Ein christliches Begräbnis für eine Jüdin?

Jutta Braden

Zur Problematik der Bestattung verstorbener Portugiesen in Hamburg vor 1612

Am Anfang des 17. Jahrhunderts war das kirchlich-religiöse Leben in Hamburg ausschließlich von der lutherischen Glaubenslehre bestimmt.  Lutherisch geprägt waren nicht nur die Kirchen, sondern auch die Friedhöfe. Grundsätzlich konnten dort nur Verstorbene bestattet werden, die der lutherischen Konfession angehörten. Strittig war daher, wie mit Verstorbenen unter den aus der Fremde zugewanderten Kaufleuten umgegangen werden sollte, die keine Lutheraner, sondern Katholiken oder Reformierte waren. Noch brisanter waren seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert in Hamburg kursierende Gerüchte, dass verstorbene und in der Stadt bestattete Angehörige portugiesischer Familien, die ja offiziell als katholisch galten, heimlich dem Judentum angehangen hätten. Das war zum Beispiel der Fall bei der 1602 verstorbenen Ehefrau des Mediziners Rodrigo de Castro. Dieser genoss in Hamburg hohes Ansehen, weil er sich während einer Pestepidemie 1595 um die Stadt verdient gemacht hatte. Als Anerkennung seiner ärztlichen Leistungen wurde de Castro sogar der Erwerb eines Hauses gestattet, der anderen Fremden verboten blieb.

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Das Marien-Magdalenenkloster 1657

Zu welchen Problemen es im Zusammenhang mit der Bestattung von de Castros im Sommer 1602 verstorbenen Ehefrau kam, geht aus verschiedenen Schriftstücken hervor, die heute im Hamburger Staatsarchiv aufbewahrt werden. Dazu zählen Protokolle der Oberalten, dem Gremium, das die Bürgerschaft gegenüber dem Rat vertrat und das zugleich als Vorsteher des Heilig-Geist-Hospitals und des Marien-Magdalenenklosters fungierte. Aus dem Oberaltenprotokoll vom 3. Juli 1602 ist z. B. zu erfahren, dass die Oberalten eine Bestattung von de Castros Ehefrau auf dem Kirchhof der St. Marien-Magdalenenkirche anfänglich deshalb abgelehnt hatten, weil diese „des Jodendohmes (d.h. Judentumes, d. V.) beschuldiget“ worden sei. Auf Wunsch des Rates wurde die Verstorbene dann doch, allerdings in aller Heimlichkeit im Dunkel der Nacht („by nacht Tyden“), dort begraben.

Einige Wochen später richtete de Castro erneut eine Bitte an das Oberaltenkollegium. Er wollte eine Grabstätte in der St. Marien-Magdalenenkirche für seine gesamte Familie erwerben, eine Bestattungsweise, die angesehenen, wohlhabenden Familien der Stadt vorbehalten war. In dieser Grabstätte sollte dann auch seine verstorbene Ehefrau, die, wie er sagte, als sie lebte, geliebt habe (ihm „im Levende leff gewesen“ sei), umgebettet werden. Wie hoch die Geldsumme war, die de Castro der Kirche dafür zu bezahlen  bereit war, ist unbekannt.

Offenbar war sie aber hoch genug, um mehr als anderthalb Jahre später schließlich die Zustimmung der Oberalten zur Einrichtung einer Grabstätte für die de Castro-Familie in der St. Marien-Magdalenenkirche zu erlangen. Das ist aus einem Protestschreiben der Hamburger Geistlichkeit an den Senat vom 13. April 1604 zu erfahren. Darin empörten sich die Geistlichen darüber, dass Fremden („frembden Gottlosen Secten“) ermöglicht wurde,  Begräbnisplätze („die besten plätze“) in den Kirchen zu kaufen, mit dem aus ihrer Sicht ärgerlichen und für Stadt schimpflichen Ergebnis, dass „Christen und Unchristen“ ohne Unterschied nebeneinander bestattet würden („ohn Unterscheidt durcheinander liegen werden“). So wisse man von dem Arzt Rodrigo de Castro und seiner Familie, brachten die Geistlichen auch vor, gar nicht, welcher Religion sie angehörten, nur, dass es nicht die lutherische sei („[von] dem man nicht weis was er Religion er mit den seinen ist (ohn das man wol weis, das er Unser waren Religion nicht ist, auch sich zu unsern Kirchen gar nicht helt)“).

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Grabornament auf dem Grab der Familie DeCastro (Namias) auf dem Friedhof Königstraße

Bekannt ist, dass sich Rodrigo de Castros Name auf der 1612 erstellten Liste derjenigen Portugiesen findet, die sich damals zum Judentum bekannten. Wie er zu dem Zeitpunkt, als er 1604 für eine prestigeträchtige christliche Bestattung seiner Frau sorgte, zum Judentum stand, ist unbekannt. Sein Bekenntnis zum jüdischen Glauben spätestens 1612 hatte zur Folge, dass er seine christlich bestattete Ehefrau erneut umbetten ließ, und zwar auf den  jüdischen Friedhof an der späteren Königstraße in Altona, den die portugiesischen Juden 1611 erworben hatten.

 

Literatur:

Braden, Jutta: Hamburger Judenpolitik im Zeitalter lutherischer Orthodoxie 1590-1710, hg. v. der Stiftung Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg 2001 (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden; Bd. 23).                             

Die Sefarden in Hamburg. Zur Geschichte einer Minderheit (2 Bde.), hg. v. Michael Studemund-Halévy, Hamburg 1994-1997 (Romanistik in Geschichte und Gegenwart; Bd. 29).

Dietel, Hanns: Rodrigo de Castro (1546 – 1627), berühmtester theoretischer Geburtshelfer Hamburgs, in: Hamburger Ärzteblatt 30 (1976,9), S. 303-304.          

Kruse, Sabine: Rodrigo de Castro (um 1555 – 1630), in: „Mein Vater war portugiesischer Jude …“. Die sefardische Einwanderung nach Norddeutschland um 1600 und ihre Auswirkungen auf unsere Kultur; Ausstellung Lübeck 1992, hg. v. Sabine Kruse und Bernt Engelmann, Göttingen 1992, S. 72-78.

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Grabstein von David (Rodrigo) Namias de Castro auf dem Jüdischen Friedhof Königstraße (Detail: mittleres Bildfeld), Foto Dominik Kloss.

Abb. Thementext: Marien-Magdalenen-Kloster (Ausschnitt aus: Hamburgum, Plan (Jan Janssen)), Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1_131-01164-32. / Grabstein von David (Rodrigo) Namias de Castro auf dem Jüdischen Friedhof Königstraße (Detail: Eckornament), Foto Dominik Kloss.