Schule in der Nachkriegszeit

Reiner Lehberger

Mit der Kapitulation der Hansestadt am 3. Mai 1945 übernahmen die Briten eine in weiten Teilen bis auf die Grundmauern zerstörte Stadt. Sie fanden eine desillusionierte und apathische Bevölkerung sowie ein ma­teriell und von der geistigen Substanz her darniederliegendes Schul- und Erziehungswesen vor. Von den ehemals 463 Schulgebäuden der Stadt waren nur 39 % unbeschädigt geblieben, 21 % waren total zerstört, 26 % so schwer beschädigt, dass sie kaum mehr benutzbar waren.

Schulweg durch Trümmerfelder – für Hamburger Kinder in der Nachkriegszeit Normalität

Im Kerngebiet der Stadt war die Situation allerdings noch wesentlich schlechter. Hier gab es ganze Bezirke, in denen nicht ein einziges unzer­störtes Schulhaus mehr vorhanden war. Die Schulraumnot wurde in der Stadt noch dadurch verschärft, dass viele Schulen für diverse Zwecke (Lazarette, Unterkunft für Flüchtlinge und Besatzungssoldaten) fremd­genutzt werden mussten. Besonders problematisch wurde die Situation dadurch, dass sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler in einem unerwartet rasanten Tempo entwickelte. Innerhalb von eineinhalb Jahren verdoppelte sich ihre Zahl, von 95.000 im November 1945 auf 186.000 im April 1947 im Volks- und Oberschulbereich.

Vor allem im Volksschulwesen konnte die Zahl der Lehrerinnen und Lehrer nicht in der notwendigen Weise der wachsenden Schülerschaft ange­passt werden. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis betrug im September 1945 1 : 48, im April 1949 1 : 43.

Raum- und Lehrermangel waren nur durch die Einführung des soge­nannten Schichtunterrichts zu kompensieren. Es wurde vor- und nach­mittags unterrichtet, an manchen Schulen sogar in drei oder vier Schichten.

Bedingt durch die schwierige Wohn- und Ernährungslage war der Gesundheitszustand von Lehrer- wie Schülerschaft gleicherma­ßen schlecht. Hätte es nicht die englische, schwedische und amerikani­sche Schulspeisung gegeben, so wäre die Situation noch erheblich dra­matischer gewesen.

Die „Schwedenspeisung“ war für Kinder in den Nachkriegsmonaten oft die einzige Möglichkeit einer warmen Mahlzeit

Als oberstes Ziel ihrer Erziehungspolitik hatten die Briten schon vor 1945 die „re-education“ benannt, ein Begriff, der am besten mit „Umer­ziehung“ zu übersetzen ist. Dabei sollte diese Umerziehung im wesentli­chen von zwei Anforderungen bestimmt werden:

  1. Entnazifizierung und Entmilitarisierung,
  2. Demokratisierung und Schaffung von Rahmenbedingungen für die von den Deutschen selbst zu initiierenden und realisierenden Re­formen.

Die Entnazifizierung wurde durch Fragebogenaktionen und Prü­fungsausschüsse durchgeführt. Nach einer Aufstellung vom Januar 1947 waren bis zu diesem Zeitpunkt etwa 12 % der Hamburger Lehrerschaft aus dem Dienst entfernt worden. Nachdem die Entnazifizierungsver­fah­ren im Laufe des Jahres 1946 allerdings mehr und mehr in deutsche Verantwortung übergegangen waren, wurden viele der vorher ausge­sprochenen Suspendierungen wieder aufgehoben. Ab 1948 wurden keine neuen Verfahren mehr durchgeführt.

Die in Hamburg durch die Wahl von 1953 bewirkte Rückkehr zum alten dreigliedrigen Schulsystem wurde bundesweit 1955 durch das Düsseldorfer Abkommen der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) bestätigt. Festgeschrieben wurde das dreigliedrige System mit Volks-, Mittelschule und Gymnasium. Auch in Hamburg wurde nun die „Mittelschule“ eingeführt, im Prinzip war dies aber nichts weiter als ein neuer Name für die ehemalige „Technische Ober­schule“. Als Schulform blieb sie weiter im Verbund mit der Volks­schule bestehen. Als nach den Bürgerschaftswahlen von 1957 die SPD erneut den Se­nat stellen konnte, blieb die Struktur des Schulsystems unangetastet.

Ferienfahrten ins Hamburger Umland waren in den späten 1950ern wieder möglich

Wie bescheiden inzwischen die Reformwille geworden war, lässt sich daran ermessen, dass in der 1960 erschienenen Schrift „Schule und Universität – Spiegel der Zeit“ die Einführung von zwei Versuchsklassen des 10. Schuljahres sowie die Erprobung der Fünf-Tage-Woche an vier Schulen als besondere Reformvorhaben gewürdigt wurden. Nicht unbeachtet bleiben darf jedoch der erhebliche materielle Ein­satz für den Wiederaufbau des Schulwesens. Zwischen 1949 und 1960 wurden 125 neue Schulen gebaut, viele Schulen wurden ausgebessert und instandgesetzt. Die neuen Schulen entstanden oft als „Schule im Grünen“, die meisten auch nach dem Prinzip der „wachsenden Schule“, d.h. sie boten die Möglichkeit einer flexiblen Erweiterung bei steigenden Schülerzahlen.

Auszug aus: Lehberger, Reiner; deLorent, Hans-Peter: Schulen in Hamburg – Ein Führer durch Aufbau und Geschichte des Hamburger Schulwesens, Hamburg 2012.

Grundlegende Literatur:

Düben, Michael; Hartwig, Michael: Die Entwicklung des Hamburger Schulwesens in den Jahren 1945-1949. Hamburg 1980. [Diplomarbeit, Hochschule der Bundeswehr Hamburg].

Lehberger, Reiner: Schule zwischen Zerstörung und Neubeginn 1945-1949. Geschichte–Schauplatz Hamburg. Hamburg: Amt für Schule 1995.

Lehberger, Reiner; Wendt, Joachim: Bibliographie zur Hamburger Schulgeschichte 1529 bis 1945. Hamburg 2007.

Seitz, Paul; Dressel, Wilhelm (Hg.): Schulbau in Hamburg 1961. Hamburg 1961.

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Kinder zwischen Kriegstrümmern (Ausschnitt), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_283-05=01_1946.1.

Abb. Thementext: Kinder zwischen Kriegstrümmern, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_283-05=01_1946.2 / Schwedenspeisung, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-07=1946_009 / Essen im Klassenzimmer, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_221-07=1946_008 / Sommerferienprogramm 1959, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_283-05=01_1959_1.