In den Schilderungen von Clemens Theodor Perthes aus dem Leben seines bedeutenden Vaters, des Buchhändlers und Verlegers Friedrich Perthes, nimmt die Mutter, Caroline Perthes, einen großen Raum ein. Er führt sie bei ihrer ersten Begegnung mit dem Vater ein: „Caroline Perthes, die älteste Tochter des Wandsbeker Boten (Matthias Claudius), war 1774 geboren, also 22 Jahre alt, als Perthes zuerst das Haus der Eltern betrat. “ Perthes verliebte sich sofort, aber, als er im Frühjahr 1797 um Carolines Hand anhielt, war er erst 25 Jahre alt. Er hatte nach einer Buchhändlerlehre in Leipzig und der Mitarbeit in der Hoffmannschen Buchhandlung in Hamburg 1796 zusammen mit zwei Gesellschaftern eine Sortimentsbuchhandlung gegründet. Perthes stand Claudius äußerlich und innerlich sehr fern: „…seine natürliche Offenheit ließ darüber keinen Zweifel, daß in seinem Innern die Kräfte noch ungeordnet und unsicher durcheinander gährten“, schrieb der Sohn Clemens über den Vater und fuhr fort: „Uberdies war Claudius von einer Art von Eifersucht nicht frei. Ihm wurde es schwer, die Tochter aus der eigen Obhut zu entlassen, und nicht ohne Schmerz fühlte er, daß die Tochter einen jungen unerfahren Mann mehr liebe als den Vater.“
Am 02. August 1797 wurde dann doch die Hochzeit gefeiert. Am Tage zuvor schrieb Caroline dem Bräutigam: „Wir wollen Gott nach alter Weise um seinen Segen bitten, und er wird uns nach alter Weise segnen.“ (Brief vom 01. August 1797)
Die ersten Ehejahre ließen den Gegensatz zwischen Caroline, die in Wandsbek ein nach innen gekehrtes Leben in stillem Gottvertrauen geführt hatte, und Perthes, der im Kampf mit Zweifeln und Leidenschaften an allen geistigen und politischen Auseinandersetzungen der Zeit Anteil nahm und aktiv eingriff, scharf hervortreten. Caroline musste sich irritiert fühlen, als sie mit Perthes zog und sich neuen, ihr ganz unbekannten Eindrücken ausgesetzt sah. Sie hatte eine Scheu vor Berührungen mit der Welt, war leicht verwundbar und beunruhigt durch äußere Verhältnisse.
Caroline erhielt bald Gelegenheit, sich auch im äußeren Leben zu bewähren. 1798 waren die Gesellschafter ihres Mannes aus der Handlung ausgeschieden, weil ihnen der Gewinn zu gering erschien. Mit viel Fleiß und Geschick brachte Perthes die Handlung trotz der wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit dem zu Blüte und Ansehen. Im Herbst 1805 kaufte man das Axensche Haus am Jungfernstieg , wo Familie, Geschäft, Lager, Gehilfen und die befreundete Familie von Axen untergebracht wurden.
Der durch den Einfluss ihres Mannes vielfach wechselnde Verkehr mit den verschiedenartigsten Menschen und die wachsende Familie – am 28. Mai 1798 war die Tochter Agnes geboren, gefolgt von dem Sohn Matthias am 16. Januar 1800, der Tochter Louise am 10. Januar 1802 und der Tochter Mathilde am 25. Februar 1804 – stellten an Caroline große Ansprüche.
Das Jahr 1813 brachte für Caroline schmerzlichste Begegnungen mit der Außenwelt. Hamburg war seit 1806 von den Franzosen besetzt, im Dezember 1810 war es Frankreich einverleibt worden. Mit der Niederlage der Franzosen in Russland schien der Zeitpunkt der Befreiung gekommen zu sein. Freudig wurde der russische Oberst Tettenborn begrüßt, als er am 18.März 1813 mit seinen Kosaken in Hamburg einzog. Da man aber die Rückkehr der vertriebenen Franzosen fürchtete, gründete man eine Bürgergarde. An deren Spitze trat Perthes als Stabsmajor, als die Franzosen sich tatsächlich wieder in der Stadt festsetzten und auf eine Belagerung einrichteten. Während er Tag und Nacht kämpfte und die Bürger motivierte, versuchte Caroline zu Hause die Not zu lindern: „Ich hatte keinen Mann mehr im Hause, alle waren auf den Wachen. Immer aber gingen Leute aus und ein, die essen und trinken wollten; denn keiner unserer Bekannten hatte in der Stadt noch eine Haushaltung. Unsere große Stube hatte ich mit Strohsäcken belegt, auf denen bei Tag und Nacht Bürger lagen, die sich ausruhen wollten.“ Erst als die Lage fast hoffnungslos war, ging Caroline am 28. Mai mit ihren Kindern nach Wandsbeck. Doch auch von hier mussten sie fliehen, nachdem Tettenborn die Stadt verlassen hatte und die Franzosen kurz vor Wandsbek standen. Perthes beschwor die Familie, nach Nütschau, dem Gut seines Freundes Moltke, zu gehen, und floh selbst in die Nacht hinein.
