Die Vertreibung der Armen

Birgit Steinke

Davout dezimiert die Bevölkerung

Auch Kranke mussten die Stadt im Dezember 1813 durch das Millerntor verlassen

Der französische General Davout[1] forderte im Oktober 1813 alle Hamburger auf, sich mit Verpflegungsvorräten für sechs Monate zu versorgen oder die Stadt zu verlassen. Er vermutete, dass viele der Hamburger dieser Anordnung nicht nachkommen könnten und sich somit die Bevölkerungszahl von 80.000 auf 16.000 Einwohner reduzieren würde. Für den Belagerungsfall würde die Versorgung der dann eingeschlossenen restlichen Bewohner wesentlich leichter fallen.

Mitte Dezember verließen 4.000 Hamburger, nach einer Frist von zwei Tagen, ihre Stadt und gingen nach Altona. 349 Kinder aus dem Waisenhaus, denen ein Silber-Barren im Wert von 3.750 Mark mitgegeben worden war, wurden nach Eppendorf getrieben. Nachdem in der Neujahrsnacht, auf Davouts Befehl hin, der Krankenhof (Pesthof) niedergebrannt worden war, gelangten zirka 717 Insassen ebenfalls nach Eppendorf.

Am 24. Dezember 1813 ordnete Davout an, alle armen Einwohner, die der Anordnung nicht nachkommen könnten,  in den Hauptkirchen zusammenzupferchen und dann aus der Stadt zu jagen.  Mehr als 20.000 Menschen, unter ihnen viele Kinder, Alte und Kranke, wurden am Morgen des ersten Weihnachtstages 1813 bei klirrender Kälte und Schneefall vor die Stadttore getrieben. Viele starben auf diesem Weg an Hunger, Kälte und Krankheit. Auf einer Wiese bei Ottensen wurden mehrere tausend Opfer in fünfzig Massengräbern begraben.

Altona (links) lag im Gebiet der dänischen Verbündeten Frankreichs. Es wurde daher von der Zerstörung (orange) der Vororte im Umfeld der Hamburger Wälle verschont und nahm deshalb viele aus der Nachbarstadt Vertriebene auf

Viele der Vertriebenen blieben in Altona. 5.600 Menschen wurden dort täglich versorgt. Andere zogen weiter. In Lübeck wurden in fünf unverzüglich eingerichteten Versorgungshäusern 2.631 Hamburger verpflegt. In Bremen wurden im März 1.600 Hamburger, teils in privaten Unterkünften, teils in Kasernen versorgt. Altona teilte 520.000 Portionen Rumfordsche Suppe[2] aus und gab 8.479 Personen Reisegeld. Lübeck reichte 300.870 Speiseportionen. In Bremen gab es für die Männer zwei Pfund Roggenbrot und auf Verlangen der Ärzte für die Frauen und Kinder Weizenbrot. Ansonsten bekamen die Flüchtlinge neben der Rumfordschen Suppe Branntwein, Bier, Butter und zweimal in der Woche Fleisch. Wer irgend konnte, wurde zum Nähen und Matratzenflicken angestellt. Trotz aller Bemühungen der Einheimischen wurden viele der Vertriebenen von Krankheiten heimgesucht.

Die Städte Altona, Bremen und Lübeck bildeten unverzüglich jeweils eine Kommission für die vertriebenen Hamburger. Unter dem Vorsitz von Senator Amandus Augustus Abendroth (1767-1842) wurde die Zentralunterstützungskommission für die vertriebenen Hamburger gegründet.  Unter ihrer Leitung wurden die Einnahmen, die aus verschiedenen Quellen stammten, wie z. B. aus England, vom Kronprinzen von Schweden, aus St. Petersburg und Achangel, aus Helgoland, Berlin und Königsberg u. a. verteilt. Die Hilfsgelder wurden eingesetzt für Speisung, Barzahlungen, zur Unterstützung sämtlicher Kranken-Anstalten, für Begräbniskosten, Bekleidung, den Krankenhof und das Waisenhaus in Eppendorf. Später wurden nach Hamburg zurückgekehrte Verarmte ebenfalls unterstützt.

Jean Baptiste Bernadotte, Kronprinz von Schweden (1763-1844), befahl am 24.12.1813 aus dem Hauptquartier Kiel, dass die männlichen Vertriebenen sich in Oldesloe und Segeberg, später auch in Lübeck sammeln sollten, um für die Befreiung Hamburgs in der Bürgergarde eingesetzt zu werden.

Hinweise:

[1] Louis Nicolas Davout (1770-1823) frz. General, seit 1809 Fürst von Eckmühl; 1811 Generalgouverneur der drei Hanseatischen Departements

[2] Die Rumfordsche Suppe wurde von Benjamin Thompson, Graf Rumford (1753-1814), Arzt und Physiker, entwickelt. Sie bestand aus Kartoffeln, Graupen, Erbsen, Fleisch, Salz, Essig, Brot und Wasser. Mittels dieser Suppe konnten Soldaten, hungernde Bettler und Arme sparsam aber auch nahrhaft versorgt werden.

 

Literatur:

Graßmann, Antjekathrin: „Es bedarf keiner weiteren Schilderung des Elendes. Es war namen- und beispiellos“ – Die Aufnahme der vertriebenen Hamburger in Lübeck 1814. Eine erfolgreiche Form von Krisenmanagement, in: ZHG 83 (1997), S. 323-342.

Huck, Jürgen: Das Ende der Franzosenzeit in Hamburg. Quellen und Studien zur Belagerung und Befreiung von Hamburg 1813-1814, Hamburg 1984 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs; Bd. 24).

Wehrs, Johann Christian Hermann: Hamburg 1813-1814. Erlebnisse eines Siebzehnjährigen, hg. v. Renate Hauschild-Thiessen, Hamburg 1989.

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Franzosen auf dem Jungfernstieg im Dezember 1813 (C. Suhr), Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://digitalisate.sub.uni-hamburg.de/nc/detail.html?tx_dlf%5Bid%5D=7125&tx_dlf%5Bpage%5D=3&tx_dlf%5Bpointer%5D=0&tx_dlf%5Bdouble%5D=0&cHash=77327341a4baa50ca2ebd0af820a10f5 (CC BY-SA 4.0).

Abb. Thementext: Millerntor-Austreibung, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265_05=005 (16) / Hamburg während der Belagerung 1813/1814 (Karten-Ausschnitt), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1 265-5 = 3_1815_1.