Das Freiheitsfest in Harvestehude

Gekürzt und transponiert nach Hans-Werner Engels

Ein Jahr nach dem Sturm auf die Bastille

Am 14. Juli 1790 wurde in Paris der erste Jahrestag des Sturms auf die Bastille mit einem großen Fest gefeiert, dem Konföderations- oder Verbrüderungsfest. Es regnete, aber die Feiernden ließen sich die Laune nicht verderben, sie nannten den Regen „Tränen der Aristokratie“.

In Norddeutschland fand ein ähnliches Fest große Beachtung, das ebenso den „Geburtstag der Revolution“ feierte, diesmal aber in einem Garten im Dorf Harvestehude vor dem Hamburger Dammtor.

Literarische Weiterbildung war im Hamburg der Aufklärung weit verbreitet.

Hamburg und Altona erlebten im 18. Jahrhundert eine Wirtschaftsblüte. Der Handel mit Frankreich, England und Amerika trug reiche Früchte. In Sachen des kulturellen Lebens standen die beiden Städte keiner fürstlichen Residenz nach. Hamburg und Altona waren Zentren der Literatur, des Theaters und der Aufklärung. Altona gehörte zum dänischen Königreich, kannte kaum Pressezensur, und Hamburgs Zensur wurde lax gehandhabt. So blühten Zeitschriften und politische Literatur. In Salons und Gesprächskreisen diskutierten Männer und Frauen über Religions- und Regierungsfragen, über neueste Bücher und natürlich über die Ideen der französischen Revolution.

In diesen Lesekreisen fanden sich verschiedenste Mitglieder der kaufmännischen Oberschicht, aber auch der Mittelschichten: Juden, Christen, Glaubenszweifler, Zugereiste, Ärzte, Literaten, aufstrebende Kunsthandwerker, Lebemänner und weitgereiste Kaufleute. Einer der einflussreichsten Kreise war der um die die Eheleute Sophie und Johann Heinrich Albert Reimarus, und ihre Freunde Georg Heinrich Sieveking und Caspar Voght.

Georg Heinrich Sieveking

Georg Heinrich Sieveking, ein erfolgreicher Kaufmann, hatte die Idee zum Fest. Geschäftlich hatte er gute Beziehungen zu Frankreich und zu den Vereinigten Staaten von Amerika, er kannte also deren politische Umbrüche. Schon seit seiner Jugend hatte er sich für die Aufklärung interessiert. Gemeinsam mit drei Freunden lud er zu dem Fest ein. Einer der Freunde war sein Geschäftspartner Caspar Voght, der sich um das Los der Armen bemühte, dessen Freund Piter Poel, ein Verleger,  war vermutlich auch Gastgeber und dazu noch der Kaufmann Conrad Johann Matthiessen. Sophie Reimarus sollte in Briefen viel über dieses Fest schreiben. Es wird berichtet, dass das Fest in einem Gartengasthaus stattfand, nahe an der Alster. Dreihundert Jahre zuvor hatte dort das Kloster Harvestehude gelegen.  Der Ort war im Sommer frisch und grün, und das Gasthaus war für seine gute Küche bekannt.

Ein Hamburger Paar, gekleidet in der Mode der Revolutionszeit

Ungefähr 80 Gäste kamen der Einladung nach. Männer und Frauen, jung und alt, Hamburger, Altonaer und Zugereiste, Amerikaner und Franzosen. Um 10 Uhr am Morgen trafen sie in Harvestehude ein. Die jungen Frauen waren weiß gekleidet und trugen Schärpen, Kokarden und Bänder in den französischen Nationalfarben. Musik spielte auf, und es wurde getanzt. Immer wieder brachen die Gäste in Jubel aus. Wünsche wurden laut ausgerufen, vor allem, dass bald auch hier solch eine demokratische Revolution stattfinden möge.

