Nachrüstungsdebatte und Friedensbewegung

Claudia Kemper (Hamburger Institut für Sozialforschung)

In den 1970er Jahren engagierten sich immer mehr lokale Gruppen gegen Umweltprobleme oder die Gefahren der Atomkraft. Aus diesen vielfältigen und in der ganzen Bundesrepublik sichtbaren Neuen Sozialen Bewegungen entstand Anfang der 1980er Jahre eine heterogene Friedensbewegung. Sie konnte hunderttausende Menschen für Großdemonstrationen mobilisieren, weil es ein klares Ziel gab: 1979 hatte die NATO beschlossen, als Reaktion auf eine Modernisierungswelle sowjetischer Waffen in Westeuropa neue atomare Mittelstreckenraketen zu stationieren, sofern in Verhandlungen mit der Sowjetunion keine Abrüstung erreicht werden konnte. Ein Großteil dieser Raketen sollte in der Bundesrepublik stationiert werden, was die Friedensbewegung verhindern wollte.

Friedensdemonstration in Hamburg 1983 – aus der Perspektive der GAL-Bürgerschaftsabgeordneten Ulla Jelpke vom Rathausbalkon aus gesehen

Schon seit Ende der 1970er Jahre spielten in Hamburg Friedens- und Umweltthemen in landespolitischen Diskussionen eine immer wichtigere Rolle, wobei sich Kritik an der atomaren Energiepolitik zunehmend mit Kritik an der Atomwaffenpolitik verflocht. Bei der Bürgerschaftswahl von 1978 dominierten erstmals umweltpolitische Diskussionen und ein größerer Teil jüngerer Wähler stimmte statt für die etablierten Parteien für Umweltlisten. Bei den folgenden Bürgerschaftswahlen setzte sich dieser Trend fort und 1982 gelangte mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) erstmals eine neue Partei in das Hamburger Stadtparlament, in deren Programm Umwelt, Frieden und Abrüstung zentrale Themen darstellten.

1981 gründete sich, unter dem Motto „Der Atomtod bedroht uns alle – Keine neuen Atomraketen in die Bundesrepublik Deutschland“, das Hamburger Forum, in dem sich ganz unterschiedliche Initiativen und Aktivisten miteinander vernetzten. An einem Friedensfest am Großneumarkt im August 1981 nahmen schon 10.000 Menschen teil, ein Sternmarsch vier Monate später zählte 50.000 Teilnehmer. Neben den medienwirksamen, aber aufwendigen Demonstrationen gab es noch andere Aktivitäten, darunter informationsorientierte Dia- und Videoabende, Vorträge, Solidaritätsadressen für verhaftete oder bestrafte Soldaten, die an Friedensdemonstrationen teilgenommen hatten, Friedensgottesdienste, Konzerte und Friedens-Work-Camps. Das gemeinsame Ziel, Atomraketen in der Bundesrepublik ganz zu verhindern, wirkte in dieser Phase wie eine Klammer um eine heterogene Friedensbewegung, in der Jüngere und Ältere, Männer und Frauen, christlich Motivierte und militante Pazifisten sowie Mitglieder fast alle politischen Parteien vertreten waren.

Zu den kreativsten Protestformen, die die Friedensbewegung entwickelte, um die Bevölkerung zu mobilisieren, zählte die Ausrufung von Atomwaffenfreien Zonen (AWZ). Damit sollte symbolisch der Widerstand gegen Import, Transport und Stationierung von Atomwaffen in der Bundesrepublik demonstriert werden. In der Wenn sich Kirchen, Universitäten, Schulen, taz-Redaktionen, Lehrlingswerkstätten bei Blohm + Voss oder einzelne Straßenzüge zur atomwaffenfreien Zone erklärten, war dies nicht nur eine öffentlichkeitswirksame Methode, um „Frieden vor Ort“ zu erreichen, wie es im Titel eines zeitgenössischen Buches hieß, sondern unterstrich auch den Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf konkrete politische Mitbestimmung.

Die AWZ vor Ort hatten keine rechtliche Bedeutung, da die Verteidigungspolitik eine Angelegenheit der Bundesregierung ist. Dennoch bemühten sich Parteien oder Wahllisten auch auf kommunaler Ebene um die Ausrufung von AWZ, denn hier konnten sich Kommunen bzw. in Hamburg die Bezirksversammlungen gegen konkrete Planungen von Atomwaffentransporten positionieren. Es hing meist von den örtlichen Friedensinitiativen und ihrer parteipolitischen Vernetzung ab, ob der Antrag einer AWZ in den Gemeindeparlamenten Erfolg hatte. Im Oktober 1983 gab es bundesweit an die 60 „atomwaffenfreie“ Gemeinden – in Hamburg hatten sich Altona, Eimsbüttel und Hamburg-Nord zu einer AWZ erklärt.

Verteidigungsminister Hans Apel befürwortete die umstrittene Nachrüstung

Von Befürwortern der Nachrüstung, darunter den aus Hamburg stammenden SPD-Spitzenpolitikern Helmut Schmidt und Hans Apel, als verantwortungslos kritisiert, bedeuteten die Erklärungen der Bezirksversammlungen genauso wie der privaten Initiativen in Hamburg nicht nur einen symbolischen Akt, der sich gegen die Militär- und Verteidigungspolitik der Bundesregierung stellte. Mit den AWZ als „Ent-Rüstung auf kleinstem Raum“ und „Kleingärten des Friedens“, wie es das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im Februar 1983 formulierte, kamen auch handfeste Interessen der Kommunen und ihrer Bevölkerung gegen eine Einbeziehung in die Pläne für einen atomaren Kriegsfall zum Ausdruck.

Bildnachweise:

Abb. Titelfeld: Ulla Jelpke auf Rathausbalkon 1983 (Ausschnitt), nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:UllaJelpke1983.jpg).

Abb. Thementext: Ulla Jelpke auf Rathausbalkon 1983, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:UllaJelpke1983.jpg) / Hans Apel, nach Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Verteidigungsminister_Dr._Hans_Apel_(4909219537).jpg).