Ein Nonnenkloster vor den Toren der Stadt

Silke Urbanski

Klöster als Weg zu Gott

Hamburg war im unter der dänischen Herrschaft nach 1202 zu einer Stadt geworden, Altstadt und Neustadt waren zusammengewachsen. Es fehlten aber die Klöster. Klöster gehörten unabdingbar zum mittelalterlichen Leben, da sie den Weg in ein Leben für Gott ebneten, die vita contemplativa, das Leben abseits der Welt. Klöster boten diesen Weg für alle Menschen, nicht nur diejenigen, die wohlhabend waren. In den Klöstern konnten Bildungshungrige studieren, Gottessucher beten und Menschen, die nicht lesen konnten, als Drittordensleute leben und arbeiten. Laien konnten in ihren Hospitälern und Gasthäusern ihren Lebensabend verbringen.

Graf Adolf IV. als Adliger und Mönch – Seine Frau Heilwig gründete das Nonnenkloster „Im Frauenthal“

Zwei der Hamburger Klöster haben ihre Gründung dem Ende der Dänischen Herrschaft zu verdanken. 1227 besiegte Adolf IV. von Schauenburg den dänischen König Waldemar und erhielt so die landesherrlichen Rechte über die Stadt zurück. Da er glaubte, dass die Heilige Maria Magdalena ihm den Sieg geschenkt habe, gründete er in seinen Landen etliche Klöster, 1227 auch das Marien-Magdalenen-Franziskanerkloster. Auf dem Schlachtfeld hatte Adolf  IV. geschworen, Mönch zu werden, wenn seine Truppen gewönnen. Dieses Versprechen machte er wahr. Zeitweilig lebte er auch im Hamburger Franziskanerkloster. Seine Gattin Heilwig folgte ihm auf diesem Weg. Sie gründete vor den Toren der Stadt das Zisterziensernonnenkloster „Im Frauental“, gewidmet der Heiligen Maria. 1236 kamen auch Predigermönche, die Dominikaner, nach Hamburg. Sie und die Franziskaner durften ihr Kloster verlassen, um zu betteln, zu predigen und Seelsorge zu leisten.

Zisterzienser-Nonnen hingegen waren verpflichtet, ihr Kloster nicht zu verlassen und ihr Leben dort in Arbeit und Gebet zu verbringen. Deshalb musste alles, was sie zum Leben brauchten in der Nähe verfügbar sein. Das Kloster, welches Heilwig gründete, lag in der Nähe der Elbe an einem Ort namens Herwardeshude an einem Flüsschen namens Pepermöhlenbek. Das Flüsschen betrieb eine Mühle. Aber von dort mussten die Nonnen 1293 an die Alster umziehen, und der Name „Harvestehude“ zog mit. Am neuen Ort entstand ein Kloster aus Backstein mit einer Kirche mit Dachreiter, Glocken, bunten Glasfenstern und einer Orgel.

Von der Anordnung der Gebäude des Klosters im heutigen Harvestehude gibt nur noch eine Skizze aus dem späteren 19. Jahrhundert Auskunft

In den mehr als 285 Jahren des Bestands des Klosters kamen die meisten Nonnen aus der Hamburger Oberschicht oder aus Handwerkerfamilien. Es waren zunächst dreissig Frauen, im 15. Jahrhundert dann sechzig und zum Ende ungefähr fünfzig. Die Klosterfrauen schliefen gemeinsam in einem Schlafsaal, dem Dormitorium. Acht Mal am Tag hörten sie die Messe oder beteten.

Der Historiker Cipriano Francisco Gaedechens zeichnete im 19. Jahrhundert noch erhaltene Gegenstände aus dem Nonnenkloster wie dieses Kreuz…

Bis auf zwei Stunden am Tag sollten sie schweigen. Ihre Ernährung war vegetarisch, da sie stets Fastenspeisen essen sollten. Nur manchmal gab es Fisch, welcher im Mittelalter als Fastenspeise galt. Sie arbeiteten im eigenen Garten, in Küche oder Brauhaus, pflegten in ihrem Hospital Kranke und unterrichteten Mädchen aus der Region. Die Landarbeit wurde von Untertanen des Klosters verrichtet. Diese Landleute waren Bewohner der Dörfer, die dem Kloster gehörten, denn das Haupteinkommen des Klosters kam aus Landbesitz. Durch Schenkungen und Käufe erwarb das Kloster zusammenhängenden Besitz an der Alster: Von der Elbe bis nach Poppenbüttel hinauf besaßen die Nonnen Dörfer, Felder und Fischrechte. Zusätzlich besaßen sie Häuser und Brauhäuser in der Stadt und investierten Kapital auf dem Hamburger Rentenmarkt, einer Art sicherem Kreditmarkt. Die Verwaltung der Güter lag bei der Äbtissin und dem Probst des Klosters, welcher von ihr angestellt wurde.

