollten ihr Kloster nicht verlassen und gelobten Jesus ewige Treue. Die meisten Nonnen des Klosters waren Töchter Hamburger Kaufleute und Handwerker. Sie verbrachten ihren Tag mit Gebeten, mit Krankenpflege und der Ausbildung junger Mädchen aus dem niederen Adel und der Hamburger Oberschicht.

Im Jahre 1482 wollte der Erzbischof von Hamburg-Bremen eine Reform des Klosters erzwingen. Hamburger Bürger verhinderten dies durch massiven Protest. Dieser Protest  war ein Vorspiel zu einem Aufstand der Ober-und Mittelschichten gegen den Rat, in dem es hauptsächlich um Mitspracherechte ging. Doch übernahm der Rat 1483 die Aufsicht und den Schutz der Nonnen. Im selben Jahr stellten die Nonnen eine außergewöhnliche Reliquie in ihrer Kirche aus: Eine Kohlwurzel in Form des gekreuzigten Jesus, die angeblich durch Reliquienzauber entstanden sein soll. Frauen, die schwanger werden wollten, pilgerten zum Kloster, um die Reliquie zu verehren.

Bis in das erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts hinein ist die Frömmigkeit der Hamburger intensiv. Sie sind stetig um Mitwirkung und Mitbestimmung in Fragen der Religionsausübung bemüht. Vorreiter sind dabei die Juraten oder Kirchgeschworenen, gewählte Vertreter der Kirchengemeinden, die die Interessen der Gemeindemitglieder vertreten. Sie sollten darauf achten, dass das Vermögen der Gemeinde nicht verschwendet wird. Oft waren es vermögende Bürger aus dem Kirchspiel.

Sie waren es, die an vorderster Stelle die Verfehlungen der Geistlichkeit bemerkten. Kirchenschätze verschwanden, das Geld der Gemeinde wurde entfremdet, und viele Geistliche hatten eine Geliebte.

Gegen diese Misstände versuchte auch der Domdekan Albert Krantz vorzugehen. Krantz war ein hochgeachtete Theologe, Jurist und Historiker, aber  aber er konnte keine großen Veränderungen bewirken. Er starb 1517, als die ersten Nachrichten von Luthers Reformation in die Stadt drangen.

Gleichzeitig mit ihm war Heinrich Banskow im Domkapitel tätig.  Er lebte das aus, wogegen sich Krantz gewendet hatte und was die Laien an den Klerikern kritisierten: Er hatte Kinder mit seiner Haushälterin, und er häufte Ämter und Reichtum an. In päpstlichem Auftrag förderte er den Ablansshandel und bereicherte sich daran. Schwerwiegender war, dass er kein offenes Ohr für die Belange der Bürger hatte. Er löste einen Streit um das Schulwesen aus, welcher die Hamburger Reformation einläutete.

Esel mit Dudelsack

Esel mit Dudelsack

Mit großer Wahrscheinlichkeit brachte die Verärgerung über die Übertretungen der Geistlichen und die Unsicherheit über ihre christliche Lehre 1516 das Ehepaar vom Holte dazu, ihre Grablege im Dom mit einer Platte zu versehen, die einen Esel zeigt, der Dudelsack spielt. Das Spruchband sagt: Nun hat sich die Welt sich so umgekehr, da habe ich armer Esel das Pfeifen gelernt. Den Rahmen für das Bild halten Embleme der vier Evangelisten. Der letzte Halt: Das neue Testament?

Der Umstand, dass die Reformation in Hamburg vor allem durch Bürger und Kirchspielvertreter durchgesetzt wurde, die alles ans Werk setzten, um den Rat zu überzeugen, mag daher kommen, dass die Hamburger ihre Religiosität tief und ernsthaft empfanden.

 

Grundlegende Literatur:

Andermann, Ulrich: Albert Krantz. Wissenschaft und Historiographie um 1500, Weimar 1999 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte; Bd. 38).

Die Reformation in Hamburg 1517-1528, Gütersloh 1986 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte; Bd. 52).       

Reincke, Heinrich: Hamburg am Vorabend der Reformation; Aus dem Nachlass herausgegeben, eingeleitet und ergänzt von Erich von Lehe, Hamburg 1966 (Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs; Bd. 8). 

Röckelein, Hedwig: Marienverehrung im mittelalterlichen Hamburg, in: Die Kunst des Mittelalters in Hamburg. Aufsätze zur Kulturgeschichte, hg. v. Volker Plagemann. Hamburg 1999 S. 119-128.

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: „Esel mit Dudelsack“ (Grabstein von dem Holte, Ausschnitt), Stich von 1537, StAHH 720-01_287-07.

Abb. Thementext: Domkirche um 1800 (Peter Suhr), nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hamburg.Domkirche.1800.jpg?uselang=de) / Karikatur auf den Turmhelm von St. Jacobi, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jacobiturm_1825_Karikatur_001.jpg) / Grabstein von dem Holte (Detail), nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Museum_fuer_HH-Geschichte_Esel_Brunswyk.JPG) / Harvestehuder „Kohlwurzel“ aus: Staphorst, Nicolaus: Historia Ecclesiae Hamburgensis diplomatica, das ist: Hamburgische Kirchen-Geschichte T. I, Bd. 4, 1731, Hamburg 1723-1731, S. 156a. / „Esel mit Dudelsack“ (Grabstein von dem Holte), Stich von 1537, StAHH 720-01_287-07.