Alltag in Hambourg – „Une bonne ville de l´Empire français“

Birgit Steinke

Wirtschaftlicher Niedergang und Repressalien

Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen der französischen Besetzung wurden für die Hamburger Bevölkerung nach dem Einmarsch der französischen Truppen 1806 schnell deutlich.

Beschlagnahmte Waren wurden öffentlich verbrannt

Hamburg unterstand von nun an faktisch der direkten napoleonischen Befehlsgewalt.  Sämtliche Kaufleute und Bankiers mussten innerhalb von 24 Stunden detaillierte Angaben über Waren und Gelder englischer Herkunft machen, die sich in ihrem Besitz befanden, weil am 21. November 1806 die französische Kontinentalsperre ausgerufen wurde. In Hamburg und seinem Gebiet wurden alle englischen Waren versiegelt in Beschlag genommen. Jede Verbindung mit England und der Aufenthalt englischer Privatpersonen in Hamburg wurden untersagt. Bei Missachtung drohten Hausdurchsuchungen und strenge Strafen. Die Mitglieder des English Court, der Niederlassung der englischen Kaufleute in Hamburg, wurden verhaftet. England hatte eine strenge Blockade der Küsten Frankreichs und seiner Verbündeten verhängt, ab 1807 waren auch Schiffe neutraler Herkunft betroffen. Zirka 300 Schiffe lagen abgetakelt[2] im Hamburger Hafen, viele Kaufleute verließen Hamburg, und alteingesessene Handelshäuser verlegten ihren Firmensitz nach London, St. Petersburg oder Göteborg.

Eine zeitgenössische Karikatur bezeugt die Verbreitung des Schmuggels in den Jahren der französischen Besetzung

Die doppelte Handelsblockade führte einerseits allmählich zum Zusammenbruch der Hamburger Wirtschaft, andererseits aber auch zur Entwicklung eines organisierten Schleichhandels mit dem benachbarten Altona, der sich bald insbesondere für die ärmere Bevölkerung zu einem regelrechten Gewerbe herausbildete. Die Leute schmuggelten Waren unter Kleidern und in Gepäckstücken in die Stadt. Weil erwachsene Schmuggler mit einem Todesurteil rechnen mussten, wurden oft Kinder zu dieser Arbeit missbraucht.  Sogar Hund wurden als Schmuggler abgerichtet. Mit einer kleinen Last, die man ihnen um den Bauch band, flitzten sie an den Wächtern vorbei durch die Tore.

Hinzu kam, dass auch das Gewerbe litt: die Zuckersiederei verringerte ihre Betriebe von 400 auf 70, denn der Rohstoffimport englischer Steinkohle blieb aus. Traditionell geführte Kattunwebereien und -druckereien[1] brachen völlig zusammen. Darüber hinaus wurde die hohe finanzielle Belastung für die Verpflegung und Ausrüstung der Soldaten spürbar, und es gab Schwierigkeiten, nicht zuletzt durch Sprachbarrieren, bei ihrer Unterbringung. Denn die Soldaten der napoleonischen Armeen, die oft erst zwischen 16 und 18 Jahre alt waren, kamen aus den unterschiedlichsten Regionen Europas, die durch die Expansionspolitik Napoleons in dessen Machtsphäre eingegliedert worden waren.  Das Leben der Hamburger Bevölkerung wurde täglich überschattet durch Hausdurchsuchungen nach englischen Waren, Beschlagnahme und Verhaftungen. Finanziell belasteten hohe hohe Steuern jeden Haushalt. Bei wohlhabenden wurden zusätzlich Zwangskontributionen durchgeführt. Auch wenn der nun als Gesetz geltende Code Napoléon den Bürgern viele Freiheiten und Gleichberechtigung für Juden, Calvinisten und Katholiken bot, herrschte dennoch keine poltische Freiheit. Neben willkürlicher Pressezensur gab es von nun an nur noch zweisprachige Zeitungen. In den Schulen musste Französich gesprochen werden.