Die schwangere Caroline packte noch in derselben Nacht und machte sich am Morgen mit ihren sieben Kindern und der Amme auf den Weg. Die Schwester Auguste begleitete sie. Als Perthes in Nütschau zu ihnen stieß, erreichte sie die Nachricht, dass das Haus am Jungfernstieg durchsucht worden sei. Nütschau war zu nahe, man musste weiter fliehen, fand auf dem bei Eckernförde gelegenen Gut Altenhof bei dem Grafen Reventlow freundliche Aufnahme. Der Graf stellte der Familie Perthes sein einsam an der Ostsee gelegenes Gartenhaus in Aschau zur Verfügung.
Die Perthes hatten alles verloren, was sie besaßen, die Handlung war versiegelt, das Vermögen beschlagnahmt, die Wohnung von einem französischen General bewohnt. Aber für eine kurze Zeit waren sie glücklich, wieder zusammen zu sein. Dann musste Perthes weiter. Die dänische Regierung hatte erklärt, ihn nicht schützen zu können, wenn die Franzosen seine Auslieferung fordern sollten. Zudem musste er sich um den Unterhalt der Familie kümmern. Am 09.Juli 1813 nahm er Abschied und reiste nach Mecklenburg, wo er sich erneut in das Kriegsgewirr mischte. Caroline blieb unter den eingeschränktesten Verhältnissen mit den Kindern zurück.
Das Gartenhaus brachte in dem feuchten Sommer ihr und den Kindern Erkältungen und Krankheiten. Dazu kam die ständige Sorge um Perthes, von dem nur unregelmäßig Nachricht kam, und die Angst, die bevorstehende Entbindung nicht zu überleben und die Kinder unversorgt zurückzulassen. Die Bedrängnis wurde ein wenig gemildert durch die Schwester, die Caroline hilfreich zur Seite stand, die Familien der Grafen Reventlow und Stolberg und durch die Freude an den Kindern. Schönen Augenblicken folgten immer wieder Stunden tiefster Angst und Not, die Caroline mit großer Kraft und Souveränität bewältigte.
Im September 1813 zog Caroline mit den Kindern nach Kiel, wo Graf Moltke der Familie einige Zimmer überließ, die er selbst bei längeren Aufenthalten in Kiel bewohnte. Hier in der Stadt hatte Caroline für die Entbindung ärztlichen Beistand, Freunde und Verwandte. Am 16. Dezember wurde der Sohn Andreas geboren. Am ersten Weihnachtsfeiertag kam Perthes, der in großer Sorge um seine Familie war, weil sich das Kriegsgeschehen inzwischen auf Schleswig-Holstein ausgedehnt hatte. Caroline schrieb später dazu: „Den ersten Weihnachtstag des Abends im Halbdunkel kam Perthes unerwartet. Matthias sah ihn zuerst. Er hatte in Lübeck meine Niederkunft erfahren. Ich konnte ihm alle Kinder gesund übergeben und noch einen lieben, gesunden Jungen oben im Kauf. Was das war, weiß auch niemand, als der es erfahren hat.“ (Brief vom 29. April 1815)
Wenige Tage später erhielt Perthes vom Generalstab des Kronprinzen von Schweden den Auftrag, zusammen mit zwei anderen Männern die Verwaltung und Verwendung der Gelder zu übernehmen, die der Kronprinz für die aus Hamburg Vertriebenen bewilligt hatte. Am 01. Januar 1814 reiste er ins Hauptquartier nach Pinneberg. Caroline war wieder allein. Allein musste sie auch die Krankheit und den Tod des geliebten Sohnes Bernhard durchstehen. Er starb am 19. Januar 1814.
Als Perthes, den Carolines Nachricht nicht erreicht hatte, am 21. Januar unerwartet und mit banger Sorge ins Zimmer trat mit den Worten: „Sind alle wohl?“, erfuhr er die bittere Wahrheit. Wenige Stunden danach erhielt er vom schwedischen Kronprinzen die Aufforderung, nach Pinneberg zu gehen. Caroline redete ihm zu: „Wenn Du in dieser Zeit und in solchen Verhältnissen gerufen wirst, so mußt Du folgen.“ Perthes aber fühlte sich außerstande, er reiste erst am 27. Januar ab.