…oder aber den detailreichen Krumstab der Äbtissin – hier neben einem reich verzierten Deckelbecher

Das Kloster hatte enge politische Verbindungen zu den Grafen von Schauenburg und zu vielen der ratstragenden Familien Hamburgs. Es war dem Domkapitel zu Hamburg und dem Erzbischof von Hamburg-Bremen unterstellt, aber die Äbtissinnen konnten sich der Unterordnung weitgehend entziehen.

Durch den Brief einer Verwandten einer Nonne erhalten wir direkten Einblick in das Klosterleben um 1420. Die Klosterregeln wurden inzwischen nicht mehr strikt eingehalten: Einige der Nonnen nahmen Geschenke entgegen, ohne sie zu teilen, einige kochten für sich selbst Gerichte, die nicht den Fastenregeln entsprachen. Sie stellten kunsthandwerkliche Dinge her, verkauften sie und teilten das Geld nicht mit den Schwestern. Derselbe Brief verrät und aber auch, dass die Nonnen Latein lernten und eine Bibliothek hatten. Das Abweichen von der Klosterregel hat der Beliebtheit des Klosters keinen Abbruch getan. In den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts wurde es erweitert und renoviert. Nun konnten fünfzig bis sechzig Nonnen hier Aufnahme finden. Die Aufnahmekosten für eine Nonne betrugen zu jener Zeit 120 Mark, das war das Jahreseinkommen eines Kaufherren.Kloster und Stadt.

Der Reichtum des Klosters an Landbesitz löste 1482 einen Konflikt aus, dessen Auswirkungen bis in die Stadt spürbar waren.  Das Kloster hatte von zwei verarmten Rittern das Dorf Wellingsbüttel erworben. Doch der zukünftige Erzbischof von Hamburg-Bremen hatte das Rückkaufsrecht an diesem Dorf und forderte es nun ein.

Um den weitläufigen Landbesitz des Klosters rund um Hamburg gab es immer wieder Streit

Äbtissin und Probst weigerten sich, das Dorf zurückzugeben. Der Erzbischof antwortete mit der Drohung einer Reform: Äbtissin und Priorin sollten abgesetzt werden, störrische Nonnen würden in andere Klöster verfrachtet, und neue Nonnen sollten das Kloster fromm und getreu der Zisterzienserregel betreiben. Als eine Untersuchungskommission mit Hilfe einiger Ratsherren aus Hamburg zum Kloster hinauszog, trafen sie auf eine großer Menge aufgebrachter Bürger, die vor den Klostertoren protestierten. So wurde zwar die Reform des Klosters Harvestehude verhindert, aber die Wut und die Unzufriedenheit der Bürger waren einer der Auslöser für den Aufstand von 1483 in der Stadt.

Eine Zeichnung der „Harvestehuder Kohlwurzel“ aus dem 18. Jahrhundert

In der Einigung zwischen Rat und Bürgern wurde das Kloster besonders unter den Schutz des Rates gestellt. Zwei Ratsherren sollten die Äbtissin ab nun beraten. Doch als 1482 das Gerücht umging, eine wundertätige, kruzifixförmige, Kohlwurzel sei auf einem Acker bei Eppendorf gefunden worden, handelten die Klosterfrauen eigenständig. Sie ließen für das Wunderding eine Monstranz anfertigen und hofften auf Pilger. Es mag sein, dass etliche Frauen, die um Kindersegen bitten wollten, vor der Kohlwurzel gebetet haben.

Die Zusammenarbeit zwischen Kloster und Stadt verstärkte sich bis zur Reformation. Das Kloster half der Stadt bei der Finanzierung von Befestigungsanlagen und stellte Verbindungen zu den Grafen von Holstein her.

Doch mit der beginnenden Reformation ließen die Spenden und Erbgaben an das Kloster nach. Als die Stadt lutherisch wurde, stritten auch die Nonnen im Kloster über die rechte Auffassung des Christentums.

Johannes Bugenhagen entwarf die neue Kirchenordnung für Hamburg, die das Ende des Nonnenklosters bedeutete

Die Äbtissin Caecilia von Oldessem schrieb an den Rat und bat um einen Gedankenaustausch. Stattdessen wurde dem Kloster ein lutherischer Prediger in die Kirche gesandt, den aber viele Nonnen und vor allem die Landbevölkerung nicht anhören wollten. Die Äbtissin und ein Großteil der Nonnen widersetzte sich der Reformation, auch wenn der Stadtrat und die Bürger 1529 beschlossen, dass Hamburg lutherisch werden sollte.