Die Franzosen versuchten die Bevölkerung mit verschiedenen Maßnahmen wie Bällen, Illuminationen, Vogelschießen, Lotterien, freiem Eintritt zum Theater und anderen Volksbelustigungen von diesen Repressalien abzulenken.

Für den Russlandfeldzug Napoleons wurden große Teile der Hamburger Besatzung abgezogen, auch Marschall Davout verließ die Stadt.  Mit den Truppen mussten viele junge Hamburger ziehen, die für Napoleon kämpfen sollten.  Viele von ihnen würden in auf dem Feldzug sterben, denn gegen Napoleon standen nicht nur die russischen Truppen und ihre Verbündeten, sondern auch Eis und Schnee.  Nach der winterlichen Katastrophe, die die napoleonischen Truppen in Russland erlitten,  konnte der russische General von Tettenborn am 18. März in die Stadt einziehen und Hamburg für einige Zeit „befreien“, mit Hilfe von Kosaken- und Tatarentruppen, die großes Aufsehen erregten. Im April erschien vom Hamburger Senat ein Aufruf, dass sich alle männlichen Einwohner zwischen dem 18. und 45. Lebensjahr zur Musterung einfinden sollten. Tettenborns Aufruf hatte allgemeine Begeisterung für die Wiedererlangung der Freiheit des deutschen Vaterlandes hervorgerufen. Bis zum Ende des Monats hatten sich tatsächlich 6.000 Hamburger zur Musterung für die Hamburger Bürgergarde gemeldet.

Durch Spenden ausgerüstet: Freiwillige der „Hamburger Bürgergarde“

Am 21. März bildete sich ein Komitee, um freiwillige Gaben für die Ausrüstung Ärmerer in Empfang zu nehmen. Fräulein Beata Catharina Wilhelmine Behrmann (1782-1862) und Pastor Johann Heinrich Mutzenbecher (1772-1844) riefen die deutschen Frauen und Mädchen auf, die ehrenvolle Unternehmung der Männer und Jünglinge mit der Abgabe eines Schmuckstücks zu unterstützen. Die „höheren“ Töchter sammelten in der ganzen Stadt bei Dienstboten und kleinen Leuten Geld und bekamen 10. 316 Mark von ihnen für die Ausrüstung. Viele folgten ihrem Beispiel. Gesammelt wurde in den Schulen, Ämtern, Genossenschaften, auf dem Stadthause, Selbst in Tettenborns Wohnung wurden Spenden in Empfang genommen. Neben Gold, Denkmünzen, Erbstücken von Vätern, Trauringen, Uhren, Leuchtern, wurden alte Waffen, Pistolen, Säbel, Trompeten und Kessel zusammengetragen. Selbst Stoffe zur Weiterverarbeitung wurden abgegeben. Darüber hinaus fertigten Frauen und Kinder Kokarden, strickten, nähten und stickten z. B. Hanseatische Fahnen. Sophie Henriette Elisabeth von Hostrup, geb. Seyler, stellte sich an die Spitze eines Frauenvereins, um die Arbeiten entgegenzunehmen und sie zu ordnen.

Doch als Davout und mit ihm Marschall Vandamme im Juni vor der Stadt erschien, verließ Tettenborn die Stadt. Ihm folgten viele der freiwilligen Kämpfer der „Hanseatischen Legion“, der Bürgergarde und viele Unterstützer der Befreier.