Obwohl die Gefahr keineswegs vorüber war, machte sich Caroline aus der Überzeugung heraus, „nicht länger auseinander sein“ zu können (Brief vom 11. November 1816), am 20. April mit den Kindern auf den Weg nach Blankenese, von wo die Familie nach einjähriger Abwesenheit am 31. Mai 1814 nach Hamburg zurückkehrte. „Diese sechs Wochen in Blankenese“, schrieb Caroline an ihre Schwester Anna Jacobi, „sind der Konfekt meines Lebens gewesen. Die Hoffnung auf die Befreiung unserer Stadt wurde mit jedem Tage größer, und mit einem Male wehten die weißen Fahne am Michaelisturm und in Harburg. Nun war auch Deich und Damm gebrochen, und von allen Seiten strömten die Vertriebenen wieder der Stadt zu. Wir wohnten dicht an der Elbe, konnten also, die von Bremen und aus dem Hannöverschen zurückkamen, ankommen sehen. Ganze Herden von armen Ausgehungerten, mit Kindern und Lumpen Bepackten zogen unser Fenster vorbei, und wunderbar groß und rührend war die Liebe zu Haus und Herd sichtbar, obgleich die meisten nur Jammer und Elend zu erwarten hatten. Sowie sie an Land stiegen, brachen sie Zweige von den Bäumen, und Alt und Jung bis auf die kleinsten Kinder herunter, die nur einen halten konnten, bekamen einen Busch in die Hand und dankten Gott unter Freuden- und Trauergeschrei und Tränen für die Erlösung des großen und allgemeinen Übels, wohl wissend, daß ein jeder seinen Privatpack mit hereintrüge. Endlos sind die Erfahrungen, die diese armen, unglücklichen Menschen gemacht haben während der Flucht. Einmal wurde uns ein ganzer Wagen voll kleiner und großer Kinder geschickt, deren Eltern im Krankenhaus in Bremen gestorben waren. Ich machte schnell warme Suppe für sie, aber einige waren so bewegt von dem Jammer, der gewesen war und kommen würde, daß sie nicht einmal essen konnten.“ (Brief vom 11. November 1816)
In Hamburg wurde Carolines Leben vornehmlich durch die Ereignisse im eigenen Hause bestimmt. Ihre Gesundheit war jedoch seit dem Schreckensjahr 1813 schwer angegriffen. Bis zum Frühjahr 1821 steigerte sich ihr Herz- und Nervenleiden in so hohem Maße, dass sie am 28. August an einem Nervenschlag, wie es in der Literatur heißt, starb.
Geblieben sind uns ihre Briefe – an den Vater in Wandsbeck, dem sie anschaulich von den Ereignissen in Hamburg während der Franzosenzeit berichtete, an Perthes, vor allem aus dem Jahr 1813, dem schlimmen Jahr der Trennung, an die beiden ältesten Töchter Agnes und Louise, die sich nach Gotha verheiratet hatten, und den Sohn Matthias, der in Tübingen Theologie studierte, sowie an andere Verwandte und Freundinnen. Caroline Perthes Briefe, von denen nur eine kleine Auswahl veröffentlicht ist, sind ein Fundus menschlicher Erfahrung, der zugleich Auskunft gibt über Leben und Denken in einer vergangenen Epoche.
Text: Brita Reimer, zuerst veröffentlicht in: http://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3537&qN=Perthes, gekürzt von S. Urbanski. Wir danken für die Nutzung: Dr. Rita Bake.
Literatur:
Brandt, Martin Gottlieb Wilhelm: Caroline Perthes, geb. Claudius. Mit Porträt und Faksimile und einem Weihnachtsbilde, Gotha (4. Auflage) 1890.
Grolle, Inge: Caroline Perthes (geb. Claudius), in: Hamburgische Biografie. Personenlexikon (Bd. 1), hg. v. Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke, Hamburg 2001, S. 233f.
Dies.: Friedrich Christoph Perthes, Hamburg 2004 (Hamburger Köpfe).
Kayser, Rudolf: Karoline Perthes im Briefwechsel mit ihrer Familie und ihren Freunden, Hamburg 1926 (Veröffentlichungen des Vereins für Hamburgische Geschichte; Bd. 6).
Reimers, Brita: Caroline Perthes, geb. Claudius. 7.2.1774 Wandsbek-28.8.1821 Hamburg, in: Erinnerung. Lebensstationen von Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, deren Grabsteine außerhalb des Gartens der Frauen bleiben; Verein Garten der Frauen e.V., Hamburg 2016, S. 107-114.
Bildnachweise:
Abb. Titelfeld: Caroline Perthes um 1797 (Friederike Leisching), nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Friederike_Leisching_Perthes.jpg).