Ein Höhepunkt der Geselligkeit war jenes Lied, welches Sieveking für die Gesellschaft gedichtet hatte. Sophie Reimarus schrieb ihrem Bruder: „Die jungen Frauenzimmer stellten sich im halben Kreise, und das Lied, welches ich dir mitschicke, wurde gesungen. Erst sangen wenige im Chor mit, bald aber alle, und es war fast kein Auge ohne Thränen.“  Das Lied  hieß: „Freye Deutsche singt die Stunde“. (Siehe Highlight→)

In das revolutionäre Lied stimmten bald alle ein und waren sehr gerührt .Einige der jungen Frauen veranstalteten eine Geldsammlung für die Armen. Danach las man sich Gedichte vor.

Im späten 18. Jahrhundert in Hamburg als Dichter gefeiert: Friedrich Gottlieb Klopstock

Vor allem der sehr verehrte Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock wurde um den Vortrag von Oden auf die Freiheit gebeten. Der Sechsundsechzigjährige war begeistert von der französischen Revolution. Er trug zwei Oden vor, aber er verbot den Gästen, mitzuschreiben, weil er Angst vor Repressionen durch die Obrigkeit hatte.  Christine Reimarus, die neunzehnjährige Tochter des Arztes Johann Heinrich Reimarus und seiner Frau Sophie behielt die Oden aber nach zweimaligem Hören im Kopf. Sie hat sie später aufgeschrieben. Auch den Liedtext von „Freye Deutsche“ kannte sie ihr Leben lang auswendig.

Um 12.30 Uhr, das war 12 Uhr Pariser Zeit, wurden Böllerschüsse abgefeuert. Es gab eine Mahlzeit, mit vier verschiedenen „Schüsseln“, also Gerichten. Das war für die Verhältnisse der Hamburger Kaufmannsschicht einfach und bescheiden. Beim Essen wurde gescherzt, gelacht, und es wurden Briefchen von Tisch zu Tisch ausgetauscht. Immer wieder wurde Sievekings Revolutionslied gesungen. Ältere Leute machten einen Spaziergang, oder betrachteten von Bänken aus die Alster. Wer konnte, sang und tanzte bis zum Abend. Die Feiernden waren begeistert und erfreut. Viele würden den festlichen Tag nie vergessen. Aber es gab auch Kritiker. In Hamburg lebende Adlige machten Witze über das Fest oder ließen verlauten, dass sie es unpassend und unangemessen fanden.

Etliche Teilnehmer des Festes wurden in den kommenden Jahren durch den weiteren Verlauf der Ereignisse in Frankreich enttäuscht. Nach der Hinrichtung Ludwigs XVI., dem Beginn der Jakobinerherrschaft und dem Terror in Frankreich sahen sie ihre Begeisterung von 1790 mit anderen Augen. Georg Heinrich Sieveking wurde beschuldigt, ein deutscher Jakobiner zu sein und sich über den Tod des französischen Königs gefreut zu haben. Er verfasste eine Schrift, um diesen Gerüchten zu widersprechen. Der verehrte Dichter Klopstock blieb weiterhin Verfechter einer Revolution, aber er lehnte die Jakobinerdiktatur ab.

Nach 1795 litten vor allem die ärmeren Einwohner in Hamburg und Altona unter einer Teuerung von Mieten und Lebensmitteln. Viele französische Emigranten waren auf der Flucht vor den Jakobinern nach Norddeutschland gekommen. Sie brauchten  Unterkunft, Arbeit und Nahrung. Obendrein exportierten Kaufleute die auch in Hamburg und Altona benötigten Nahrungsmittel. Die Wut auf die Jakobiner fand in Altona einen gewaltsamen Ausbruch. Einem Fleischexporteur, der als Befürworter der Jakobiner und der amerikanischen Revolution galt, wurde von der einfachen Bevölkerung Fleisch, Geld und Schmuck gestohlen. Das Raubgut wurde unter die Menge verteilt.