Die Marschälle Davout und Vandamme (im Hamburger Galgenhumor der Zeit “ Wut und Verdammnis“) verhängten im Juni 1813 den Belagerungszustand über Hamburg. Hamburg und Harburg  sollten zu einem gewaltigen Festungskomplex mit einer Besatzung von 25.000 Mann ausgebaut werden. 4.000 Einwohner wurden zwangsweise für die befohlenen Schanzarbeiten verpflichtet. Für die Baumaßnahmen, bei denen auch Landhäuser von Hamm bis Harvestehude, sowie die Vorstadt Hamburger Berg (Heute St. Pauli) abgebrannt worden waren, wurde massenhafte Obdachlosigkeit in Kauf genommen. Darüber hinaus waren die Lohnzahlungen gering und die Behandlung der Arbeitskräfte schlecht. Nicht nur Hamburger, die an der Organisation der „Hamburger Bürgergarde“ beteiligt waren und die nun die Rache der Franzosen zu fürchten hatten, sondern auch Hamburger, die über finanzielle Mittel verfügten, verließen im Sommer 1813 die Stadt und suchten im benachbarten Holstein ein friedliches Asyl. Alle Einwohner jedoch, die sich nicht mit Lebensmitteln für sechs Monate bevorraten konnten, wurden verbannt. Am ersten Weihnachtstag 1813 wurden 20.000 Hamburger aus der Stadt getrieben. Anfang Januar 1814 schlossen unter General Graf Bennigsen 30.000 Mann einen engen Belagerungsring um Hamburg. Not, Elend und Seuchen brachen in der Stadt aus. Das ehemalige Waisenhaus, 50 große Wohnhäuser und Speicher wurden als Hospitäler hergerichtet, um Hungernde und Kranke zu versorgen. Das Elend hielt bis zum Abmarsch der Franzosen am 31. Mai 1814 an, auch wenn ab dem 25. Mai wieder ein Senat als Regierung eingesetzt wurde.

 

Hinweise

[1] Abtakeln ist das Entfernen von Masten und Segeln und von stehendem und laufendem Gut

[2] Kattunwebereien und -druckereien waren Anstalten, in denen Kattun gewebt und gedruckt wurde. Bei Kattun handelt es sich um ein feinfädiges leichtes Grundgewebe aus Baumwolle.

 

Literatur:

Ahrens, Gerhard: Von der Franzosenzeit bis zur Verabschiedung der neuen Verfassung 1806-1860, in: Hamburg. Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner; Bd. 1: Von den Anfängen bis zur Reichsgründung, hg. v. Werner Jochmann und Hans-Dieter Loose, Hamburg 1982, S. 415-490.

Beneke, Ferdinand: Die Tagebücher Abt. II (1811-1816), hg. v. Frank Hatje u.a. (5 Bde. + 1 Begleitbd.), Göttingen 2016.

Ders.: Die Tagebücher Abt. III (1802-1810), hg. v. Frank Hatje u.a. (6 Bde. + 2 Begleitbde.), Göttingen 2019.

Die französischen Besatzer in Hamburg. Zeugnisse zu den Jahren 1811-1814; Begleitband zur Ausstellung in der Bibliothek der Helmut-Schmidt-Universität, 24. April – 30. Juni 2013, hg. v. Helmut Stubbe-da Luz und Swantje Naumann, Hamburg 2013.

Schmidt, Burghart: Hamburg im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons (1789-1813). 2 Bde., Hamburg 1998.

Stubbe-da Luz, Helmut: Okkupanten und Okkupierte. Napoleons Statthalterregimes in den Hansestädten; 3 Bde., München 2004-2006.

Ders.: „Franzosenzeit“ in Norddeutschland. Napoleons Hanseatische Departements, Bremen 2003.

Wehrs, Johann Christian Hermann: Hamburg 1813-1814. Erlebnisse eines Siebzehnjährigen, hg. v. Renate Hauschild-Thiessen, Hamburg 1989.

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Französische Elbbrücke (C. Suhr), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265_05=003 (6) (Ausschnitt).

Abb. Thementext: Warenverbrennung 1810 (Peter Suhr), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265_05=003 (23) / Kaffee-Schmuggler-Karikatur, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265_05=003 (1) / Uniformen der Hamburger Bürgergarde, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_265-05=005 (2).