Der Widerstand der Klosterfrauen führte dazu, dass die von Bugenhagen entworfene Kirchenordnung nicht in Wirkung treten konnte. So sandten am 2. Februar 1530 Kirchspielbürger einen Bautrupp nach Harvestehude hinaus und ließen das Kloster abreißen. Die Nonnen wurden in die Stadt gebracht. Ihr Kirchenschmuck und die Wertgegenstände sowie die Urkunden beschlagnahmte der Rat.

Auch wenn einige Nonnen heirateten, wollten zwanzig von ihnen beieinander bleiben. Mühselige Bemühungen der Äbtissin führten dazu, dass sie im leerstehenden Dominikanerkloster St. Johannis unterkamen.

Die Jungenschule des Johanneums und das in ein Wohnstift umgewandelte Nonnenkoster blieben bis ins 19. Jahrhundert in den Räumlichkeiten des alten Johannisklosters

Sie teilten es mit der neueingerichteten Jungenschule, dem Johanneum. Bis zu ihrem Lebensende bemühte sich Caecilia von Oldessem um die Verbesserung der Wohnbedingungen, die Rückgabe der Wertgegenstände und vorallem um das Wiedererlangen der Hohheit über ihre Ländereien. Sie schaltete sogar die Grafen von Schauenburg-Pinneberg ein.

Auch wenn ihrem Kampf kein Erfolg beschieden war, erreichte sie immerhin, dass das aus dem Kloster Harvestehude hervorgegangene Damenstift St. Johnniskloster wohlhabend und geachtet blieb. Es existiert bis heute.

Gerhard Theuerkauf gewidmet

 

Literatur:

Först, Elke: Hamburgs verschwundene Klöster im Spiegel der historischen und archäologischen Überlieferung, in: Lübecker Kolloquium zur Stadtarchäologie im Hanseraum; Bd. 9: Die Klöster, hg. v. Manfred Gläser und Manfred Schneider, Lübeck 2014, S. 199-212.

Reincke, Heinrich: Hamburg am Vorabend der Reformation; Aus dem Nachlass herausgegeben, eingeleitet und ergänzt von Erich von Lehe, Hamburg 1966 (Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs; Bd. 8). 

Urbanski, Silke: Die Geschichte des Klosters Harvestehude – In Valle Virginum, Münster ²2001 (Veröffentlichungen des Hamburger Arbeitskreises für Regionalgeschichte; Bd. 10).

Dies. und Reiche, Axel: Immer Ärger mit den Nonnen. Zur Geschichte des Klosters Harvestehude bei Hamburg; Nahaufnahme Geschichte für die Sekundarstufe I; hg. v. Amt für Schule Hamburg, Hamburg 1995.

Vollmers, Peter: Die Hamburger Pfarreien im Mittelalter. Die Parochialorganisation der Hansestadt bis zur Reformation, Hamburg 2005 (Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs; Bd. 24).

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Reste des Klosters Harvestehude im 19. Jh. (C. F. Gaedechens, Ausschnitt), nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Karte_kloster_herwardeshude.jpg).

Abb. Thementext: Kenotaph von Adolf IV. (J. C. Patenti/H. M. Winterstein/Kollage von S. Urbanski), Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN637381416 (CC BY-SA 4.0) / Reste des Klosters Harvestehude im 19. Jh. (C. F. Gaedechens), nach Wikimedia Commons (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Karte_kloster_herwardeshude.jpg) / Kreuz, aus: Gaedechens, C. F.: Die Altertümer aus dem Kloster Herwardeshude bei Hamburg, in: Von den Arbeiten der Kunstgewerke des Mittelalters zu Hamburg; XI Blatt Abbildungen nebst Erläuterung, hg. v. Verein für Hamburgische Geschichte, Hamburg 1865, S. 3-15, hier Taf. II / Krummstab und Deckelbecher, aus: Gaedechens, C. F.: Die Altertümer aus dem Kloster Herwardeshude bei Hamburg, in: Von den Arbeiten der Kunstgewerke des Mittelalters zu Hamburg; XI Blatt Abbildungen nebst Erläuterung, hg. v. Verein für Hamburgische Geschichte, Hamburg 1865, S. 3-15, hier Taf. I / Besitz des Klosters Harvestehude, Karte [ergänzt] aus: Risch, Hans Gerhard: Die Grafschaft Holstein-Pinneberg. Von ihren Anfängen bis zum Jahr 1640, Hamburg 1986, Karte XXIII / Harvestehuder „Kohlwurzel“ aus: Staphorst, Nicolaus: Historia Ecclesiae Hamburgensis diplomatica, das ist: Hamburgische Kirchen-Geschichte T. I, Bd. 4, 1731, Hamburg 1723-1731, S. 156a / Johannes Bugenhagen, Staatsarchiv Hamburg, StAHH SSAR-PRT-V115102815380_0001 / Akademisches Gymnasium im Johannis-Kloster (Speckter & Co.), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_131-06=450_1840_03.