Christine Reinhard, geborene Reimarus. Als Neunzehnjährige besuchte sie das Freiheitsfest

Doch das Freiheitsfest vom 14. Juli 1790 im Harvestehuder Garten blieb vielen im Gedächtnis. Der Dichter Klopstock erinnerte sich 1801 und schrieb: „Ich habe gestern unsre Feyer des 14. auf Harvestehude in Gedanken wiederholt, und sie mir so rein von allem Folgenden vorgestellt, dass ich es keinem Franzosen zugestehe, gestern so vergnügt gewesen zu seyn, als ich es, durch Hülfe jener Reinheit gewesen bin!“[2]  Caspar Voght reiste nach England, um dort die Landwirtschaft zu studieren und nahm nach der Reise einen konservativeren Standpunkt ein. Doch er gründete auf seinem Landbesitz an der Elbe ein Modelldorf, um zu erproben, wie Menschen sich durch die Landarbeit einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen konnten. Kurz vor seinem Tod 1839 diktierte er seine Lebensgeschichte. Er schwärmte darin, er habe bei jenem Gartenfest damals in Anwesenheit der von ihm sehr geliebten Magdalena Pauli – die schönste Zeit seines Lebens durchlebt: „Mit Innigkeit feyerten wir die Feste der Freyheit“[3]. Stinchen Reimarus heiratete 1795 einen republikanisch gesinnten Diplomaten und lebte an verschiedenen Orten in Europa, auch in Paris. 1789 erinnerte sie in einem Brief an ihre Mutter das Fest von 1790 als einen Moment des reinen Glücks. Viele der Teilnehmer waren enttäuscht durch die Jakobinerdiktatur und die Terrorherrschaft, aber sie behielten es mit Freude die ungetrübte Begeisterung für die Revolution, die sie im Jahr 1790 gefühlt hatten  im Gedächtnis.

 

Text gekürzt und transponiert von Silke Urbanski, nach: Hans-Werner Engels: „Freye Deutsche! singt die Stunde…“ . Am 14. Juli 1790 feiert Hamburgs Elite ein Freiheitsfest, Ein Beitrag zur norddeutschen Aufklärung. Auf: http://www.ha-bib.de/debatte/texte/revolutionsfest.pdf, Zugriff am 3.2.2017

 

Zitate:

[2] J. M. Lappenberg , Hg.: Briefe von und an Klopstock. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte seiner Zeit. Braunschweig 1867, S. 427.

[3] Caspar Voght: Lebensgeschichte. Hg. und mit einem Vorwort versehen von Charlotte Schoell-Glass. Hamburg 2001, S. 67.

 

Literatur:

Böttner, Friedrich John: Schillers Hymne an die Freude, Georg Heinrich Sieveking – das Revolutionsfest. Hamburg 1790, in: Quatuor Coronati. Jahrbuch für Freimaurerforschung 26 (1989), S. 35-64.

Gronemeyer, Horst und Weigel, Harald: Paris an der Alster. Die Französische Revolution in Hamburg; Ausstellung Bonn und Hamburg 1989, Herzberg 1989.

Hamburg und die französische Revolution, hg. v. Rainer Postel, Hamburg 1977.

Herzig, Arno: Sozialprotest zur Zeit der Französischen Revolution in Hamburg und in anderen deutschen Städten, in: Das alte Hamburg (1500–1848/49). Vergleiche, Beziehungen, hg. v. Ders., Berlin 1989 (Hamburger Beiträge zur öffentlichen Wissenschaft; Bd. 5), S. 113-134.

Kopitzsch, Franklin: Sieveking, Georg Heinrich, in: Hamburgische Biografie. Personenlexikon (Bd. 1), hg. v. Ders. und Dirk Brietzke, Hamburg (2001), S. 291-293.

Schmidt, Burghart: Hamburg im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons (1789-1813); 2 Bde., Hamburg 1998 (Beiträge zur Geschichte Hamburgs; Bd. 55).

Stieve, Tilmann: Der Kampf um die Reform in Hamburg 1789-1842. Hamburg 1993.

 

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Blick auf die Alster von Harvestehude aus: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, http://resolver.sub.uni-hamburg.de/goobi/PPN_20170207_180659 (CC BY-SA 4.0).

Abb. Thementext: Junge Leserin im Empire-Kleid, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_288-07=50 / Sieveking-Porträt: Pierre Michel Alix, G. H. Sieveking, 1796, Foto: SHMH/Museum für Hamburgische Geschichte. / Paar in Empire-Kostümen, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_288-07=39 / Klopstock-Porträt um 1779 (Jens Juel), nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Friedrich_Gottlieb_Klopstock_1.jpg?uselang=de) / Christine Reinhard, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_215_Re_741.