Kirsten Heinsohn (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg)
Im April 1971 meldete die Staatliche Pressestelle Hamburg, dass „erstmals über 100.000 Ausländer in Hamburg“ lebten. Das entsprach 5,5 Prozent der Bevölkerung. Diese Gruppe bestand zum großen Teil aus türkischen, jugoslawischen, italienischen und griechischen Staatsangehörigen, die als Arbeitskräfte im Zuge der bundesdeutschen Anwerbeabkommen mit diesen Ländern seit den fünfziger Jahren in die Bundesrepublik gekommen waren.
Familienangehörige dieser sogenannten Gastarbeiter durften teilweise, nicht immer, nachziehen, sofern es den ausländischen Arbeitern gelang, eine Wohnung zu finden. Die Arbeitserlaubnis für „Gastarbeiter“ galt nur befristet, so dass alle Beteiligten davon ausgingen, die Arbeiter und ihre Familien würden nur eine Zeit lang in der Bundesrepublik leben und dann wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Auch der Bericht der Staatlichen Pressestelle hielt ausdrücklich fest: „Die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland“. [1]
Diese politische Leitlinie, der alle politischen Parteien folgten, überdeckte jedoch die Realitäten der tatsächlich zunehmenden Einwanderung. Schon in den sechziger Jahren waren die Folgen der wirtschaftlich gewünschten Arbeitsmigration in den Verwaltungen, kirchlichen Organisationen und den Medien angesprochen worden, z.B. dass die Betriebe an ausgebildeten Arbeitskräften interessiert waren und daher gegen eine zu enge Befristung der Arbeitsverträge waren. Schon damals wurde deutlich, dass viele der „Gastarbeiter“ bleiben würden. Eine Planung staatlicher Einwanderungspolitik erfolgte dennoch nicht, ebenso wenig wie eine Anpassung des Ausländer- und Einbürgerungsrechtes.
Im November 1973 wurde lediglich ein Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte erlassen, in der Hoffnung, auf diese Weise den weiteren Zuzug aus dem Ausland zu begrenzen. Dennoch stieg die Zahl der Ausländer in der Bundesrepublik stetig weiter an, u.a. durch Familiennachzug und Geburten, aber auch seit dem Ende der siebziger Jahre durch mehr Flüchtlinge, die um Asyl nachsuchten. Zu Beginn der achtziger Jahre wurde immer deutlicher, dass sich Politik und Gesellschaft mit der Einwanderung und ihren Folgen auseinandersetzen mussten. Die Wirtschaftskrise ab 1979 führte u.a. auch zum Anstieg ausländerfeindlicher Aktivitäten. Die konservative CDU-FDP-Regierung im Bund versuchte sich in der Ausländerpolitik zu profilieren, indem sie drei Ziele vorgab: Zuzugstopp, Rückkehrförderung und Integration. Der letzte Punkt war dabei der schwierigste. So wurde erst Anfang der neunziger Jahre das Ausländerrecht aus dem Jahr 1965 reformiert, wodurch zumindest die Rechte der schon lange in der Bundesrepublik lebenden Ausländer verbessert wurden, etwa hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus oder der Rechte von Kinder, die hier geboren wurden.
Auch der Hamburger Senat folgte im Wesentlichen diesen Leitlinien der Ausländerpolitik, betonte allerdings stärker die Integration als die Begrenzung des Zuzugs. In zwei zentralen Stellungnahmen zur „Lage der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in Hamburg“ aus den Jahren 1980 und 1984 wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass man gegenüber der „zweiten und dritten Generation“ eine soziale Verantwortung trage, der sich Gesellschaft und Politik zu stellen hätten.[2] Daher forderte der Senat 1984 eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes sowie juristische und soziale Reformen. Er stellte also Forderungen an die Bundesebene, auf der die Grundlinien der Ausländer- und Migrationspolitik festgelegt wurden. Im Stadtstaat selbst versuchten Senat und Bürgerschaft, integrative Maßnahmen in den Bereichen Kinderbetreuung, Schule und Ausbildung sowie Wohnungsmarkt und gesellschaftliches Miteinander zu fördern. 1989 verabschiedete die Bürgerschaft eine Änderung des Wahlgesetzes, um Ausländern mit Aufenthaltsstatus, die seit acht Jahren in Hamburg lebten, das Wahlrecht zu den Bezirksversammlungen zu ermöglichen. Diese Initiative wurde allerdings vom Bundesverfassungsgericht im Oktober 1990 für verfassungswidrig erklärt, weil sie nicht mit den Bestimmungen des Grundgesetzes übereinstimme.
Im gleichen Jahr richteten Senat und Bürgerschaft das Ehrenamt eines „Ausländerbeauftragten“ ein, das eine Vermittlungs- und Beratungsinstanz zwischen den Einwohnern mit ausländischem Pass und den Regierungs- und Verwaltungsorganen sein sollte. Günter Apel, langjähriger Abgeordneter der SPD in der Bürgerschaft und Schulsenator, übernahm als Erster dieses Amt bis 1998.
Die Politik setzte sich also seit den achtziger Jahren verstärkt mit der Zuwanderung und der sozialen Lage der Zugewanderten auseinander. Man sprach nun häufiger von „unseren ausländischen Mitbürgern“, um Anerkennung und Wertschätzung für Zugewanderte auszudrücken. Juristisch allerdings machte diese Anrede keinen Sinn: Ausländer, die sich einbürgern konnten, wurden zu deutschen Staatsangehörigen mit allen Rechten – Ausländer, die dies nicht taten, blieben Nicht-Deutsche ohne die Rechte von Staatsbürgern, z.B. das Wahlrecht.
Weiterführende Literatur:
Telse Först: Gekommen – und geblieben. Die Integration ausländischer Arbeitnehmer in Hamburg 1955 – 1973, Magisterarbeit Universität Hamburg, Hamburg 2008.
Lina Nikou: „Mein Name ist Ausländer.“ Alltagserfahrungen und Migrationspolitik in der Stadt, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hg.), 19 Tage Hamburg. Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte seit den fünfziger Jahren, München / Hamburg, S. 217-232.
Karen Schönwälder: Migration und Ausländerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Öffentliche Debatten und politische Entscheidungen, in: Zuwanderungsland Deutschland. Migrationen 1500-2005. Für das Deutsche Historische Museum hg. von Rosemarie Beier-de Haan, Edition Minerva, Wolfratshausen/Berlin 2005, S. 106-119. http://www.zeithistorische-forschungen.de/reprint/id%3D3888
[1] Berichte und Dokumente aus der Freien und Hansestadt Hamburg, Nr. 258, 28. April 1971: 100.000 Ausländer in Hamburg, Zitate S. 1 und 2.
[2] Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft: Drucksache 9/2431: Grundsatzentscheidungen des Senats und Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Lage ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien in Hamburg, 10.07.1980. Drucksache 11/2901: Lebenssituation der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in Hamburg sowie Stand der hamburgischen Ausländerpolitik, 03.09.1984.
Bildnachweise:
Abb. Titelfeld: Savoy-Kino 1973 (Ausschnitt), Foto von Heinrich Klaffs über flikr, CC BY-NC-SA 2.0.
Abb. Thementext: Gastarbeiter-Ankunft, Staatsarchiv Hamburg, StAHH 720-1 388-00 = 46667_05A / Savoy-Kino 1973, Foto von Heinrich Klaffs über flikr, CC BY-NC-SA 2.0 / Günter Apel, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:G%C3%BCnterApelHamburg.jpg?uselang=de).